Mehr als 1,4 Millionen Menschen waren in Deutschland 2016 erwerbstätig, obwohl sie die Regelaltersgrenze bereits erreicht hatten. Damit hat sich die Zahl der arbeitenden Rentner seit dem Jahr 2000 nahezu verdreifacht: damals gingen noch hatten noch 539.000 Ruheständler einen Job. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Grünen hervor, über die das Magazin „Spiegel“ am Samstag berichtete.

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Minijobs und Selbstständigkeit

Die Bundesregierung beruft sich auf Stichproben des Statistischen Bundesamtes (Destatis), die auch Aufschluss darüber geben, welcher Art die Jobs der Rentner sind. 47,5 Prozent arbeiten in einem Minijob, während 24,8 Prozent als freie Unternehmer jobben. Der Grünen-Rentenexperte Markus Kurth sieht finanzielle Not als eine der Hauptursachen. „Der Wechsel vom Erwerbsleben in den Ruhestand ist keinesfalls so geregelt, dass alle Beschäftigten zurechtkommen“, sagte er dem „Spiegel“.

Doch die Gründe, dass sich die Senioren nicht zur Ruhe setzen, sind vielfältig. Laut dem Mikrozensus 2016, der größten regelmäßigen Haushaltsbefragung in Deutschland mit 830.000 Haushalten, ist für 37 Prozent der erwerbstätigen Rentner die Tätigkeit wichtigste Quelle des Lebensunterhalts. Das heißt, sie verdienten mit ihrem Job mehr, als sie Rente erhielten oder aus anderen Einnahmequellen schöpfen konnten. Hier zeigt sich eine große Abhängigkeit vom Job.

Auch eine Studie der Bertelsmann Stiftung kommt zu dem Ergebnis, dass künftig immer mehr Menschen von Altersarmut bedroht sind. Ursache ist, dass sich die Arbeitswelt wandelt und prekärer wird: Viele Erwerbstätige sind in ihrem Berufsleben nicht an eine Firma gebunden, sondern zwischenzeitlich auch arbeitslos, verdienen gering oder arbeiten nur Teilzeit. Die gesetzliche Rentenversicherung habe darauf keine Antwort. Rund 20 Prozent derer, die heute Ende Vierzig seien, sind demnach bei Renteneintritt von Armut bedroht: also jeder Fünfte, der zwischen 2031 und 2036 in Rente geht. Sie werden ohne Hilfe des Staates oder einem Nebenjob nicht über die Runden kommen.

Renteneintritt soll flexibler werden

Es gibt aber einen weiteren Aspekt: Viele Senioren arbeiten auch deshalb noch im Rentenalter, weil sie sich fit genug fühlen und im Job Erfüllung finden. In einer früheren Bertelsmann-Studie nannten demnach einerseits 68 Prozent der Befragten finanzielle Gründe, weshalb sie im Alter sich nicht zur Ruhe setzen, etwa um die Rente aufzustocken. Zugleich sagten auch 69 Prozent der befragten Rentner, sie arbeiteten deshalb, "weil es Spaß macht". Hier ist nicht finanzielle Not das wichtigste Motiv.

Bereits mit dem Flexirenten-Gesetz von 2016 hatte die Bundesregierung erste Schritte eingeleitet, damit der Renteneintritt flexibler werden kann. Ein Beispiel: Für jeden Monat, den ein Versicherter über das reguläre Rentenalter hinaus arbeitet und keine Rente bezieht, gibt es nun einen Rentenzuschlag in Höhe von 0,5 Prozent. Zusätzlich erhöht sich die Rente, weil der Senior weiter Beiträge zahlt. Damit kann die gesetzliche Rente schon deutlich aufgebessert werden.

Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) nennt auf ihrer Webseite ein Modellbeispiel: "Ein Durchschnittsverdiener (3.156 Euro pro Monat), der bei Erreichen der regulären Altersgrenze 45 Jahre Beiträge gezahlt hat, würde aktuell eine monatliche Bruttorente in Höhe von 1.396,35 Euro in den alten Bundesländern erhalten. Schiebt er seinen Renteneintritt um zwei Jahre auf und arbeitet weiter, beliefe sich sein Rentenanspruch nach heutigen Werten auf 1.633,42 Euro. Das entspricht einer Erhöhung um rund 17 Prozent", berichtet die DRV. Das Beispiel gilt für einen Ruheständler, der Jahrgang 1953 ist und die Regelaltersgrenze mit aktuell 65 Jahren und sieben Monaten erreicht.

Das aber reicht nach Ansicht von Wirtschaftsforschern nicht aus. Gert Wagner und Cornelius Richter, Wissenschaftler am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), fordern in einem Beitrag für die Sonntagsausgabe des "Tagesspiegel", dass alle Obergrenzen für Dauer und Zahl wegfallen sollen, wenn Arbeitgeber Rentner beschäftigen.

Jeder vierte Senior ab 55 Jahren ist arbeitssuchend

Damit wäre aber ein wichtiges Problem nicht gelöst: Gerade bei körperlich schweren Berufen, etwa im Straßenbau oder in der Pflege, sind viele Erwerbstätige schon vor Erreichen der Regelaltersgrenze körperlich nicht mehr in der Lage, ihren Job auszuüben, etwa weil Rücken und Gelenke nicht mehr mitspielen. Und mehr als 162.600 Senioren, die das 58. Lebensjahr überschritten haben, fallen mit einer Sonderregel aus der Arbeitslosenstatistik, weil ihnen kaum noch Chancen auf dem Arbeitsmarkt eingeräumt werden: Es handelt sich hierbei um Personen, denen mindestens ein Jahr lang kein Job angeboten wurde.

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Ohne diese Sonderregel wäre derzeit jeder vierte Senior über 55 Jahre, der die Regelaltersgrenze noch nicht erreicht hat, als arbeitssuchend gemeldet, so geht aus Daten der Bundesagentur für Arbeit hervor. Diese Menschen werden ihre Arbeitslosigkeit mit deutlichen Einbußen bei der gesetzlichen Rente bezahlen.

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