Als im Spätsommer 2019 der britische Reiseveranstalter Thomas Cook und seine deutschen Töchterunternehmen pleite gingen, war das für viele Reisende eine Katastrophe. Sie saßen teils am Urlaubsort fest, geleistete Vorauszahlungen wurden nicht mehr akzeptiert: Sie mussten für Hotelbuchungen, Essen oder Rückflug doppelt zahlen. Auch wer eine Pauschal-Reise noch nicht angetreten, aber bereits bezahlt hatte, konnte sie nicht mehr antreten. Es war schlicht kein Geld mehr da.

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Für die Betroffenen gibt es nun immerhin eine positive Nachricht: Die aber zugleich wieder getrübt werden dürfte. Denn die Zurich Versicherung, bei der Thomas Cook seine Kundinnen und Kunden gegen die Folgen der Insolvenz versichert hatte, will bis Juni alle 220.000 Geschädigte ausgezahlt haben. Für wenig Freude dürfte die Höhe der ausgezahlten Schadenssumme sorgen: Demnach erhalten die Kundinnen und Kunden ganze 17,5 Prozent des gezahlten Reisepreises zurück. Das berichtet die „Welt“ am Dienstag.

Verzögerungen - und Kostendeckel

Bisher sei nur etwa die Hälfte der Betroffenen durch den Versicherer entschädigt wurden, berichtet die „Welt“ weiter. Nicht abgeschlossene Fälle müssten „über aufwendige Einzelprüfungen bearbeitet“ werden, zitiert das Blatt den Versicherer. Und weiter: „Rund zehn Prozent der Fälle lassen sich beispielsweise keiner Buchungsnummer zuordnen, weitere 35.000 Fälle können wegen inkorrekter Kontonummern nicht angewiesen werden oder erweisen sich als Doppelerfassungen“.

Doch nicht nur der lange Bearbeitungszeitraum sorge für Frust bei Kundinnen und Kunden, sondern auch die niedrige Entschädigungssumme. Hierfür aber kann der Versicherer kaum belangt werden: Dass so wenig Geld vorhanden ist, liegt eher am Verschulden des Gesetzgebers.

Zwar hat die EU im Jahr 2015 mit einer Richtlinie beschlossen, dass Pauschalreisende europäischer Touristikveranstalter zu entschädigen sind. Aber ganze 110 Millionen Euro müssen die Anbieter in Deutschland bisher für den Fall ihrer Insolvenz versichern. Im Gegensatz zu vielen anderen EU-Ländern ist die Haftungssumme gesetzlich gedeckelt: So sieht es Paragraph 651r des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) vor (der Versicherungsbote berichtete).

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Entsprechend kann die Zurich nun auch maximal 110 Millionen Euro als Gesamtschadenssumme an die Reisenden verteilen. Und die sind schon weitestgehend verbraucht. Zuerst musste der Versicherer nämlich dafür zahlen, dass Gestrandete aus dem Urlaub zurückgeholt werden und Hotels sowie andere Dienstleister für bereits erbrachte Leistungen entschädigt werden. Allein hierfür gingen laut „Welt“ rund 59,6 Millionen Euro drauf. Rund 50,4 Millionen Euro bleiben, um deutsche Touristinnen und Touristen zu entschädigen.

Der Bund will einspringen - der Zurich droht Klage

Insgesamt werden 287,4 Millionen Euro gebraucht, um alle Kundinnen und Kunden vollumfänglich entschädigen zu können, berichtet die "Zurich". Deshalb bleibt den Geschädigten die Hoffnung auf den Bund. Die Bundesregierung hat bereits angekündigt, Reisende entschädigen zu wollen: durch "ein einfaches, für die Pauschalreisenden kostenfreies Verfahren zur Abwicklung der Ausgleichszahlungen", wie das Justizministerium im Februar mitteilte (der Versicherungsbote berichtete).

Dass die Bundesregierung für den Fehlbetrag nun aufkommen will, ist aber möglicherweise nicht ganz freiwillig. Stichwort Deckelung: Hat der Gesetzgeber die EU-Richtlinie für Insolvenzschutz ungenügend in deutsches Recht übersetzt, muss der Staat haften. Und hier stellt sich die Frage, ob eine Höchstsumme von 110 Millionen Euro tatsächlich ausreichend war und ist. Rechtsgutachten nähren den Verdacht, dass die Bundesregierung bei Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof zu Schadensersatz verpflichtet werden würde. Zumal bereits der Bundesrat im Jahr 2016 gewarnt hatte, die Haftung für Pauschalreisen reiche nicht annähernd aus. Tätig wurde die Politik danach nicht.

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Bund will klagen

Dass die Bundesregierung für die Schäden einstehen will, ist eine positive Nachricht für die Betroffenen - aber nicht für die Zurich und das insolvente Reiseunternehmen. Denn der Bund will die Kosten nicht einfach dem Steuerzahler aufbürden. Stattdessen sollen die Betroffenen im Gegenzug für die Entschädigung ihre zivilrechtlichen Ansprüche abgeben, damit der Bund gegen die Zurich und den Reiseveranstalter klagen zu können, schreibt die "Welt": in der Hoffnung, das Geld vom Versicherer und aus der Insolvenzmasse zu bekommen. So soll zumindest die zu zahlende Summe reduziert werden.

Strittig ist zum Beispiel, ob tatsächlich auch die Kosten für Rückholungen gedeckelt seien. Zudem bestehe für Reiseveranstalter die Pflicht, ausreichend Versicherungsschutz für die eigene Insolvenz zu kaufen. Kundinnen und Kunden können zudem selbst direkt Ansprüche gegen Thomas Cook geltend machen, sofern es noch nicht geschehen ist. Hierfür hat der Insolvenzverwalter eine Webseite online geschaltet.

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Wenn der Bund hingegen weder die Zurich für den Fehlbetrag haftbar machen kann noch bei Thomas Cook etwas zu holen ist, kommt für den Restschaden vor allem einer auf: der Steuerzahler.

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