Die Betroffenen: Ehemalige Mitarbeiter der Volksfürsorge

Schritt für Schritt kam das Ende für die Volksfürsorge, einst eine der fünf erfolgreichsten Lebensversicherungen in Deutschland: Zum 1. Januar 2009 fusionierte das Hamburger Unternehmen mit der in München ansässigen Deutschland-Tochter des italienischen Assekuranzriesen Generali, wurde dann durch Umstrukturierungen zu einer reinen Vertriebsgesellschaft der Generali.

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Durch vollständige Integration der Vertriebsgesellschaft in den Mutterkonzern verschwand im Jahr 2015 die Traditionsmarke ganz vom Markt. Die Auflösung der Marke ging mit dem Ziel der Italiener einher, 50 Millionen Euro einzusparen – Stellen wurden verlagert und abgebaut, Strukturen verschlankt. Ein keineswegs ungewöhnliches Vorgehen zu dieser Zeit, wie 2015 sogar Hans-Jürgen Klempau von der Gewerkschaft Ver.di herausstellte: In Zeiten niedriger Zinsen mussten auch andere Versicherer ihre Leben-Branche von Grund auf umgestalten, gezwungenermaßen (der Versicherungsbote berichtete).

Aber geht bei den notwendigen Einsparungen alles mit rechten Dingen zu? Ausgerechnet bei Zahlungen für die Betriebsrente der ehemaligen Konzerntochter stellt sich diese Frage, denn das Triester Unternehmen kürzt ehemaligen Angestellten der Volksfürsorge vertraglich zugesicherte Betriebsrenten. Dabei beruft sich die Generali auf eine Notklausel, obwohl man auch 2015 – trotz der Krise bei der Leben-Sparte – gute Gewinne vorwies.

Verträge garantieren Anpassungen in Höhe der gesetzlichen Rente – für den Normalfall

Die Bestimmungen des Versorgungswerks, das die Volksfürsorge für die Altersabsicherung ihrer Mitarbeiter errichtete, sind vorbildlich. Laut Vertrag werden die Betriebsrenten den Renten der gesetzlichen Rentenversicherung angepaßt, um einen Inflationsausgleich zu schaffen. Die Anpassung soll zum gleichen Zeitpunkt erfolgen, zu dem die Renten der gesetzlichen Rentenversicherung verändert werden.

Wenn da nur diese Klausel nicht wäre! Ermöglicht doch eine Ausnahmeregel, gedacht für Notzeiten, diese Bestimmung auszuhebeln. Sobald der Vorstand die Veränderung der Gesamtversorgungsbezüge „nicht für vertretbar“ hält, darf er vorschlagen, „was nach seiner Auffassung geschehen soll“. Der Betriebsrat hat nur Anhörungsrecht. Die etwas vage Formulierung nutzt die Generali nun als Stolperstein.

Der Konzern nämlich meint, Probleme der Branche rechtfertigten bereits die Anwendung der Klausel, und kürzt den Betriebsrentnern fleißig die Bezüge. Für 2015 hätte der Versicherer die Renten um 2,1 Prozent, für 2016 gar um 4,25 Prozent anheben müssen. Stattdessen aber hat der Vorstand der Generali Deutschland AG konzernweit die Erhöhung seit 2015 bei 0,5 Prozent eingefroren.

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Es geht um Beträge, die keineswegs zu verachten sind: über 8 Millionen Euro werden den über 5.000 Pensionären der ehemaligen Volksfürsorge seit 2015 vorenthalten, jährlich. Die Einsparungen in Millionenhöhe seien notwendig, um auch in Zukunft die Verpflichtungen „gegenüber Versicherungsnehmern, Aktionären, Mitarbeitern und gerade auch Betriebsrentnern“ erfüllen zu können, wie der beklagte Konzernriese in einer Verhandlung vor dem Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz geltend machen wollte (siehe das Urteil des LAG Rheinland-Pfalz vom 11.01.2018 – 5 Sa 161/16). Mehrere tausend Euro stehen seit 2015 für jeden Rentner im Schnitt auf dem Spiel.

Konzern verlangt „Beitrag zur Stärkung und Zukunftssicherung des Unternehmens“

Nun gibt es in der Tat eine Vielzahl von Bedingungen gerade in der Leben-Sparte, die in den letzten Jahren das Geschäft erschweren. Eine Urteilsschrift des Landesgerichts Hamburg (Urteil vom 29.06.2017 – 7 Sa 29/17) zählt Schwierigkeiten aus Sicht des Konzerns ausführlich auf:

  • "ein schwieriges ökonomisches Umfeld durch langanhaltende Niedrigzinsen
  • demographische Trends und kulturelle Umbrüche (zum Beispiel Digitalisierung, Langlebigkeitsrisiko)
  • ein abschwächendes Wachstum im Versicherungsmarkt in 2015
  • steigende Anforderungen zur Regulierung (Kapitalisierungsanforderungen durch Solvency II, Umsetzung Lebensversicherungsreformgesetz);
  • steigende Kundenanforderungen (hohe Preissensitivität, sinkende Loyalität)“

Jedoch: Warum sollen ausgerechnet die Betriebsrentner einen „Beitrag zur Stärkung und Zukunftssicherung des Unternehmens“ leisten, wie der Triester Versicherer fordert? Diese Frage stellten sich auch die Gerichte, nachdem erste Verfahren durch Betroffene angestrebt wurden. Und die Urteile geben den Betriebsrentnern, nicht jedoch der Generali Recht. So hätte der Konzern laut Urteil des Landesgerichts Rheinland-Pfalz nicht darstellen können, „warum andere Maßnahmen – als die Nichtanpassung der Betriebsrenten an die gesetzliche Rentenentwicklung – nicht ausreichen“, um die Finanzlage des Konzerns zu stabilisieren. Besonders wurde in diesem Urteil auf das Geschäftsergebnis verwiesen: „Das gilt erst recht unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Beklagte im Geschäftsjahr 2014 einen Jahresüberschuss von € 236 Mio. und im Jahr 2015 einen Gewinn von 8,9 Mio. erzielt hat.“

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Der Verdacht: Spielt der italienische Konzern auf Zeit?

Dieses Urteil des Landesgerichts Rheinland-Pfalz lässt den Grundtenor anklingen, der sich durch mehrere Urteile zog, die bisher zu den Klagen gefällt wurden. Arbeitsgerichte, Landesarbeitsgerichte – stets musste die Generali eine Niederlage einstecken, ging stets in Berufung oder Revision. Auch Urteile vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) gingen zwar zugunsten der klagenden Betriebsrentner aus. Aber die Generali bleibt unerbittlich und hofft auf zwei Urteile der Landesarbeitsgerichte Hamburg und Hessen, die aufgehoben und zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen wurden. Generali-Sprecher Dirk Brandt gegenüber der Morgenpost. „Die Verfahren gehen also weiter.“

Dass auch die Betriebsrentner nicht gegenüber dem Konzernriesen klein beigeben, zeigt die zunehmende Klagewelle: Einer der betroffenen Betriebsrentner, Klaus-Peter Kussmann, hat eine Selbsthilfegruppe gegründet. Er startete die Homepage „www.keinesorge.org“, überzeugte andere Betriebsrentnerinnen und Betriebsrentner vom Klageweg. Über 1000 Betroffene haben mittlerweile bereits gegen den Versicherungsriesen geklagt. Und doch könnte die Zeit für die Generali ticken: Tausend Klagen, das bedeutet zugleich, 4.000 Betroffene haben noch nicht geklagt. Und Ende diesen Jahres beginnt die Verjährung für Ansprüche, wie aus einem weiteren Bericht der Morgenpost zu entnehmen ist. Dass einige der Klagenden hochbetagt sind, lässt besonders bitter aufstoßen, wenn man der Generali unterstellen wollte, sie spiele auf Zeit.

Beschädigtes Vertrauen als Gefahr

Als im Mai diesen Jahres die Probleme vieler Pensionskassen aufgrund niedriger Zinsen und hoher Garantieversprechen offensichtlich wurden, appellierte Frank Grund, oberster Versicherungsaufseher bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin): die Kassen sollten „bei Trägern oder Aktionären rechtzeitig Unterstützung einzufordern", damit die Rentner "nicht weniger erhalten müssten“. Die Bitte zeigte wohl erste Wirkung, wie in der letzten Woche bekannt wurde (der Versicherungsbote berichtete).

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Die Generali jedoch sendet andere Signale: Selbst Betriebsrentner eines ehemaligen Tochterunternehmens können nicht mit den vertraglich garantierten Renditen rechnen, obwohl der Konzern derzeit mit seinen hohen Gewinnen wirbt (wie im Versicherungsboten nachzulesen). Dadurch könnte nicht nur das Vertrauen in die wichtige Säule der betrieblichen Altersvorsorge beschädigt werden. Der Konzern setzt möglicherweise ein weiteres wichtigstes Gut aufs Spiel: Seine Glaubwürdigkeit für den Versicherungsfall auch in anderen Geschäftssparten.

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