Es waren schreckliche Szenen, die sich am Freitag vor einer Woche auf einem Bahnhof in Köln-Zollstock abspielten. Zwei Arbeiter einer Fremdfirma waren von der Deutschen Bahn beauftragt worden, das Druckventil an einem Kesselwagen zu überprüfen. Doch als einer der Arbeiter auf den Kesselwagen stieg, traf ihn ein Stromschlag aus der Oberleitung, er war sofort tot. Der zweite Arbeiter eilte dem Verletzten zu Hilfe und wurde ebenfalls von einem Stromschlag schwer verletzt. Mit schweren Verbrennungen liegt der Mann nun im Krankenhaus – ob er überlebt, ist ungewiss.

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Warum die Oberleitung unter Strom stand, lässt sich nicht sagen. Normalerweise hätte sie zum Zeitpunkt der Reparaturarbeiten abgeschaltet und geerdet sein müssen, die Staatsanwaltschaft ermittelt. Bereits im Juli waren gegen die Deutsche Bahn schwere Vorwürfe erhoben wurden. Wie die Süddeutsche Zeitung berichtete, sei es zu mehreren tödlichen Arbeitsunfällen gekommen, weil bei Bauarbeiten der Abstand zur Oberleitung zu gering war. Die Bahn habe das Problem gekannt und jahrelang Forderungen nach einem besseren Schutz ignoriert, wie interne Dokumente belegen würden.

Weltkongress für mehr Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz

Mit Fällen wie dem tödlichen Unfall der zwei Bahn-Mitarbeiter beschäftigt sich ab heute „XX. Weltkongress für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit“ in Frankfurt am Main. Rund 4.400 Arbeitsschutzexperten, Politiker und Wissenschaftler aus aller Welt werden über Wege diskutieren, wie die Arbeit sicherer und gesünder werden kann. Veranstaltet wird der Kongress alle drei Jahre von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) sowie der Internationalen Vereinigung für Soziale Sicherheit (ISSA).

Gastgeber ist in diesem Jahr die Deutsche Unfallversicherung (DGUV), die anlässlich des Weltkongresses ihre aktuelle Jahresbilanz für 2013 vorstellte. Demnach ereigneten sich im vergangenen Jahr deutschlandweit 874.514 meldepflichtige Arbeitsunfälle; 455 davon endeten tödlich. Die Rate der meldepflichtigen Unfälle betrug 22,5 Geschädigte je 1.000 Vollarbeiter.

Die weltweite Statistik fällt noch drastischer aus. Jedes Jahr verlieren laut ILO 2,3 Millionen Menschen ihr Leben durch arbeitsbedingte Krankheiten und Arbeitsunfälle. Hinzu kommen rund 860.000 Arbeitsunfälle mit Verletzungsfolgen - jeden Tag. Die direkten und indirekten Folgekosten von Arbeitsunfällen und arbeitsbedingten Erkrankungen schätzt die ILO auf 2,8 Billionen Dollar weltweit.

"Diese Zahlen sind nicht hinnehmbar, trotzdem nimmt die Welt die Tragödien kaum wahr, die sich jeden Tag am Arbeitsplatz ereignen“, erklärt ILO-Generaldirektor Guy Ruyder. „Es bleibt viel zu tun. Schwere Arbeitsunfälle sind vor allem menschliche Tragödien, aber auch Wirtschaft und Gesellschaft zahlen einen hohen Preis dafür". Mit besonderem Nachdruck verweist Ruyder darauf, dass das "Recht auf Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz ist ein grundlegendes Menschenrecht“ sei – und folglich weltweit zu beachten.

Auch deutsche Unternehmen profitieren von Menschenrechtsverletzungen am Arbeitsplatz

Dass sich in vielen Regionen der Welt die Arbeitsbedingungen kaum verbessern, daran haben auch deutsche Unternehmen einen Anteil. Seien es Kupfer und Kobalt aus Kongos Bergbauminen, Textilien aus Bangladesh oder Kaffee aus Uganda: immer wieder geraden deutsche Firmen in Konflikt mit den Menschenrechten, wenn sie Produkte importieren oder im Ausland herstellen lassen. Dies zeigt die Studie „Globales Wirtschaften und Menschenrechte“ der beiden Nichtregierungsorganisationen Misereor und Germanwatch, die 30 im deutschen DAX gelistete Unternehmen befragt haben.

Die Ergebnisse der Studie sind ernüchternd. Zwar sei das Bewusstsein für Menschenrechts-Standards bei der Arbeit hoch, berichtet Germanwatch-Expertin Cornelia Heydenreich der Deutschen Welle. Aber wenn es darum gehe, Menschenrechte bei Zulieferfirmen in der Praxis durchzusetzen, würden die meisten Firmen vor ihrer Mitverantwortung die Augen verschließen.

Im Gegenteil: der enorme Preis- und Zeitdruck wirke sich noch negativ auf die Arbeitsbedingungen aus. So lassen sich in der Lieferkette vieler deutscher Firmen Kinderarbeit, sklavenähnliche Beschäftigungsverhältnisse und menschenunwürdige Arbeitsbedingungen nachweisen.

Als etwa im April 2013 das Fabrikhochhaus Rana Plaza in Bangladesh einstürzte und mindestens 1134 Arbeiter tötete, fand man in den genähten Stoffen Logos von den deutschen Discountern C&A und KiK. Die Unternehmen hatten bei ihren Zulieferern Arbeitsschichten von 12-14 Stunden am Tag akzeptiert sowie niedrige Sicherheitsstandards und Löhne von umgerechnet 50 Euro im Monat. Gebessert haben sich Arbeitsbedingungen für Näherinnen bisher kaum, wie die ILO berichtet.

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Bundesregierung setzt auf Freiwilligkeit

Abhilfe könnten die EU und die Deutsche Bundesregierung schaffen, indem sie Menschenrechtsverletzungen heimischer Unternehmen im Ausland gesetzlich ahnden. Doch wie die Vorgängerregierung setzt die schwarz-rote Koalition auf freiwillige Selbstverpflichtungen der Firmen - bisher zeigte dies kaum Wirkung. Immerhin hat sich die Regierungskoalition dazu bekannt, die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte von Juni 2011 umzusetzen, die eine strengere Kontrolle von Menschenrechts-Standards vorsehen. Tätig geworden ist die Koalition bisher nicht.

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