Wie weit gehen Krankenkassen, um ihren Mitgliedern einen möglichst niedrigen Zusatzbeitrag anbieten zu können? Sparen sie an der falschen Stelle und treffen gar Entscheidungen, die das Patientenwohl gefährden? Diese Frage erlaubt ein Vorfall aus Thüringen, von dem die Ostthüringer Zeitung (Samstag) berichtet.

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Die Patientin Anita M. sah sich nicht nur mit einer schrecklichen Diagnose konfrontiert – ein Hochrisikotumor in der Brust, lebensbedrohlich. Zudem sollte die Thüringerin 1.700 Euro an Taxirechnungen zur Chemotherapie selbst zahlen. Ihre Krankenkasse, die AOK Plus, weigerte sich, die Anreise zum Brustkrebszentrum in Gera zu übernehmen. Lediglich 365 Euro wollte die Ortskrankenkasse erstatten – soviel, wie die Fahrt zur nächstgelegenen Chemotherapie-Praxis gekostet hätte.

Die AOK Plus begründete ihr Nein zur Kostenübernahme mit der fehlenden medizinischen Notwendigkeit. Man übernehme nur „unvermeidbare Aufwendungen“, die „für den Weg zwischen der Wohnung des Patienten und der nächstgelegenen Behandlungseinrichtung“ entstehen, erklärte eine Sprecherin auf Anfrage der Regionalzeitung. Natürlich könnten Patienten der AOK Plus ihre Behandlungseinrichtung frei wählen - eventuell entstehende Mehrkosten müssten sie aber selbst tragen.

Behandlung in Brustkrebszentrum dringend angeraten

Bei dem behandelnden Chefarzt Dirk-Michael Zahm vom SRH-Waldklinikum in Gera sorgt die Ablehnung der Fahrtkosten für Kopfschütteln. Zwar sei theoretisch auch eine Behandlung in der nächstgelegenen Einrichtung möglich gewesen. „Das war aber nicht zu empfehlen, weil es sich nicht um ein zertifiziertes Brustzentrum handelt“, zitiert die OTZ den Mediziner. Weil die Frau an einer besonders schweren Tumorerkrankung gelitten habe, sei eine Behandlung in einer spezialisierten Klinik der richtige Schritt gewesen. Die Einrichtung hingegen, welche die Patientin nach Auffassung der AOK Plus hätte aufsuchen sollen, verfüge über keine Erfahrung mit Brustkrebs. Im Zweifel eine Entscheidung über Leben und Tod.

Ärgerlich ist die Ablehnung auch deshalb, weil die Krankenkassen selbst auf die Schaffung solcher Kompetenzzentren gedrängt hatten. Damit nicht jede Klinik das ganze Repertoire an Behandlungen anbieten muss, sondern sich darauf spezialisieren kann, was sie am besten beherrscht. So sollten Doppelstrukturen abgebaut und Gelder eingespart werden. „Wenn eine Kasse die Fahrt zu einem solchen Zentrum nicht mehr zahlt, torpediert sie doch die eigene Qualitätsoffensive“, klagt Zahm. Dem Gynäkologen sind weitere Beispiele bekannt, in denen die AOK Plus die Anreise von Patientinnen nicht übernehmen wollte.

Medizinische Notwendigkeit? Bei manchen Kassen "Ja", bei anderen "Nein"!

So ergibt sich nun eine absurde Situation. Andere Krankenkassen erstatten nach wie vor die Anreise zu solchen Kompetenzzentren, erklärt Zahm – weil man eben die medizinische Notwendigkeit einer spezialisierten Behandlung anerkenne. Gutachten der Ärzte in Gera hätten der Patientin zudem bescheinigt, dass die nächstgelegene Einrichtung in diesem Fall eben nicht für eine Behandlung geeignet gewesen wäre. Die AOK Plus stellt sich weiter quer - und beruft sich auf eine Einschätzung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung.

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Für die betroffenen Patientinnen ist die Situation sehr bitter. Neben der lebensbedrohlichen Diagnose sehen sie sich zusätzlich mit hohen Kostenforderungen ihrer Krankenkasse konfrontiert. Patientin Anita M. will nun gegen die AOK vor dem Sozialgericht klagen. So droht eine lange juristische Auseinandersetzung - förderlich für den Heilungsprozess ist das nicht.
Laut Ostthüringer Zeitung hat die AOK Plus zu einem früheren Zeitpunkt übrigens selbst für derartige Mehrkosten bei der Anreise gezahlt: bis zu jenem Zeitpunkt, als der Mindestlohn für Taxifahrer eingeführt wurde.

Ostthüringer Zeitung

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