Wir sind nicht mehr Papst – Wir sind Olympia! Der deutsche Funktionär und frühere Weltklassefechter Thomas Bach (59) ist zum Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) gewählt worden. Bach ist der erste Deutsche überhaupt, der dieses Amt ausüben wird.

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Die deutsche Sport- und Politprominenz überschlug sich mit Lob, nachdem die Wahl bekannt geworden war. „Die Wahl Thomas Bachs ist eine Anerkennung seiner Arbeit, aber auch eine Auszeichnung für unser Land“, gratulierte Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) seinem Parteifreund. Auch Franz Beckenbauer jubelte. „Ich war überglücklich, denn ich kenne den Thomas ja schon seit 40 Jahren", ließ der Kaiser wissen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundespräsident Joachim Gauck reihten sich ebenfalls in den Kreis der Gratulanten ein. Die Bundesregierung habe Bachs Wahl zum IOC-Präsidenten ausdrücklich unterstützt.

Nur die Presse wollte die Euphorie nicht uneingeschränkt teilen. In der Süddeutschen Zeitung, der Zeit und Frankfurter Rundschau erschienen kritische Artikel, in denen angezweifelt wurde, ob Thomas Bach der richtige Mann für das höchste Sportamt der Welt ist. Zu sehr scheint der Funktionär in das alte Machtgeflecht eingebunden, das seit Jahrzehnten mit Filz, Korruption und einem gar zu laschen Umgang mit Doping negative Schlagzeilen provoziert. Es bräuchte einen IOC-Präsidenten, der Reformen wagt und alte Seilschaften abbaut. Doch im Vergleich zu seinem Vorgänger Jacques Rogge, der verhaltene Reformen anstieß, könnte die Wahl Bachs sogar einen Rückschritt bedeuten.

Ein umstrittener Beratervertrag oder: Wenn IOC-Freunde zu Geschäftspartnern werden

Thomas Bach sah sich bereits mehrfach mit dem Vorwurf konfrontiert, den Sport für Wirtschaftsinteressen missbraucht zu haben. So hatte Bach um die Jahrtausendwende einen umstrittenen Beratervertrag mit Siemens abgeschlossen, der ihm die stolze Summe von 400.000 Mark pro Jahr + weitere 5.000 Mark pro Tag an Spesen einbrachte. Fast ein Jahrzehnt lang soll der Wirtschaftsfachanwalt die gigantische Summe erhalten haben – wofür, konnte nie genau geklärt werden.

Vermittelt hatte den Vertrag nach Informationen des Spiegel der einst mächtige Siemens-Lobbyist Wilhelm Schelsky, der mittlerweile wegen Betruges, Steuerhinterziehung und Untreue verurteilt wurde. Und auch Thomas Bach kam in arge Erklärungsnöte. Der Funktionär wurde beschuldigt, nicht zwischen seinen „geschäftlichen Tätigkeiten“ und seinem Amt als IOC-Vizepräsident, das er seit 2000 inne hatte, trennen zu können.

Damals wollte Siemens in die arabische Welt expandieren und hatte Kuwait als Großinvestor ins Auge gefasst. Thomas Bach war da der richtige Ansprechpartner. Im Internationalen Olympischen Komitee hatte Bach einen einflussreichen „Freund und Kollegen“, der zugleich Energieminister von Kuwait gewesen ist – Scheich Ahmed al-Sabah, seit 2006 der gegenwärtige Emir von Kuwait. In einer vertraulichen Email vom 9. März 2005 schrieb Bach an den damaligen Siemens-Vorstand Rudi Lamprecht, er habe „die Investitionsfrage noch einmal mit dem Energieminister vertraulich besprochen“.

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Thomas Bach wies damals vehement den Vorwurf zurück, er nutze sein IOC-Amt für persönliche Interessen. Es gebe „vielfältige Lebenssachverhalte, in denen sich persönliche, durch Freundschaften oder andere Ehrenämter begründete Bekanntschaften und berufliche Kreise überschneiden“, gab er zu Protokoll. Ein Fehlverhalten konnte ihm nicht nachgewiesen werden. Doch die Sache hat ein Geschmäckle. Denn Ahmed al-Sabah ist noch immer ein einflußreicher Strippenzieher beim IOC. Und es könnte nun ausgerechnet jener Scheich aus Kuwait gewesen sein, der Bach zur Krönung verhalf.

Süddeutsche titelt: "Olympia-Chef von Scheichs Gnaden"

War Ahmed al-Sabah sogar der Königsmacher für Thomas Bach? Wie die Süddeutsche Zeitung berichtet, betrieb der Scheich umfangreiche Lobbyarbeit, um das Stimmverhalten des IOC-Vorstandes zugunsten von Bach zu beeinflussen. Vor der Abstimmung am Dienstag in Buenos Aires „hatte eines der zwölf afrikanischen IOC-Mitglieder bestätigt“, dass der al-Sabah „das Dutzend Kollegen vom afrikanischen Kontinent spätestens bei deren Erdteil-Konvent im Juni auf Bach eingeschworen habe“, schreibt die Süddeutsche. Das Blatt spekuliert, ob die Stimmen für Bach über „Postenbesetzungen und Fördergelder“ zustande gekommen sind. Man könnte dies weniger diplomatisch als Bestechung bezeichnen.

Der Vorgang wäre auch deshalb bemerkenswert, weil die öffentliche Unterstützung eines Kandidaten laut IOC-Ethikcode verboten ist. Doch Scheich Ahmad al-Sabah soll sich laut Recherchen des ARD-Magazins „Monitor“ bereits vor der Wahl für Thomas Bach ausgesprochen haben. „Wir werden an unserer Vision, unserem Fahrplan festhalten und wir haben eine Verabredung, seit 12 Jahren. Daher werde ich offen sein, ich bin Unterstützer von Thomas Bach. Ich bin dafür, dass Dr. Bach der nächste Präsident wird“, wird der einflussreiche Strippenzieher zitiert.

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Doch nach der Wahl gab sich der kuwaitische Scheich bescheiden. "Unterschätzen sie die Fähigkeiten von Thomas Bach nicht", sagte al-Sabah. "Allein kann ich niemanden zum IOC-Präsidenten machen. Ihr Journalisten habt mir diese Rolle zugeschrieben." Auch Thomas Bach betonte, das IOC sei zu heterogen in seiner Zusammensetzung, als dass ein Funktionär allein die Wahl entscheiden könne. Dies mag stimmen, denn der neue IOC-Präsident wurde von einer großen Mehrheit der Wählenden getragen. Und doch bleibt ein fader Beigeschmack, sollte tatsächlich eine Beeinflussung der Abstimmenden stattgefunden haben.

Stimmen sammelte der neue IOC-Chef nach Einschätzung vieler Mitglieder auch von jenen IOC-Delegierten, die Teil des alten verkrusteten Systems sind. Funktionäre wie Prinz Albert von Monaco oder Prinzessin Nora von Liechtenstein, die sonst nur Lesern der Regenbogenpresse geläufig sind und sich ihren Einfluss unter Bachs Ziehvater Juan Antonio Samaranch gesichert hatten. Hinzu kommen die sieben Sportfachkräfte aus Golfstaaten sowie russische Funktionäre. Sie sind zukünftig Bachs wichtigste Verbündete im Sportolymp.

Wirtschaftsverband "Ghorfa" kuschelt auch mit Diktatoren

Auch Bachs Präsidentschaft beim umstrittenen Wirtschaftsverband Ghorfa könnte zukünftig dafür sorgen, dass der neue IOC-Chef sich wird erklären müssen. Wie die ARD berichtet, handelt es sich dabei eigentlich um einen Verein zur Förderung arabisch-deutscher Handelsbeziehungen. Aber auch Rüstungsgüter und Waffen werden für den Export in arabische Staaten legalisiert und unterstützt, kritisiert Mathias John von Amnesty International.

Was das bedeuten kann, zeigt ein offizielles Länderprofil für Syrien vom September 2010, mit dem Ghorfa Investoren anlocken wollte. Dort wird Diktator Bashar Al-Assad als „großer Hoffnungsträger“ bezeichnet, der bestrebt sei „Syrien an die Anforderungen des 21. Jahrhunderts anzupassen“. Unter anderem habe Assad ein Gesetz erlassen, welches auf „nachhaltige und effiziente Regulierung“ des Energiesektors ziele.

Zwar hatte Assad nach seiner Machtergreifung tatsächlich zaghafte Reformen eingeleitet. Doch Menschenrechtsverletzungen zählten vom Anbeginn zum Kern seiner Machtpolitik. Ob Verbrecher gegen die Menschlichkeit oder zuverlässiger Geschäftspartner – das hängt auch von den eigenen Interessen ab.

Die Ghorfa kümmere sich nicht um menschenrechtlich verantwortliches Unternehmensverhalten, kritisiert folglich Amnesty-Aktivist John gegenüber der ARD. Unter anderem habe Thomas Bach das Vorwort für das Ghorfa-Wirtschaftshandbuch Saudi Arabiens verfasst. Dort heißt eine Vorschrift: „Verboten ist die Einfuhr von Waren aus Israel“. Wie passt das zum Selbstverständnis eines Sportverbandes, der Frieden und Verständigung zu seinen wichtigsten Maximen zählt?

Bachs Freund Achmed al-Sabah vermittelt ebenfalls nicht den Eindruck, ein lupenreiner Demokrat zu sein. Auf seiner offiziellen Webseite lässt sich der Emir als "Hoheit" (His Highness the Amir) vorstellen. Der Scheich setzte sich dafür ein, dass der Staat Kuwait ein öffentliches "Märtyrer-Amt" gründete, das neben der Absicherung von Familien gefallener Soldaten auch die Glorifizierung des Märtyrertums betreibt.

Letztendlich ist Thomas Bach ein Kandidat, der zu sehr in die alten Strukturen eingebunden scheint, als dass er notwendige Reformen anstoßen kann. Hinterzimmer-Kungelei, geheime Absprachen und alter Filz: All das könnte auch seine Wahl zum IOC-Präsidenten geprägt haben und spricht gegen einen Willen zum Neuanfang.

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Künftig steht dem wichtigsten Sportverband der Welt ein Präsident vor, der als Lobbyist, strammer Karrierist und guter Netzwerker gilt. Sicher: Auch Thomas Bach hat seine Chance verdient. Aber es ist ein bisschen so, als hätte man Lance Armstrong zum Chef einer Antidopingbehörde ernannt.

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