Der deutsche Versicherungsmarkt ist im Umbruch, und das nicht erst seitdem die Politik das Zeitalter der Digitalisierung offiziell ausgerufen hat. Dieser Wandel vollzieht sich schon länger und hat seine Ursachen unter anderem auch darin, dass sich der Vertrieb von Versicherungsprodukten im Markt wandelt. Dort, wo vor 15 Jahren noch persönlich am Tisch beraten und klassisch abgeschlossen wurde, haben nun neue Spieler das Feld betreten: große Online-Vergleichsportale, die neben Elektrizität und Gas auch Versicherungsvergleiche anbieten, aber auch alternative Vertriebsformen, wie der Vertrieb über Banken oder, ganz modern, neue Apps, die dem Kunden die gesamte Verwaltung seiner Finanz- und Versicherungsangelegenheiten abnehmen. Unternehmen, die neue Wege beim Vertrieb gehen, sind überaus erfolgreich. Vor allem neue Player, die auf digitale Vertriebswege setzten, konnten sich neue Räume schnell erschließen. Die Gründe liegen vor allem in der Einführung des Smartphones und der damit verbundenen Gewohnheit des Kunden an neue Kommunikationswege und in der zurückgegangenen Anzahl von Versicherungsvermittlern. So zeigt die Statistik der DIHK in Ihren aktuellen Zahlen einen Rückgang um gut 20.000 Vermittler im deutschen Markt.

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Stephen Voss, Vorstand und Gründer der Neodigital Versicherung AG mit Sitz in Neunkirchen im Saarland.NeodigitalMit den neuen Vertriebsformen und den vom Kunden aus anderen Bereichen erlernten Services und Standards halten nun neue Tools im Versicherungsmarkt Einzug. Sowohl auf der Vertriebsseite wie auch auf der Risikobewertung.

Im Hinblick auf den Vertriebsweg wird schnell klar, dass nicht jeder Kunde in Zukunft zu jedem Versicherungsprodukt persönlich besucht und beraten werden kann. Das gilt für komplexe Berufsunfähigkeitsversicherungen vielleicht etwas weniger, dafür für einfache Produkte, wie der Privathaftpflicht etwas mehr. Und es beschränkt sich nicht nur auf den Abschluss, sondern verändert auch die laufende Betreuung, wie zum Beispiel durch Roboadvisor. Eine nur logische Konsequenz, bedenkt man, dass ein Vermittler nicht wegen jedem Versicherungsprodukt zum Kunden fahren kann. Das ist allein aus zeitlichen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht mehr machbar. Also nutzt er einen Roboadvisor, um das Produktportfolio des Kunden zu screenen. Der Kunde erhält daraufhin vollautomatisch, zum Beispiel einmal im Jahr via Email oder App, eine auf ihn zugeschnittene, weil aus seinen Daten heraus analysierte, Empfehlung. Dabei analysiert eine KI (künstliche Intelligenz) die gegenwärtigen Leistungen im Tarif, vergleicht diese mit aktuellen Marktangeboten und gibt dem Kunden dann eine Auswahl an Handlungsoptionen. Diese können sein: Alles so lassen wie es ist. Oder: Für den gleichen Beitrag mehr Leistung bei einem anderen Anbieter bekommen. Oder: Für die gleichen Leistungen bei einem anderen Anbieter weniger zahlen. Damit wurden dem Kunden alle Optionen offengelegt und der Vermittler ist seiner Betreuungspflicht nachgekommen. Natürlich können Vermittler und Kunde trotzdem noch miteinander sprechen und die verschiedenen Optionen diskutieren, aber rausfahren muss hierfür niemand mehr.

Was beim Auto funktioniert, wird sich auch in anderen Bereichen durchsetzen

Auch im Bereich der Risikobewertung sind neue digitale Zeiten angebrochen: Hier werden immer mehr Tools entwickelt, die über das Smartphone im Sachversicherungsbereich Gegenstände oder Objekte über die eingebaute Kamera aufnehmen und anhand einer Datenbank im Hintergrund analysieren. Daraus ergeben sich zwei Anwendungen: Zunächst die intelligente Wertbeurteilung beispielsweise in der Hausratversicherung. Hier kommt kein Vermittler in die Wohnung und schätzt den Wert der Einrichtung, der Kunde selbst übernimmt mit dem Smartphone den Rundgang durch sein Zuhause und erfasst seinen Hausrat mit dem Smartphone. Die intelligente Software erstellt dann mit ein paar zusätzlichen Angaben des Kunden, wie beispielsweise Postleitzahl oder Stockwerk ein auf den Hausrat und den Kunden passendes Versicherungsangebot. Besondere Gegenstände wie Laptop oder ein teures Fahrrad können dann noch zusätzlich erfasst und im Wert bestimmt werden. Das geht viel schneller als klassisch über den Vermittlerbesuch und ist so wie es aktuell die meisten Kunden im deutschen Markt wünschen: sehr bequem.

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Die zweite Anwendung ist vor allem auch für den Versicherer selbst unglaublich spannend: Die Schadenerfassung über die Smartphone Kamera mit Verknüpfung zur künstlichen Intelligenz übernimmt und dokumentiert im Schadenfall die Schadenerstmeldung und verknüpft aus gelernten Daten dann die notwendigen Schritte und Prozesse. Beispiel Wasserschaden: Der Kunde erfasst das Schadensbild im Grunde sofort nach dem Schadenereignis. Die KI vergleicht das mit ähnlichen Schadenbildern und -Informationen und löst dann eine Kette von Prozessschritten aus. Dies kann zum Beispiel eine sofortige Beauftragung eines Spezialunternehmens sein, um die Schadenfolgekosten so gering wie möglich zu halten, bis hin zur weiteren Veranlassung von Gutachtern und der Schadenbeseitigung durch Fachfirmen im Umkreis. Davon profitiert auch der Kunde unmittelbar, denn sein Schaden wird so schnell wie möglich beseitigt. Die Entwicklung und die Qualität dieser zweiten Anwendung wird noch viel sogenanntes Deep Learning anhand vorhandener Schadenbilder und Informationen erfordern. Das wird demnach nicht von heute auf morgen in voller Breite im Markt umgesetzt werden. Aber der Anfang ist gemacht. Die Algorithmen lernen gerade und ihnen wird antrainiert wie sie etwas zu analysieren haben. Dazu helfen ihnen schon heute die Erfassung vieler Daten aus der klassischen Schadenbewertung. Und sie lernen von einem sehr guten Vorbild, dem Mensch, also dem Schadenbearbeiter der über Jahre diesen „Blick“ für das Schadenbild entwickelt hat. Das haben die KFZ-Versicherer schon vorgemacht, hier lesen KI schon Schadenbilder und Erfahrungswerte der Sachbearbeiter von Autounfällen aus und bemessen daran die Reparatur und Instandsetzungskosten. Und was an des Deutschen liebsten Kinds funktioniert, wird sich dann Stück für Stück auch bei seinen anderen Besitztümern durchsetzen. Es ist also nicht die Frage, ob das kommt, sondern nur wie schnell.

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