Die Armutsquote in Deutschland ist im letzten Jahr leicht angestiegen, so dass nun 15,7 Prozent der Bevölkerung als armutsgefährdet gelten. Das berichtet das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, das hierfür Daten des Statistischen Bundesamtes ausgewertet hat. Die Zunahme beruhe ausschließlich auf einem spürbaren Anstieg beim Anteil der armutsgefährdeten Menschen mit Migrationshintergrund, heißt es in einer Pressemeldung des Institutes. Diese wuchs von 26,7 auf 27,7 Prozent (siehe Grafik 1).

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Die Armutsquote bei Menschen ohne Migrationshintergrund liege hingegen konstant bei 12,5 Prozent, so berichten die Forscher weiter. Mit anderen Worten: vor allem Flüchtlinge sind von Armut bedroht. „Die Daten widersprechen der Vorstellung, dass die Einwanderung zu einer Verarmung der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund beitragen würde“, sagt Studienleiter Eric Seils. „Es ist vielmehr so, dass die Neuzuwanderer aus den vergangenen beiden Jahren zeitverzögert in der Statistik auftauchen. Da sie meist ein sehr niedriges Einkommen haben, schlägt sich das nun in der Armutsquote nieder.“

Entwicklung der Armutsquoten nach Migrationshintergrund 2010-2015. Quelle: Destatis/WSI

Flüchtlinge und Einwanderer besonders armutsgefährdet

Als armutsgefährdet gelten nach gängiger wissenschaftlicher Definition Personen, die weniger als 60 Prozent des bedarfsgewichteten mittleren Einkommens in Deutschland haben. Oder als konkrete Zahl: weniger als 960 Euro monatlich. Bevölkerungsgruppen, die neu in die Bundesrepublik kommen, weisen demnach in den ersten fünf Jahren ihres Aufenthaltes ein besonders hohes Armutsrisiko auf.

Das gilt vor allem für Flüchtlinge aus arabischen Staaten: syrische (78,1 Prozent), irakische (65,0 Prozent), pakistanische (59,3 Prozent) und afghanische (58,1 Prozent) Einwanderer haben in den ersten fünf Jahren eine besonders hohe Armutsgefährdung. Die Gründe hierfür nennt die Studie nicht explizit. Diese wurden aber bereits von der Bundesagentur für Arbeit erörtert: fehlende Sprachkenntnisse, fehlende Qualifikationen beziehungsweise die mangelnde Anerkennung der bereits erworbenen Kenntnisse erschweren einen Einstieg auf dem deutschen Arbeitsmarkt.

Das zeigt sich auch an der fehlenden Bereitschaft vieler Unternehmen, Flüchtlinge zu beschäftigen. Für Aufsehen sorgte im Juli eine Umfrage der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, wonach die im DAX notierten Unternehmen bisher ganze 54 Flüchtlinge eingestellt haben. Zuvor hatte Daimler-Chef Dieter Zetsche bei der Automobilmesse IAA in Frankfurt gesagt, die Flüchtlinge könnten „Grundlage für das nächste deutsche Wirtschaftswunder“ werden. Wer seine Heimat zurück lasse und in ein neues Land komme, sei hoch motiviert.

Armutsrisiko sinkt mit zunehmender Aufenthaltsdauer

WSI-Forscher Seils warnt trotz der Ergebnisse davor, die Ergebnisse zu dramatisieren. So zeige sich im Vergleich mit vorangegangenen Einwanderergruppen, dass das Armutsrisiko von Einwanderern mit zunehmender Aufenthaltsdauer deutlich sinke. Sind innerhalb der ersten fünf Jahre des Aufenthaltes noch 41,9 Prozent der Zuwanderer armutsgefährdet, so sinkt deren Zahl nach zwanzig Jahren auf 20,3 Prozent (siehe Grafik 2).

Armutsquoten von Einwanderern nach Aufenthaltsdauer. Quelle: Destatis Mikrozensus / WSI

Es komme gleichwohl darauf an, die Einwanderer möglichst schnell ausreichend zu qualifizieren, damit sie ihren Unterhalt aus eigener Kraft bestreiten und sich in die Gesellschaft integrieren können, mahnt Seils. Dass das in der jüngsten Vergangenheit nicht immer gelungen sei, zeige die Armutsquote unter Migranten, die vor mehr als einem Vierteljahrhundert nach Deutschland gekommen sind: Von ihnen lebt noch immer mehr als ein Fünftel unterhalb der Armutsgrenze.

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