Jahrelang verwendeten die Allianz und andere Anbieter in ihren Lebensversicherungs-Verträgen Klauseln zu Rückkaufswerten, die den Kunden aus Sicht des Bundesgerichtshofes (BGH) benachteiligten. So stellte der BGH in einem Urteil erstmals 2005 heraus, dass es für den Versicherungsnehmer stets nachvollziehbar sein müsse, wie hoch die Verwaltungskosten zum Zeitpunkt einer Vertragskündigung seien. Klauseln, welche die Vertriebsprovisionen auf den Rückkaufswert der Versicherung anrechnen, seien hingegen unwirksam.

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Infolge des Urteils hätten Kunden, die eine Lebensversicherung zwischen 2001 und 2007 abgeschlossen haben, bei vorzeitiger Kündigung Anspruch auf mehr Geld gehabt. Doch wie sollten die Verbraucher von ihrem Recht erfahren? Das Geld erhalten sie nur, wenn sie den Mehrbetrag beim Versicherer aktiv geltend machen. Aber die Ansprüche verjähren mit der Zeit, und so brauchten die Gesellschaften nur zu warten, bis viele berechtigte Forderungen tatsächlich verjährt waren.

LV-Kunden haben Folgenbeseitigungs-Anspruch

Diese Praxis war der Verbraucherzentrale Hamburg ein Dorn im Auge, welche auch die Urteile zu den Rückkaufswerten in einem jahrelangen Rechtsstreit ausgefochten hatte. So klagte sie erneut gegen die Allianz Leben und forderte, dass die Versicherungen ihre Kunden informieren müssen, wenn sie jahrelang mit unwirksamen Klauseln gearbeitet haben. Die Klage hatte vor dem Landgericht Stuttgart Erfolg.

Wie die Verbraucherzentrale in einer Pressemeldung mitteilt, haben Kunden einen sogenannten Folgenbeseitigungsanspruch bei Versicherungsverträgen. „Hat ein Versicherer über Jahre mit unwirksamen Klauseln gearbeitet und seinen Kunden dadurch einen finanziellen Schaden zugefügt, muss er diese nun über die bisherige rechtswidrige Praxis im Klartext informieren“, heißt es in dem Text. Die Konsequenz: „Fehler können nicht mehr einfach totgeschwiegen oder ausgesessen werden“. Damit würden die Rechte der Versicherungsnehmer bedeutend gestärkt (Landgericht Stuttgart, Urteil vom 07. August, Az. 11 O 298/13).

Auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung wertet das Urteil als Erfolg für die Verbraucher. Im Klartext bedeute das Urteil, „der Versicherer muss die Verbraucher von selbst aufklären, dass die Vertragsklauseln unwirksam waren und auch die frühere Auslegung, wie sich der Rückkaufwert errechnete, falsch war“, schreibt das Blatt.

Zwar hatte die Allianz Leben bereits im März ein Schreiben an die aktuellen Kunden verschickt und über ihren Fehler informiert. „Unsere Mitteilung aus dem vergangenen Jahr war diesbezüglich leider nicht richtig. Wir bitten Sie, unser Versehen zu entschuldigen“, zitiert die FAZ aus dem eher schwammigen Informationstext. Aus Sicht der Verbraucherzentrale und ihres Rechtsvertreters Joachim Bluhm geht es indes nicht um ein Versehen. Der Versicherer habe die Verbraucher schlichtweg getäuscht – und dabei Geld einbehalten, das ihm nicht zustehe.

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Paradox: vom Urteilsspruch profitieren nicht die ehemaligen Kunden

Paradox an dem Urteil ist allerdings, dass der Versicherer nur gegenüber seinen aktuellen Kunden in der Informationspflicht ist, nicht jedoch gegenüber den ehemaligen Kunden. Wer seinen Vertrag bereits gekündigt hat, muss folglich nicht angeschrieben werden, selbst wenn er einen finanziellen Schaden aufgrund gesetzeswidriger Klauseln erlitt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig – die Allianz hat angekündigt in Berufung zu gehen.

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