Obwohl der Technik-Gigant Google enorme Gewinne einfährt, zahlt er international vergleichsweise wenig Steuern. Der Mutterkonzern Alphabet konnte seinen Umsatz 2018 um 23 Prozent auf 136,8 Milliarden US-Dollar steigern, so berichtet das Unternehmen: Das sind umgerechnet 119,80 Milliarden Euro. Dass der Nettogewinn sich zugleich mehr als verdoppelt hat, von 12,7 auf 30,7 Milliarden Dollar, hat auch mit zahlreichen Steuertricks und Schlupflöchern zu tun:

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20 Milliarden Euro auf die Bahamas transferiert

In den USA zahlte Alphabet 2018 4,2 Milliarden Dollar Einkommenssteuer. Das sind mehr als acht Milliarden Dollar weniger als im Vorjahr. Möglich machte das nicht nur Trumps Steuerreform, sondern auch Tricks, mit denen sich der Gewinn kleinrechnen lässt.

Ein Beispiel: So müssen deutlich weniger Steuern in den USA gezahlt werden, wenn Teile des Lohnes von Führungskräften nicht als Geld überwiesen wird, sondern über Aktienoptionen ausgeschüttet. Diese Form der Zahlung darf vom Unternehmensgewinn abgesetzt werden. Das Paradoxe daran: Je mehr eine Aktie im Wert steigt, desto höher auch die Option — und umso mehr rechnen die Konzerne vom Gewinn weg. Allein mit diesen Trick sparen Amazon und Google pro Jahr einen Milliardenbeitrag, so schätzen Experten. Die Regel geht auf ein Gesetz zurück, das bereits Bill Clintons Regierung eingeführt hat.

Doch besonders trifft die Kreativität in Sachen Steuervermeidung die Europäische Union. Hier schleuste Google laut Recherchen der Finanzzeitung „FD“ 2017 fast 20 Milliarden Euro über die Niederlanden auf die Bahamas, wo wiederum eine irische Google-Holding sitzt. Auf der Karibikinsel wird gar keine Einkommenssteuer fällig. Schon 2016 schaffte der Konzern derart 16 Milliarden Euro aus dem europäischen Kontinent. Das Magazin beruft sich auf Daten der niederländischen Handelskammer. Das Vorgehen ist legal: Steueroasen machen es möglich. Apple und Amazon nutzen ähnliche Schlupflöcher, auch deutsche Konzerne.

Nun soll der deutsche Mittelstand zahlen

Doch während die Politik nahezu weltweit dabei versagt, die großen Tech-Konzerne angemessen zu besteuern, soll nun der deutsche Mittelstand für die Versäumnisse zahlen. Das zeigen Recherchen des ZDF-Magazins „Frontal 21“ und der „Wirtschaftswoche“. So plane das Bundesfinanzministerium, die sogenannte Quellensteuer nach §50a Einkommensteuergesetz auch auf Werbeanzeigen anzuwenden, die deutsche Unternehmen bei ausländischen Tech-Konzernen wie Google, Amazon und Co. schalten. Pro Werbeanzeige werden dann 15 Prozent an Steuerlast fällig.

Die Quellensteuer war ursprünglich eingeführt worden, um ausländische Bands und Künstler zu besteuern, wenn sie in Deutschland auf Tournee gehen. Die Idee: Der Konzertveranstalter tritt zunächst das Geld an den Fiskus ab und holt es sich später von den Künstlern zurück. In ähnlicher Weise sollen nun deutsche Mittelständler das Geld zunächst vorschießen, wenn sie bei ausländischen Online-Anbietern Werbung schalten — und sich später dann das Geld von Google, Amazon und Co. wiederholen. Auch Versicherer, Vertreter und Makler wären davon betroffen, wenn sie die sozialen Medien für Werbeanzeigen genutzt haben.

Tatsächlich gibt es bereits Finanzämter, die diese Steuer von Mittelständlern einnehmen wollen. Eine fragwürdige Vorreiterrolle hat hier das Bundesland Bayern. Die bayerischen Finanzämter haben bereits mittelständische Firmen angeschrieben, um das Geld einzufordern. Und damit in ernste Nöte zu bringen. Denn das Geld muss sieben Jahre rückwirkend gezahlt werden: auf alle im Netz erstellten Werbeanzeigen bei ausländischen Plattformen. “Für viele Unternehmen sind solche Steuerforderungen existenzbedrohend“, erklärt Christoph Wenk-Fischer, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes E-Commerce und Versandhandel (bevh).

Plötzlich bis zu vier Millionen Euro zusätzliche Steuerlast

Was das bedeutet, muss gerade der mittelständische Rolladen-Hersteller Schönberger erfahren. Bei einer Betriebsprüfung wurde das Unternehmen mit 170 Mitarbeitern mit den zusätzlichen Zahlungen an den Fiskus konfrontiert. Geschäftsführer Michael Mayer rechnet mit einer Summe in Höhe von zwei bis vier Millionen Euro, so erzählt er ZDF-Frontal im Fernsehbeitrag.

Für viele Unternehmen kann das auch deshalb das Aus bedeuten, weil sie keine Rückstellungen für solche Fälle gebildet haben. Und speziell für junge und onlineaffine Firmen und Start-ups ist das ein Nackenschlag, denn plötzlich ist das Werben im Netz mit deutlichen Mehrkosten verbunden. Im Zweifel stehen die zusätzlichen Steuer einer Unternehmensgründung im Weg.

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Die Pläne sorgen bei Steuerexperten für Kopfschütteln. Die Chance der deutschen Mittelständler, sich das Geld bei Google & Co. zurückzuholen, tendiere gegen null, sagt Manuel Theisen, emeritierter Steuerrechtler der Ludwig-Maximilians-Universität München. “Das ist reine Theorie, Wie soll ein bayrischer Einzelunternehmer an Google herankommen, an dem sich die Finanzverwaltungen dieser Welt die Zähne ausbeißen?“, fragt Theisen.

...Steuer noch nicht entschieden

Gegenüber der WirtschaftsWoche hat das Bundesfinanzministerium bestätigt, dass es prüfe, diese Google-Steuer über mittelständische Firmen eintreiben zu lassen. Es bestehe aber „noch keine abgestimmte Auffassung der Finanzverwaltung des Bundes und der Länder“. Gegenüber dem ZDF sagte auch das bayerische Ministerium für Finanzen, dass es auf eine derartige Anweisung warte. Die Finanzämter des Freistaates seien angewiesen, “die betroffenen Fälle bis zur endgültigen Festlegung einer bundeseinheitlichen Verwaltungsauffassung offen zu halten“.

Thomas Kriesel vom Digitalverband Bitkom bezeichnet das Vorgehen der Steuerbehörden gegenüber Merkur Online als „Unding“. Zum einen sei gar nicht sicher, ob Google die Einnahmen aus Werbung in Deutschland besteuern müsse. Doch selbst, wenn das der Fall ist, müssten dann die Mittelständler für die Steuerschuld anderer Unternehmen haften: ein absolutes „Novum“. Er wirft der Finanzverwaltung eine Fehlinterpretation des Gesetzes vor: Sie würde das Gesetz zu sehr über den Wortlaut hinaus dehnen.

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Auf eine besondere Pointe macht mit Blick auf den deutschen Mittelstand das "Handelsblatt" aufmerksam. Deutschland und Irland – wo Google in Europa seinen Firmensitz hat – haben ein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung. Deshalb müsste das vom Fiskus eingenommene Geld nach Irland fließen. "Der Fiskus hätte also deutsche Mittelständler geschädigt – ohne mehr Steuern einzunehmen", heißt es im Text.

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