Vorgesehen im Wahlprogramm der Sozialdemokraten ist unter anderem die Einführung eines Mindestlohns von 8,50 Euro, die Abschaffung der PKV zugunsten einer Bürgerversicherung, eine Frauenquote von 40 Prozent für Vorstände und Aufsichtsräte großer Unternehmen sowie eine stärkere Förderung des sozialen Wohnungsbaus. Auch die Assekuranz muss sich auf Änderungen einstellen, sollte die SPD die Bundestagswahl für sich entscheiden.

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Als Peer Steinbrück und Sigmar Gabriel im Willy-Brandt-Haus in Berlin am Montag vor die Kamera treten, wirken sie sichtlich gelöst. Vergessen scheinen die schlechten Umfragewerte des ARD-Deutschlandtrends, bei dem die SPD bei nur 26 Prozent verharrt, die CDU hingegen auf 40 Prozent kommt. Vergessen auch der viele Spott und die Häme, die Kanzlerkandidat Steinbrück als „Pannen-Peer“ in den letzten Wochen erdulden musste. Die SPD will raus aus dem Umfragetief und „voll auf den Angriffsmodus schalten“, wie es die Wahlkampfchefin Andrea Nahles vergangene Woche ausgedrückt hat. Und dafür präsentiert sich die Partei mit einem Selbstbewusstsein, als hätte sie das Kanzleramt bereits erobert.

Regierungsprogramm“ nennt sich ganz unbescheiden die neue Wahlkampfbibel der Sozialdemokraten, die doch eigentlich noch keine Regierungspartei sind. Am Montag hat der Parteivorstand das gut 100seitige Papier final diskutiert und „einvernehmlich und einmütig“ verabschiedet, wie Steinbrück sagt. Und er ergänzt, als könnte es daran einen Zweifel geben: „Das ist ein Programm des Kandidaten UND der Partei.“ Denn ein solches Programm hätten viele der SPD nicht mehr zugetraut, schon gar nicht dem wirtschaftsliberal gesinnten Peer Steinbrück: Es sieht einen deutlichen Linksruck der SPD vor. Ein Linksruck, der auch die Assekuranz vor neue Herausforderungen stellen könnte.

Die SPD fordert eine „demokratiekonforme Marktwirtschaft“ statt einer marktkonformen Demokratie

Doch was steht drin in jenem Wahlprogramm, das die Republik verändern soll? Den Schwerpunkt bilden soziale Themen. „Vieles in Wirtschaft und Gesellschaft ist aus dem Lot geraten“, begründet Peer Steinbrück die Gewichtung des Sozialen. Das habe sich allerdings nicht „die Abteilung Agitation und Propaganda“ der SPD ausgedacht, sondern gehe aus Daten des Statistischen Bundesamtes hervor, etwa die wachsende soziale Ungleichheit im Land und die drohende Verarmung vieler Rentner. Nun wolle die SPD das Land „besser und gerechter“ regieren als die schwarz-gelbe Koalition. Die Entwicklung soll weggehen von einer „marktkonformen Demokratie“ hin zu einer „demokratiekonformen Marktwirtschaft“.

Als Rezept gegen Lohndumping will die Partei einen flächendeckenden Mindestlohn von 8,50 Euro einführen. Besserverdiener werden mehr zur Kasse gebeten, denn der Spitzensteuersatz soll ebenfalls angehoben werden: Auf 49 Prozent ab einem zu versteuernden Einkommen von 100.000 Euro im Jahr.

Zudem ist eine Unternehmenssteuer im Gespräch, deren Ausgestaltung zunächst vage bleibt. Die Sozialdemokraten versprechen jedoch, dass Familienunternehmen und Mittelstand nicht zu stark belastet werden. Der Ausbau von Ganztagsplätzen an Kindergärten und Schulen, der Wegfall jeglicher Bildungsgebühren sowie ein höheres Kindergeld von Eltern mit geringem Einkommen sind ebenfalls Instrumente, von denen sich die SPD mehr soziale Gerechtigkeit verspricht.

Abschaffung von PKV und Pflege-Bahr: Ein Wahlsieg der SPD hätte direkte Auswirkungen auf die Versicherungsbranche

Einige Vorhaben der SPD betreffen die Versicherungswirtschaft direkt. „Im Gesundheitssystem und in der Pflege wird die SPD die Bürgerversicherung einführen für alle Neu- und gesetzlich Versicherte“, heißt es auf der Webseite der Sozialdemokraten. Das bedeutet: Gewinnt die SPD die Bundestagswahl, steht die private Krankenversicherung als Vollvorsorge vor dem Aus. Auch die staatliche Förderung privater Pflege-Policen, die zum 01. Januar 2013 unter dem Stichwort „Pflege-Bahr“ eingeführt wurde, wird dann wieder abgeschafft. In ihrem Programm fordert die SPD, dass sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu gleichen Teilen an der Finanzierung des Gesundheitssystems beteiligen. Bislang privat Versicherte können ein Jahr lang befristet wählen, ob sie in die GKV zurück wechseln wollen oder nicht.

Doch die Abschaffung von PKV und Pflege-Bahr sind nicht die einzigen Herausforderungen, denen sich die Branche im Falle eines Wahlsieges der SPD wird stellen müssen. Ein sogenanntes „Entgeltgleichheitsgesetz“ soll dafür sorgen, dass Männer und Frauen zukünftig den gleichen Lohn für gleiche Arbeit bekommen. Hieran gibt es nichts auszusetzen. Aber zusätzlich sieht das Gesetz eine 40-Prozent-Frauenquote für Vorstände und Aufsichtsräte großer Unternehmen vor, wie die SPD auf ihrer Webseite berichtet. Eine Anforderung, der die Assekuranz derzeit nicht ansatzweise gerecht werden kann. Aktuell liegt der Frauenanteil in Versicherungsvorständen laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) bei mageren 5,7 Prozent. Es wird ein großes Stühlerücken in den Chefetagen der Versicherer geben müssen, damit die Branche die Frauenquote erfüllt.

Auch die Einführung einer Finanztransaktionssteuer bekämen die Versicherungsunternehmen unmittelbar zu spüren. „Finanzmarktkapitalismus bändigen – Wirtschaft und Mittelstand stärken“, heißt der erste Punkt im SPD-Wahlprogramm. Man will dafür sorgen, dass riskante Finanzprodukte nicht mehr unkontrolliert gehandelt werden dürfen. Aber: Die Steuer auf Finanzgeschäfte hat einen unliebsamen Nebeneffekt. Riesterrenten und Lebensversicherungen könnten für Kunden an Attraktivität verlieren, wenn auf die Fonds dieser Produkte Steuern fällig werden und so höhere Kosten entstehen. "Die geplante Finanztransaktionssteuer verringert die Rendite der privaten und der betrieblichen Altersvorsorge”, sagt Jörg von Fürstenwerth, Hauptgeschäftsführer beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Allerdings hatte sich zuletzt auch die CDU für eine Finanzmarktsteuer stark gemacht.

“Links von der Mitte ist die Mehrheit“

Parteichef Sigmar Gabriel legte am Montag besonderen Wert darauf zu betonen, man habe bei der Ausarbeitung des SPD-Programmes nicht nur die Wünsche der Parteimitglieder berücksichtigt, sondern auch von anderen Bundesbürgern. In einem Bürgerkonvent habe die SPD mehr als 40.000 Vorschläge gesammelt, wie die Zukunft des Landes zu gestalten sei. Diese Vorschläge seien in das Wahlprogramm eingeflossen.

Mit anderen Worten: Das Papier spiegelt ein Stück weit den aktuellen Zeitgeist wieder. Und der hat sich gewandelt, seit Gerhard Schröder im Jahr 2003 mit seiner "Agenda 2010" die Hartz-Reformen einführte und eine Ausweitung des Niedriglohnsektors propagiert hat. Dumpinglöhne und miese Arbeitsbedingungen für Leiharbeiter sorgten in der Zwischenzeit bundesweit für Schlagzeilen, der Skandal beim Onlinehändler Amazon ist hierfür nur ein Beispiel. Die Finanzkrise hat eine ganze Branche ins Zwielicht gerückt. Damit gewinnen soziale Werte wieder stärker an Bedeutung. Laut einer Umfrage von TNS Emnid sprechen sich 84 Prozent der Bevölkerung für die Einführung eines Mindestlohnes aus - auch die Mehrheit der Anhänger von CDU und FDP.

Die SPD positioniere sich nun mit ihrem Wahlprogramm links der Mitte, sagte Peer Steinbrück. „Diese Positionierung entspricht dem mehrheitlichen Bürgerwillen. Die Bürger wollen einen Mindestlohn, wollen die Bändigung der Finanzmärkte". Trotz dieser Kehrtwende betont der aktuelle Parteivorstand, dass die Reformen Gerhard Schröders richtig gewesen seien. "Diese Reformpolitik der Agenda 2010 erhöhte die Investitionen in Forschung und Innovation und holte Hunderttausende Menschen vom Abstellgleis der Sozialhilfe", heißt es. Die SPD gerät mit diesem Seiltanz in eine geradezu schizophrene Situation. So hält man einerseits an der staatlich geförderten Riester-Rente fest, lehnt aber die Pflege-Bahr-Reform, die ähnlich funktioniert, komplett ab.

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Sollte die SPD die Bundestagswahl gewinnen, muss sich die Assekuranz auf Änderungen einstellen. Nicht jede Folge, vor der jetzt die Versicherungswirtschaft warnt, hätte für die Branche automatisch negative Auswirkungen. Eine Abschaffung der PKV als Vollversicherung könnte etwa das Geschäft mit Zusatzversicherungen ankurbeln. Die Transaktionssteuer könnte für mehr Stabilität an den Finanzmärkten sorgen. Zudem sind viele Vorhaben der SPD gar nicht innerhalb einer einzigen Legislaturperiode zu bewerkstelligen. Sowohl die Abschaffung der PKV als Vollversicherung als auch die Frauenquote können nur langfristige Ziele sein, die unter Umständen Jahrzehnte erfordern.

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