Emotionalität und Rationalität werden als Gegensätze in unserer Gesellschaft angesehen. Diese Gegenüberstellung ist jedoch eine Fehlleitung, die zu der gängigen Annahme führt, es gäbe Kopf- und Gefühlsmenschen. Das Gegenteil von rational ist jedoch irrational und von emotional - emotionslos.

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Irrationale Emotionalität drückt sich in mangelnder Impulskontrolle aus, bei Kleinkindern häufig zu beobachten, da sie ungefiltert auf Außenreize reagieren. Wie man gelernt hat, seinen Emotionen Ausdruck zu verleihen oder eben nicht, spiegelt sich im Erwachsenenalter in der emotionalen Kompetenz wider. Emotionale Kompetenz beinhaltet beispielsweise, eine Rede mit rationalen Argumenten emotional vorzutragen, emotionale Kommunikationssignale des Gegenübers zu erkennen, die eigene Emotionalität wahrzunehmen und transparent zu kommunizieren. Genau hier liegt die Emotion begraben. Das beruflich anerkannte Fassadenleben führt dazu, dass viele verbergen, mit welchen Gedanken und Gefühlen sie tatsächlich zu kämpfen haben:

Resultierend aus der Vorannahme, dass nur bestimmte Verhaltensweisen den Erfolg garantieren, ist ein Handlungsideal in der Arbeitswelt entstanden. Die Handlungserwartung findet sich in Attributen wie Durchsetzungsfähigkeit, Leistungsstärke, Lösungs- und Ergebnisorientierung wider. Derzeit sind 17,8 Millionen der Erwachsenen-Bevölkerung mindestens einmal psychisch erkrankt. Die Versicherungsbranche fürchtet, dass psychische Erkrankungen zum Massenproblem werden. Nicht selten gibt es Auseinandersetzungen wegen der Zahlungen bei Berufsunfähigkeit, was sich negativ auf die Reputation des Versicherers auswirken kann. In der emotionalen Kompetenz liegt gerade für Versicherungsgesellschaften eine große Chance.

Die rationale Erklärung für emotionale Notwendigkeit

Über die physischen Grundbedürfnisse Hunger, Schlaf und Durst hinaus, gibt es psychische Grundbedürfnisse. Wie viele es gibt und welche genau das sind, variiert in den unterschiedlichen psychologischen Theorien. Grundbedürfnisse definieren, was der Mensch braucht, um sein Wohlbefinden zu steigern.

Das Bedürfnis nach Bindung spielt gerade in den ersten Lebensjahren eine wichtige Rolle. Wie man Bindung erfahren hat, beeinflusst die Beziehungsfähigkeit des Erwachsenen und manifestiert sich als innere Haltung zu sich und zu anderen. Mit Annahme einer Führungsrolle legt keiner seine innere Einstellung ab. Im Gegenteil. Machtstreben bekommt aus der Führungsrolle heraus die Legitimation, über Dominanz und Machtdemonstrationen zu führen. Mitarbeiter, die sich unterwerfen, gehen in eine angepasste Haltung, um Ärger zu vermeiden und erdulden das Verhalten. Solche Interaktionen sind im Kindesalter durchaus sinnvolle Bewältigungsmechanismen, für den erwachsenen Menschen jedoch unangemessen und daher meist unbrauchbar. Derartige Verhaltensweisen haben eine toxische Wirkung im beruflichen Umfeld. Das Karriereberatungsunternehmen von Rundstedt hat in einer repräsentativen Umfrage die häufigsten Kündigungsgründe ermittelt. Mit 65 Prozent ist der zweithäufigste Grund für eine Kündigung die Stimmung im Team.

Das Grundbedürfnis nach Selbstwert kommt aus dem Bestreben, sich gut und kompetent zu fühlen. Arbeit schafft Identität und ist immer noch die in unserer Gesellschaft „gängigste“ Art sich selbstwirksam zu erleben. Das sollten Unternehmen berücksichtigen. Mehrarbeit, fehlender Ausgleich sowie die Mitarbeiterleistung als selbstverständlich zu erachten ist laut der bereits erwähnten Studie mit 68 Prozent der Hauptkündigungsgrund. Eine offene Feedbackkultur, die Würdigung der Mitarbeiterleistung und das Fördern von Potenzialen stärkt den Selbstwert der Mitarbeiter. Der positive Umgang mit Fehlern im Unternehmen und die Ermutigung als Führungshaltung führen über Zutrauen zu Selbstvertrauen. Selbstwert und Selbstvertrauen bilden sich aus Lern- und Erfahrungsprozessen.

Von Geburt an streben Menschen danach, lustvolle Erfahrungen zu machen und schmerzhafte zu vermeiden. Prokrastination ist das Resultat eines natürlichen menschlichen Grundbedürfnisses. Es ist wichtig, den Umgang mit Unlustgefühlen zu erlernen, weil im Leben immer Dinge gefordert werden, die zwar keine Freude bereiten, jedoch zielführend sind. Lustvolle Arbeitserfahrungen werden mit Flow-Erleben gleichgesetzt, die intrinsische Motivation im Tun voll und ganz aufzugehen. Aus Unternehmersicht werden Mitarbeiter, die besonders gut für eine Aufgabe geeignet sind, bevorzugt beauftragt. Aus Mitarbeitersicht setzt erst die Neigung, gepaart mit der Eignung, die intrinsische Motivation frei. Die simple Frage, welche Tätigkeit Spaß bereitet, hat ein großes Wirkungspotenzial.

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Das Bedürfnis nach Orientierung und Kontrolle beinhaltet, dass Menschen die Welt, in der sie leben, verstehen und in gewissem Maße sogar vorhersehen wollen. Die Kontrolle zu verlieren ist gleichbedeutend mit dem Verlust von Eigenmacht, die häufig als Ohnmacht erlebt wird. Gerade in Veränderungsprozessen ist das Informationsbedürfnis der Mitarbeiter sehr hoch. Versäumt das Unternehmen seine Informationspflicht, wird Energie nicht in Arbeit, sondern in Angst gebunden und äußert sich nicht selten in Form von Flurfunk. Die Sinnhaftigkeit der Arbeit im Kontext von Unternehmenserfolg zu vermitteln, wertorientiertes Führen, transparente Kommunikation, die Stimmigkeit zwischen Wort und Tat geben letztlich Orientierung und Sicherheit.

Eine psychische Bemessungsgrundlage wäre ein Ansatz

Emotionen, Denken und Handeln sind eng miteinander verknüpft. Emotionsbewusstsein und der bewusste Umgang damit, erweitert die Denk- und Handlungsalternativen. Zudem können Potenziale nur dann voll entfaltet werden, wenn Unternehmenskulturen berufliche Fassaden gegen Ganzheitlichkeit tauschen.

Neue Formen der Unternehmenssteuerung setzten im Wandel vermehrt auf zwischenmenschliche Kooperation, bedingt durch zunehmende Projektarbeit und steigende Selbstverantwortung. Emotionale Kommunikationssignale erkennen und seine eigenen Emotionen benennen zu können, gewinnt zunehmend an Bedeutung. Die wenigsten Probleme im beruflichen Kontext entstehen auf Grund mangelnder Fachkompetenz, viel mehr als Folge unzureichend entwickelter emotionaler und sozialer Kompetenz.

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Der Umbruch in der Arbeitswelt fordert den Arbeitnehmer stärker. Die Fähigkeit, erwünschte Emotionen zu erzeugen und unerwünschte Emotionen zu verlassen, nennt sich Emotionsregulation und ist eine Kernkompetenz des Selbstmanagements zum Erhalt psychischer Gesundheit. An dieser Stelle wird der Wandel auch die Coaching- und Beraterbranche fordern. Neue Anforderungen können nicht mit alten Vorgehensweisen bewältigt werden.

Die Versicherungsbranche könnte sich diese Entwicklung zu nutze machen und durch gezielte Maßnahmen, wie der Förderung spezieller Coachings oder Kooperationen mit Unternehmen, eine psychische Bemessungsgrundlage schaffen. Somit würde die Verantwortung zwischen Versicherungsnehmer, Unternehmen und Versicherungen gerecht verteilt und die bloße Verlagerung der Problematik unterbunden werden.

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Amel Lariani

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