Es war ein Schockbrief, den der Duisburger Dieter Glade von seiner Rentenversicherung zugeschickt bekam. Obwohl er seine Lebensgefährtin 14 Stunden am Tag pflegte, genug also, um rentenversichert zu bleiben, wurde ihm weniger Pflegezeit anerkannt. Mit bitteren Konsequenzen, denn nun droht ihm der Rauswurf aus der Rentenversicherung.

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Wie das Onlineportal Der Westen berichtet, war die Begründung hierfür simpel: Der ambulante Pflegedienst rechnete mehr Zeiten für Pflegeleistungen ab, als er tatsächlich vor Ort verrichtete. Offiziell war der häusliche Dienst 3mal pro Woche für je 38 Minuten mit der Ganzkörperwäsche der Patientin beschäftigt. Die Pfleger aber verabschiedeten sich von Familie Glade bereits wieder nach 20 Minuten – und stellten der Krankenkasse trotzdem die vollen 38 Minuten in Rechnung. Dumm nur, dass in der verbleibenden Zeit Herr Glade seine Frau allein betreuen musste.

Laut Krankenkasse ist es absolut in Ordnung, wenn ambulante Pflegedienste mehr Zeit abrechnen, als sie tatsächlich den Pflegenden betreuen. Nur der Betroffene ist sprachlos – nicht nur, weil er seine Rentenansprüche zu verlieren droht. „Das ist so, als würde ich auf dem Markt ein Kilo Möhren für 80 Cent kaufen, das Geld übergeben, aber nur die Hälfte der Möhren bekommen“, sagte Herr Glade gegenüber Der Westen.

Transparency International klagt über Betrug in Gesundheitssystem

Allein ist der Duisburger mit seinem Problem nicht. Die Anti-Korruptions-Organisation Transpareny International stellte im August 2013 eine Studie vor, wonach die intransparenten Vorgaben im Pflegesystem Betrug und Schummelei begünstigen. Für Schlagzeilen sorgte etwa eine „Wanderoma“, die bei einem Pflegedienstleister unter Vertrag stand und bei Bedarf den Pflegefall spielte, wenn der medizinische Dienst für Kontrollen anrückte. Dass ambulante Dienste mehr abrechnen als sie leisten, zählt zu einem wichtigen Kritikpunkt der Nichtregierungsorganisation.

Zumindest juristisch kann den Gesundheitsdienstleistern nichts angelastet werden, wenn sie bei der Abrechnung schummeln. Der Spitzenverband der Krankenkassen gibt für die Verrichtung von Pflegeleistungen oft nur grobe Zeitkorridore vor, für eine Ganzkörperwäsche sind etwa 20 bis 25 Minuten vorgesehen. „Abgerechnet wird nach Leistung, nicht nach Zeit“, betont eine Sprecherin der AOK Rheinland/Hamburg. Wenn der Pfleger die Körperwäsche in der Hälfte der Zeit schafft, erhält er trotzdem die volle Vergütung. „Derzeit verhandeln wir, dass Pflegekassen nicht mehr nur nach Leistung, sondern auf Wunsch auch nach Einsatzminuten zahlen können“, so die Sprecherin.

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Dieter Gade aber hat seinem Pflegedienst gekündigt. „Für mich ist das ein Fall von Abrechnungsbetrug, auch wenn das die Krankenkassen anders sehen“, so Gade.

derwesten.de

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