Es war ein Paukenschlag: Ende der letzten Woche hat die Europäische Zentralbank (EZB) den Leitzins auf 0,25 Prozent gesenkt. Nie zuvor konnten sich die Banken billiger mit Geld eindecken, auch die Krisenländer Südeuropas profitieren indirekt von der Leitzins-Senkung. Was des einen Freud, ist des anderen Leid: Angesichts der niedrigen Zinsen ist es für Lebensversicherer schwieriger, ihre Produkte langfristig attraktiv zu machen. Von einer „stillen Enteignung der Sparer“ ist sogar die Rede.

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Handlungsbedarf sieht auch die Politik. Laut einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (Montag) wollen die Finanzexperten von Union und SPD prüfen, „ob die Beteiligung von Lebensversicherten an den Bewertungsreserven gekappt werden sollten“. Noch gibt es keine gemeinsame Position. Während die CDU ein Eingreifen des Gesetzgebers tendenziell befürwortet, ist die Kappung der Reserven für die SPD nach wie vor ein Tabu.

“Angesichts der andauernden Niedrigzinsphase werden die Auswirkungen auf die Altersversorgung und gesetzgeberischer Handlungsbedarf geprüft werden müssen“, sagte der stellvertretende Unions-Fraktionschef Michael Meister der FAZ. Auch Manfred Zöllmer, stellvertretender finanzpolitischer Sprecher der SPD, erwartet, dass sich die Situation der Lebensversicherer durch die Leitzinssenkung weiter zuspitzt. Für eine Lösung müssten jedoch auch die Versicherer einen Beitrag leisten, betonte Zöllmer. Ein Gesetz zur Kappung der Bewertungsreserven war bereits im Sommer 2012 am Widerstand des Bundesrates gescheitert.

EZB-Präsident Mario Draghi hatte die Leitzinssenkung wesentlich mit der nachlassenden Teuerungsrate in der Eurozone begründet. Das niedrige Zinsniveau in Deutschland sei aber keineswegs allein auf den niedrigen Zins zurückzuführen, betonte der EU-Funktionär. Infolge der Eurokrise würden mehr Investoren ihr Geld in festverzinsliche deutsche Wertpapiere stecken - deshalb sinke auch deren Rendite.

Scheinwerte in der Lebensversicherung

Seit 2008 besteht ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, wonach Versicherer ihre Kunden zu 50 Prozent an den Bewertungsreserven beteiligen müssen, wenn der Vertrag ausläuft. Als Bewertungsreserve wird die Differenz zwischen dem aktuellen Marktwert einer Kapitalanlage und deren Kaufpreis bezeichnet.

Paradox ist hierbei, dass die Versicherungsnehmer ausgerechnet in Zeiten niedriger Zinsen mit enorm hohen Ausschüttungen rechnen können. Dies geht langfristig zu Lasten des Versicherungskollektivs: Je mehr Geld ausgeschüttet wird, desto geringer könnte die Beteiligung für spätere Sparer ausfallen. Auch die Finanzaufsicht Bafin spricht sich deshalb für eine gesetzliche Neuregelung aus (Versicherungsbote berichtete).

Als heimtückisch entpuppt sich dabei die Tatsache, dass die Beteiligung der Kunden auch für Bewertungsreserven auf festverzinsliche Wertpapiere gilt, etwa für Staatsanleihen und Bundeschatzbriefe. Bei diesen Schuldscheinen ist die Wertsteigerung mitunter nur scheinbar vorhanden. Zwar werden die Anleihen auch an der Börse gehandelt und unterliegen folglich Kursschwankungen. Aber die Anleihen besitzen einen festen Anfangs- und Endwert, wenn sie der Versicherer bis zum Ende der Laufzeit im Portfolio behält. Von einer Wertsteigerung kann dann aus Sicht des Investors nicht gesprochen werden.

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Gerade diese Scheinwerte aus Staatsanleihen tragen aber dazu bei, dass die Bewertungsreserven der Lebensversicherer in den letzten Monaten explodierten: von drei Milliarden Euro im Jahr 2011 auf 75 Milliarden Euro im Jahr 2012. Schuld daran ist auch die Eurokrise. Seit Ausbruch der Schuldenkrise werden alte Staatsanleihen aus Vorkrisenzeiten, die heute noch hohe Zinsen versprechen, enorm teuer gehandelt. Die Wertsteigerung dieser Staatsanleihen führt zwangsläufig zu steigenden Bewertungsreserven in der Lebensversicherung, die traditionell einen hohen Anteil der Staatspapiere besitzt.

FAZ

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