Laut einer Erhebung des Industrieverbands Heimtierbedarf (IVH) leben rund 9,4 Millionen Hunde in deutschen Haushalten – und leben unter geradezu „vermenschlichten Bedingungen“ oft umsorgt und geliebt. Viele Hundehalter würden wohl auch der Aussage zustimmen: Der eigene Hund ist zu einem Teil der Familie geworden. Doch der Hund ist nicht nur treuer Begleiter und Freund des Menschen, sondern zugleich auch ein Raubtier.

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Selbst durch kleinste Hunde droht der Ruin

Was viele Hundehalter nicht wissen: Selbst durch kleinste Hunde droht ihnen Ungemach aufgrund eines enormen Haftungsrisikos. Gilt doch für Hundehalter das Prinzip der Gefährdungshaftung nach Paragraf 833 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB): Wird durch ein Tier ein Mensch getötet oder der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist derjenige, welcher das Tier hält, verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Schlimmstenfalls haften Frauchen oder Herrchen bis in den Ruin für einen Schaden, den der Hund verursachte.

Und hier kann schon ein auf die Straße rennender Dackel fatal sein, sobald das Tier einen Unfall mit hohem Sach- und Personenschaden auslöst. In der Vergangenheit wurde sogar eine Hundehalterin durch das Oberlandesgericht (OLG) Hamm zu 15.000 Euro Schmerzensgeld verurteilt, weil eine ältere Dame über den schlafenden Hund der Verurteilten fiel und sich schwere Verletzungen zuzog (Az. 19 U 96/12). Die Gefahr durch solche Haftungsrisiken ist aber vielen Hundehaltern nicht bewusst.

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Grund für den Rechtsstreit: Gefährliche Bissverletzungen eines Kleinkinds

Eine Hundehalterhaftpflicht wird durch solche finanziellen Risiken geradezu zum „Must-have“, sobald die treuen Vierbeiner Teil des eigenen Haushalts sind. Besonders anschaulich wird das Haftungsrisiko durch Hunde an einem aktuellen Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (Az. 7 U 47/19). Und in diesem Fall war es wohl tatsächlich die Hundehalterhaftpflicht, die eine Frau aus Hessen vor dem Ruin bewahrte. Denn 100.000 Euro hätte die Frau ansonsten als Schmerzensgeld zahlen müssen aufgrund einer kurzen Unachtsamkeit. Hatte ihr Mischlingshund doch ein Kleinkind schwer verletzt.

Freilich: Das Tier war schon vor diesem Vorfall alles andere als eine kinderfreundliche Seele. Weil der Hund in 2011 ein 10-jähriges Mädchen gebissen hatte, durfte sich die Frau mit ihrem Liebling keinen Kindern unter 14 Jahren mehr nähern. In 2012 aber geschah jenes weitere Unglück, welches die Frau nun vor Gericht führte. Denn die Frau traf sich mit einer Bekannten im Park – für einen Plausch ließ man sich auf einer Parkbank nieder. Auch der Hund der Frau war – angeleint – dabei. Zum Risiko aber wurde ein angrenzender Spielplatz. Eine Unachtsamkeit tat ihren Rest: Ein zweijähriges Kind näherte sich dem Hund und fasste das Tier an. Der Hund erwies sich erneut als aggressives Tier gegenüber Kindern: Erst knurrte er, dann biss er das Kind ins Gesicht.

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Der Beginn einer Leidensgeschichte: Eineinhalb Monate musste das Kleinkind stationär im Krankenhaus behandelt werden, damit die schweren Verletzungen heilen. Gegen die Hundehalterin erging nun ein Strafbefehl wegen fahrlässiger Körperverletzung. Sie wurde außerdem verurteilt, an das Kind knapp 100.000 Euro zu zahlen. Für diesen Schaden aber sollte nun ihre Hundehalterhaftpflichtversicherung aufkommen.

Versicherer schloss Leistungen bei bewusster Pflichtverletzung aus

Der Haftpflichtversicherer aber sah sich nicht in der Einstandspflicht. Denn ein erneuter Vorfall mit einem bissigen Hund, der bereits auffällig wurde – zudem in unmittelbarer Nachbarschaft eines Spielplatzes: Alles schien dafür zu sprechen, dass der Versicherer nicht zahlen muss.

Grundlage für diese Einschätzung war Ziffer F.3 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AGB). Sie beinhaltet eine Klausel, die Leistungen ausschließt, sobald eine Pflichtverletzung vorliegt. Die Klausel greift aber nur, sobald der Schaden „durch bewusstes Abweichen“ von Gesetzen oder Verordnungen zur Hundehaltung verursacht wurde. Sobald eine solche bewusste Pflichtverletzung der Hundehalter nachweisbar ist, muss die Versicherung nicht mehr zahlen – die Versicherten tragen dann den kompletten Schaden selbst. Und auf diese Klausel berief sich nun der Versicherer und verweigerte die Zahlung.

Die Hundehalterin sah den Tatbestand naturgemäß anders und reichte Klage gegen den Haftpflichtversicherer ein. In erster Instanz vor dem Landgericht Wiesbaden blieb diese Klage zunächst noch erfolglos: Das Urteil folgte der Sichtweise des Versicherers (Az. 9 O 271/18). Nun, in zweiter Instanz vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main aber neigte sich Justitias Waage zugunsten der Frau: Die Versicherung muss für die 100.000 Euro an das Kind leisten (Az. 7 U 47/19).

Gericht erklärt Ausschlussklausel für zulässig…und lässt zahlen

Was aber ist der Grund der Entscheidung? Zunächst: Trotz des Urteils gegen den Versicherer kann der Versicherer und können andere Haftpflichtversicherer aufatmen. Denn das Gericht erklärte zunächst die Klausel für legitim. Demnach dürfen Versicherer tatsächlich Ansprüche aus der Haftpflicht ausschließen, sobald eine bewusste Pflichtverletzung vorliegt.

Eine solche Klausel stelle weder eine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers dar, noch sei sie laut Gericht ungewöhnlich oder überraschend. Auch genüge die Klausel des Versicherers dem Transparenzgebot, da sie eindeutige und festumrissene Begriffe aus der Rechtssprache verwende. Jeder Anbieter einer Hundehalterhaftpflicht kann sich also eine Klausel wie jene Ziffer F.3 des verklagten Versicherers – zu Recht – in die Allgemeinen Versicherungsbedingungen schreiben.

Geprüft werden musste: Geschah die Pflichtverletzung bewusst bzw. mit Vorsatz?

Jedoch – und dies wird an dem Urteil ganz deutlich: Bedingung für den Leistungsausschluss gemäß Klausel ist eine bewusste Pflichtverletzung. Damit muss zunächst der Versicherer dem Versicherungsnehmer eine vorsätzlich begangene Verletzung der bestehenden Gesetze und Verordnungen für Hundehalter nachweisen, wenn er sich aus der Leistungspflicht nehmen will.

Im verhandelten Fall aber lag laut Gericht dieser Vorsatz nicht vor. Denn trotz allem ­– trotz zweifachem Biss-Vorfall gegen Kinder und trotz der Nähe der Bank zu einem Spielplatz: Die Hundehalterin gefährdete laut Gericht Kinder nicht bewusst. So wies zum Beispiel kein Warnschild darauf hin, dass die zuständige Kreisverwaltung für die Parkanlage eigentlich ein Hundeverbot erlassen hatte ­– das Hundeverbot für die Parkanlage war der Frau folglich nicht bekannt. Da die Prüfung dieses Einzelfalls also keine vorsätzlich begangene Pflichtverletzung feststellte, muss nun die Versicherung laut Oberlandesgericht für die 100.000 Euro Schmerzensgeld an das Kind aufkommen.

Anders hingegen wäre es gewesen, hätte die Frau von dem Hundeverbot in dem Park Kenntnis gehabt oder auf andere Weise vorsätzlich das Risiko in Kauf genommen, dass erneut ein Kind gebissen wird. Eine Presseerklärung zu dem Urteil ist auf den Seiten der Gerichtsbarkeit Hessen verfügbar.

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