Herr Weber, der Peak der erbitterten Grabenkämpfe zwischen InsurTechs und den etablierten Versicherungskonzernen scheint überwunden zu sein. Beide begreifen die "anderen" zunehmend als notwendige Partner. Herrscht nun reine Harmonie zwischen den Beteiligten?

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Ingo Weber: Natürlich nicht – aber fast alle Marktteilnehmer haben mittlerweile ihre Hausaufgaben gemacht und aus den anfänglichen Fehlern gelernt. Viele der ursprünglich auf Endkunden fokusierten InsurTechs haben schmerzhaft erfahren, dass Kundenakquisition sehr teuer ist. Versicherungen sind eben nicht vergleichbar mit Lifestyle Produkten die sich viral, also mittels Mund-zu-Mund Propaganda verkaufen lassen. Daher haben etliche InsurTechs ihre Geschäftsmodelle angepasst und verkaufen nun ihre Technologielösungen an die etablierten Unternehmen. Auf Seiten der Versicherer hat sich weitgehend die Erkenntnis durchgesetzt, dass der Zug der Digitalisierung nicht zu stoppen ist. Aus eigener Kraft ist das meist nicht zu stemmen, daher kooperieren viele Versicherer mittlerweile mit InsurTechs. Die jeweiligen Stärken der beiden Lager sind oft komplementär und ergänzen sich hervorragend. Während die InsurTechs über innovative und stark Kundenzentrierte Lösungen verfügen, haben die Versicherer Zugang zu Millionen von Kunden und deren Daten, sowie hohe finanzielle Mittel.

Werden InsurTechs wie die Digital Insurance Group dafür sorgen, dass es den "klassischen" Versicherungsmakler in ein paar Jahren nicht mehr gibt?

Da fallen Sie ja gleich mit der Schreckensvision einer ganzen Branche ins Haus! Tatsächlich arbeiten wir – und eine Vielzahl anderer InsurTechs – gerade daran, die etablierten Konzerne inkl. ihrer Vertriebsorganisationen fit zu machen für die digitale Zukunft. Dabei geht es nicht nur darum, die Makler mit neusten Gadgets auszustatten oder die Kundenkommunikation komplett über Chatbots und Robo-Advisor abzuwickeln. Vielmehr müssen die Incumbents lernen, ihre über Jahrzehnte gewachsene Kultur in eine digitale und daten-basierte DNA umzuwandeln. Eine "Digitale DNA" ist zwar kein primär technisches Thema – es geht im ersten Schritt um die absolute Fokussierung auf die Probleme des Kunden. Allerdings erfordert dies auch einen agilen und leistungsfähigen IT-Unterbau. Das ist aber genau das Problem: die komplexe und über Jahrzehnte gewachsene IT Landschaft stellt oft die grösste Hürde zur Digitalisierung dar.

Selbstverständlich werden in der Versicherungswirtschaft etliche Makler, Mitarbeiter und Führungskräfte diesen Paradigmenwechsel aus unterschiedlichsten Gründen nicht mittragen wollen. Dabei ist es unbestritten, dass z.B. die Nutzung von digitalen Tools nicht nur dem Kunden zu Gute kommt sondern auch die Produktivität der Vertriebsmannschaft und die Effizienz der Prozesse massiv erhöht.
Der klassische Makler wird kurzfristig nicht aussterben, allerdings wird sich deren Zahl massiv verringern. Die guten Makler werden sich die neuen Technologien zu Nutze machen und somit ihre Produktivität und Kundenprofitabiliät stark erhöhen.

Wo steht denn der Kunde in diesem spannenden und sich fast täglich verändernden Spielfeld?

Im Grunde genommen immer noch genau im Mittelpunkt – und nicht selten sogar prominenter und selbstbewusster als je zuvor. Zur Hauptmotivation der ersten InsurTech-Gründungen gehörte ja eben auch, dass sich die klassischen Assekuranzkonzerne fast nur noch mit sich selbst zu beschäftigen schienen und mit dem Kunden lediglich anlässlich der jährlichen Beitragserhöhungen kommunizierten. Dies ist natürlich ein wenig überspitzt dargestellt, aber sehr viele Kunden fühlten sich bezüglich ihrer aktuellen und zukünftigen Bedürfnisse überhaupt nicht mehr "abgeholt". Hier hatten die neuen InsurTechs dann natürlich vergleichsweise leichtes Spiel, da Gründer und Mitarbeiter intuitiv die richtige Tonalität trafen und die richtigen Kanäle "bespielten". Zudem wurden auch die Produkte extrem schlank und ohne Firlefanz genau auf die Wünsche der Zielgruppe hin entwickelt.

Was können denn nun InsurTechs und Incumbents voneinander lernen?

Gründer und Mitarbeiter der InsurTechs rekrutieren sich zu einem sehr großen Teil aus der avisierten und zukunftsträchtigsten Hauptzielgruppe – dementsprechend benötigen sie üblicherweise auch keine "Trend-Scouts", um die angemessene Tonalität und die passenden Kommunikationskanäle zu finden und einzusetzen. Diese neue Form des Customer Engagements führt zu einem Aufbau von Vertrauen und Loyalität, niedrigeren Akquisitionskosten und somit auch zu einem höheren Customer Lifetime Value.

Da Start-ups häufig mit kleinen Budgets starten, ist der Produktentwicklungsprozess agil und schnell. Das Motto lautet dabei: eine Minimalversion (MVP) zügig einzuführen, Feedback von Kunden einholen, verbessern, und erst dann skalieren. Der Kunde wird somit indirekt an der Produktentwicklung beteiligt, mit positiven Effekten auf die Kundenzufriedenheit und Weiterempfehlung an Freunde. Die noch sehr Tech-orientierten Start-ups können andererseits von den etablierten Versicherern lernen, sich nicht nur auf AI und Platform Economy zu konzentrieren, sondern den menschlichen Faktor – anhand des Beispiels langjähriger persönlicher Beziehungen zwischen Maklern und Kunden – im Gesamtkonzept fest zu integrieren. Insbesondere bei beratungsintensiven Produkten kommen die Chat-Bots und Robo-Advisor an Ihre Grenzen. Das wird sich in den nächsten Jahren ändern. Allerdings verfügt der Mensch immer noch über einen enormen Wettbewerbsvorteil, nämlich Empathie und Kreativität.

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Wir werden künftig noch mehr Kooperationen zwischen InsurTechs und Assekuranzunternehmen sehen. Die wahren Angstgegner der Versicherer sind die datengetriebenen, global agierenden und finanziell hervorragend ausgestatteten Technologie- und Plattformgiganten. InsurTechs können Incumbents wertvolle Unterstützung bieten um Innovationen schneller voranzutreiben, Ökosysteme aufzbauen und ihre Kundebeziehungen zu stärken.

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