Ein Finanzvertrieb muss jede Buchung zweifelsfrei nachweisen, wenn er die Stornoreserve eines Handelsvertreters nach Ende der Zusammenarbeit nicht auszahlen will. Kann er dies nicht, so kann der Handelsvertreter schlichtweg bestreiten, dass die Abrechnung korrekt sei und eine Auszahlung verlangen. Dies hat das Oberlandesgericht Karlsruhe (OLG) mit einem Urteil bestätigt.

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Auf den Richterspruch machen aktuell unabhängig voneinander die Anwaltskanzlei Banerjee und Kollegen sowie Rechtsanwalt Alexander Lost aus Frankfurt am Main aufmerksam, der das Urteil erstritten hatte (OLG Karlsruhe, Urteil vom 13.09.2017, 15 U 7/17). Die Entscheidung ist veröffentlicht in der Zeitschrift für Vertriebsrecht, Jahrgang 2017, Heft 6, Seite 377, sowie als Kopie auf dem Blog von Alexander Lost.

Rechtsstreit um Stornoreserve

Im konkreten Rechtsstreit hatte eine Handelsvertreterin einen Vermögensberatervertrag mit der Deutschen Vermögensberatung (DVAG) geschlossen. Die Frau erhielt von der DVAG monatlich Provisionsabrechnungen, in denen die vermittelten Versicherungsverträge aufgeführt waren. Wie es der Handelsvertretervertrag vorsah, wurden hierbei die Provisionen nicht voll ausgezahlt. 90 Prozent der vorfinanzierten Summe landeten auf einem Diskontkonto.

Weitere zehn Prozent der Provision wurden jedoch als Stornoreserve auf ein spezielles Provisionsrückstellungskonto überwiesen. Diese Reserve dient dem Finanzvertrieb dazu, Stornierungen abzusichern, weil der Vermittler seine Provision ganz oder anteilig zurückzahlen muss, wenn der Kunde innerhalb einer bestimmten Frist kündigt. Ein Teil der Provision wird also als Sicherheit einbehalten: branchenüblich sind hierbei 10-20 Prozent.

Wenn ein Kunde seinen Versicherungsvertrag vorzeitig stornierte und die Beraterin folglich einen Teil der Provision zurückzahlen musste, so wurde dieser Betrag zunächst mit der Stornoreserve auf dem Provisionsrückstellungskonto verrechnet. Nur ein etwaiger verbleibender Saldo wurde vom Diskontkonto entnommen. Die Frau sparte knapp 11.800 Euro auf ihrem Reservekonto an.

DVAG klagt gegen frühere Vermögensberaterin - und verliert

Die DVAG verklagte ihre frühere Vertragspartnerin, nachdem diese sich weigerte, nach Ende der Zusammenarbeit Provisionen zurückzuzahlen. Dabei ging es -stark vereinfacht- um zwei Streitfragen.

So forderte die DVAG Provisionen für Verträge zurück, die Kunden abgestoßen hatten, nachdem die Frau bereits ihren Handelsvertretervertrag aufgelöst hatte. Dabei musste auch geklärt werden, ob die DVAG ausreichende Nachbearbeitungsmaßnahmen eingeleitet hatte, um diese Stornos zu verhindern. Das kann zum Beispiel bedeuten, dass der Vertrieb Kontakt mit dem Kunden aufnimmt, wenn der Weiterbestand des Vertrages gefährdet ist - etwa, weil er keine Beiträge mehr zahlt. Oder eine sogenannte Stornogefahrmitteilung an den Handelsvertreter sendet, damit dieser das Storno noch abwenden kann.

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Hier bestätigten die Richter, dass die Ex-Vermögensberaterin nachträgliche Forderungen der DVAG nicht akzeptieren muss. Der Grund war, dass die DVAG ihre Ansprüche nicht begründen konnte. " Zur Darlegung des Anspruchs auf Rückforderung vorschüssig gezahlter Provisionen aufgrund von Vertragsstornierungen hat der Unternehmer für jeden einzelnen behaupteten Rückforderungsanspruch dessen konkrete Gründe darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen. Hierzu gehört die Darlegung der ordnungsgemäßen Nachbearbeitung der einzelnen notleidenden Versicherungsverträge", heißt es im Urteilstext.

Provisionsabrechnung des Unternehmers hat Charakter eines abstrakten Schuldanerkenntnisses

Letztendlich musste die DVAG auch die Stornoreserve auf dem Provisionsrückstellungskonto an die Frau auszahlen. Hier hatte die DVAG argumentiert, dieser Betrag sei durch Verrechnungen abgeschmolzen, nachdem die beklagte Vermittlerin ihren Vermögensberatervertrag beendet hatte, weil die Stornohaftungszeiten noch nicht abgelaufen waren. Und konnte ebenfalls nicht den Nachweis erbringen, dass die Verträge storniert worden waren und man genügend Gegenmaßnahmen ergriff, um die Kunden zu halten.

In der Beweispflicht ist in diesem Fall der Finanzvertrieb, der ja auch die Provision und Reserve berechnet, und nicht die Vermittlerin. Der Vertrieb muss anhand jedes einzelnen Abrechnungspostens nachweisen, dass er die Provision zu recht zurückverlangen kann. "Der Unternehmer trägt die Darlegungslast zur Berechtigung der von ihm zur Verrechnung in die Abrechnung eingestellten Forderungen", heißt es im Urteilstext.

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Wenn der Finanzvertrieb den Nachweis nicht erbringen kann, kann der Handelsvertreter die Auszahlung der Stornoreserve verlangen. Und zwar, indem er sich darauf beschränkt, "die durch den Unternehmer abgerechnete Stornoreserve vorzutragen und die Berechtigung nachfolgender, durch den Unternehmer vorgenommener Verrechnungen zu bestreiten. Die Provisionsabrechnung des Unternehmers hat den Charakter eines abstrakten Schuldanerkenntnisses bezogen auf den jeweiligen Abrechnungszeitraum", betonten die Richter.

Nachbearbeitungen einzelfallbezogen vorzutragen

„Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat vorliegend die Grundsätze der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zutreffend auf den konkreten Fall angewandt, dass der Versicherer seine Nachbearbeitungen (egal ob selbst vorgenommen oder per Stornogefahrmitteilung) einzelvertragsbezogen vorzutragen hat", sagte Rechtsanwalt Alexander Lost dem Versicherungsboten. Kernpunkt sei unter anderem ein BGH-Urteil vom 28.06.2012 (Az. VII ZR 130/11) sowie das BGH-Versäumnisurteil vom 01.12.2010 (Az. VIII ZR 310/09).

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"Man kann deutlich den Zusammenhang zwischen dem Rückforderungsanspruch des Vertriebes und dem Anspruch des Vermittlers auf Auszahlung der Stornoreserve erkennen. Denn die Verträge, wegen derer der Vertrieb Provision zurückverlangt, sind in aller Regel dieselben, mit denen er die Stornoreserve verrechnet. Leider herrscht bei vielen Instanzgerichten eine gewisse Unsicherheit bei der Anwendung der Grundsätze des BGH. Diese müssen daher im Prozess exakt erläutert und nachgewiesen werden“, so Anwalt Lost.

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