Laut einer Datenauswertung der ARD droht mehr als 200 Berufsgruppen künftig Altersarmut. Das gelte selbst bei langer Lebensarbeitszeit: Das in den Berufen gezahlte mittlere Einkommen reiche demnach auch nach 45 Beitragsjahren zur Rentenkasse nicht aus, um eine auskömmliche Rente zu erhalten.

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Wer weniger als ein mittleres Einkommen von 2.387 Euro brutto im Monat verdiene, würde selbst dann nur eine gesetzliche Rente von weniger als 950 Euro erhalten, wenn er 45 Jahre in die Rente eingezahlt habe, berichtet die ARD. Dies markiert ziemlich genau die relative Armutsgefährdungsschwelle, die bei 60 Prozent des Medianeinkommens der Bevölkerung angesetzt wird.

Berufe im Einzelhandel, Frisöre, Zahnarzthelfer

Für die Berechnungen hat die ARD das Medianeinkommen verschiedener Berufsgruppen laut Statistischem Bundesamt für das Jahr 2016 herangezogen. Das Medianeinkommen ist die Summe, bei der es ebenso viele Menschen mit einem höheren wie mit einem niedrigeren Einkommen gibt: ein statistischer Wert, der einen Ausgleich schaffen soll, wenn wenige Spitzen- oder Geringverdiener die Statistik verzerren würden. Dieses Einkommen wurde dann der aktuellen Eckrente West und Ost nach 45 Beitragsjahren zur Rentenversicherung gegenübergestellt.

Das Ergebnis lässt aufhorchen. Wer unter 1.854 Euro im Monat verdiene, rutsche mit seiner Netto-Rente sogar unter Grundsicherungsniveau, berichtet tagesschau.de. Betroffen seien rund 50 Berufsgruppen: darunter auch viele Berufe im Einzelhandel, Wachpersonal, Kosmetiker, Bauern, Zahnarzthelfer oder Frisöre.

Als Faustregel gilt derzeit laut ARD: Wer mit seinem gesamten Alterseinkommen, also inklusive gesetzlicher, Betriebs- und privater Rente, unter 823 Euro liege, erhalte mit großer Wahrscheinlichkeit Grundsicherung im Alter. Zum Jahresende 2015 waren bereits 536.131 Personen in Deutschland darauf angewiesen: eine Verdoppelung innerhalb von nur zehn Jahren.

15 Prozent der Rentner fühlen sich arm

Ein weiteres Ergebnis des ARD-Rentenreports: Weit mehr Rentner, als offiziell auf Grundsicherung im Alter angewiesen sind, fühlen sich arm. Die Aussage „Ja, ich bin von Altersarmut betroffen!“, bejahten bei einer repräsentativen Umfrage von infratest dimap 15 Prozent aller Befragten. Doch laut offiziellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes sind derzeit weniger als drei Prozent der 20 Millionen deutschen Rentner auf Fürsorgeleistungen des Staates angewiesen.

Die Umfrage lässt also eine hohe Dunkelziffer bei der Altersarmut vermuten. Sozialverbände warnen, dass viele Rentner aus Unwissenheit und Scham die Grundsicherung nicht in Anspruch nehmen: sie hätten ein Anrecht darauf, scheuten aber den Gang zum Sozialamt. Aktuelle Zahlen fehlen hierzu. 2012 hatte die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung eine Studie präsentiert, wonach weniger als die Hälfte der Menschen, die Anrecht auf Grundsicherung hätten, diese auch tatsächlich beziehen würden.

Prognosen zur zukünftigen Altersarmut gehen weit auseinander

Wie viele Menschen in Deutschland von Altersarmut künftig betroffen sein werden, darüber gehen die Schätzungen weit auseinander. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di warnt, ein Drittel aller Beschäftigten erwarte 2030 selbst dann eine Rente von weniger als 800 Euro, wenn sie 45 Jahre Beiträge in die Rentenkasse eingezahlt haben.

Altersarmut drohe nicht nur wegen des sinkenden Rentenniveaus, sondern auch, weil immer mehr Menschen für einen kleinen Lohn und in prekärer Beschäftigung arbeiten müssen, warnt ver.di. "Die Teilzeitarbeit von heute ist die Altersarmut von morgen", heißt es in einem Positionspapier. Laut der gewerkschaftsnahen Böckler-Stiftung arbeitet derzeit jeder fünfte Deutsche für weniger als zehn Euro brutto pro Stunde.

Die Bertelsmann-Stiftung prognostiziert hingegen, dass im Jahr 2036 jeder fünfte Rentner armutsgefährdet sei. Das ist immer noch eine hohe Zahl - aber weniger drastisch als die ver.di-Prognose. Hintergrund der optimistischeren Schätzung ist auch, dass eine niedrige Rente nicht automatisch Altersarmut bedeuten muss. Viele Betroffene könnten etwa über zusätzliche Privatvorsorge, Immobilienbesitz oder das Einkommen des Partners einen Ausgleich schaffen.

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Zu einer noch optimistischeren Einschätzung kam die Bundesregierung in ihrem Armutsbericht 2017. „Die Altersgruppe der ab 65-jährigen ist durchschnittlich weniger von Armutsgefährdung betroffen als die Gesamtbevölkerung“, hieß es in dem Papier angesichts von drei Prozent Rentnern, die auf Grundsicherung im Alter angewiesen sind (der Versicherungsbote berichtete). Erstellt hatte den Armutsbericht das Ressort der scheidenden Bundesarbeits- und Sozialministerin Andrea Nahles (SPD). Doch auch diese Aussage erregte Kritik: Ihr Beraterkreis bemängelte, dass die potentiell hohe Dunkelziffer bei der Altersarmut nicht berücksichtigt werde.

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