Nun ist es also raus. Selbst wer 35 Jahre Vollzeit gearbeitet hat und 2.500 Euro brutto im Monat verdiente, bekommt im Jahr 2030 nur noch 688 Euro Rente. Wer genauso lang 2.900 Euro bezog, muss im Ruhestand weniger als 800 Euro monatlich einplanen. Auch wenn eine längere Lebensarbeitszeit zugrunde gelegt wird, sehen die Zahlen nicht viel besser aus. Es sind es also nicht nur Geringverdiener, denen Altersarmut droht. Auch die Mittelschicht wird im Alter unter Armut leiden. Der Grund ist die Absenkung des Rentenniveaus von derzeit 51 Prozent auf 43 Prozent des durchschnittlichen Nettolohns in 2030.

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Die erschreckenden Zahlen gehen aus Berechnungen des Arbeitsministeriums hervor. Die Bild am Sonntag hatte am Wochenende groß damit aufgemacht und sprach von einer „Renten-Schock-Tabelle“. Dabei glaubte Ursula von der Leyen (CDU), mit dieser pessimistischen Rentenprognose Positives zu bewirken. Sie sind aus einem Brief an die „Junge Gruppe“ der Unionsfraktion entnommen, mit dem die Bundesarbeitsministerin für ihr Modell der Zuschussrente wirbt. Die Zahlen sind schrecklich, aber ich habe ja die Lösung! - so scheint Ursula von der Leyen suggerieren zu wollen und treibt damit die Unsicherheit bezüglich der Renten weiter an. Fast alle Medien haben heute die drohende Altersarmut auf der Titelseite. „Renten-Irrsinn“ und „Renten-Alarm“ sind noch die harmloseren Formulierungen, die am Kiosk zu lesen waren.

Mehr prekäre Jobs, weniger Geld in den Sozialkassen

Aber sind die Zahlen wirklich so überraschend? Es ist nicht nur die Alterung der Gesellschaft, die derzeit die Sozialkassen belastet. Auch die Lohnentwicklung läuft einer umlagefinanzierten Altersvorsorge zuwider. Seit Beginn der 90er Jahre haben alle bundesdeutschen Regierungen eine Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse vorangetrieben, sie haben Niedriglöhne gefördert, Teilzeitarbeit unterstützt und dazu beigetragen, dass die Arbeitnehmer immer weniger Geld im Lohnsäckel haben. Die Lohnzurückhaltung ist auch ein Grund, warum Deutschland relativ gut durch die Krise kam und die Exportwirtschaft brummt. Doch möglicherweise geht dieser wirtschaftliche Erfolg überproportional zu Lasten der Beschäftigten, speziell der Geringverdiener. Die OECD warnte vor kurzem, dass in kaum einer anderen Industrienation die soziale Ungleichheit so zunimmt wie in Deutschland – auch in Zeiten des Wirtschaftswachstums! Laut Berechnungen des Statistischen Bundesamtes verdienen derzeit 36 Prozent aller Vollzeitbeschäftigten weniger als 2.500 Euro im Monat, davon betroffen sind Berufsgruppen wie Handwerker, Krankenschwestern oder Erzieher.

Es besteht also nicht nur ein Problem auf der Ausgabenseite, weil immer mehr Rentner versorgt werden müssen. Es zahlen auch weniger Menschen in die Sozialkassen ein, weil sie zu wenig verdienen. Erst die Prekarisierung der Arbeit, dann die Prekarisierung der Renten – es ist eine fast logische Entwicklung. Verteilt werden kann nur, was von den Beitragszahlern erwirtschaftet wurde.

Nach den Plänen von der Leyens werden Geringverdiener doppelt belastet

Ursula von der Leyens Modell der Zuschussrente kann für die Bekämpfung der Altersarmut keine Lösung sein. Es sieht vor, dass die Geringverdiener zusätzlich einen Riestervertrag oder eine andere Form der privaten Vorsorge abschließen müssen, um eine Aufstockung der Altersbezüge zu erhalten (der Versicherungsbote berichtete). Diejenigen, die sowieso zu wenig verdienen und mit ihrem Geld kaum über die Runden zu kommen, sollen nun noch zusätzlich einen Anteil ihres Verdienstes in die private Altersvorsorge stecken. Das ist fast schon zynisch. Wer kein Geld zum Sparen hat, der kann auch keinen Kapitalstock ansparen.

Zwar betont die Arbeitsministerin, dass Riestern schon ab 5 Euro im Monat möglich sei. Aber diese Argumentation hat einen Haken. Entsprechend der aktuellen Pläne sollen sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer mindestens drei Prozent ihres Einkommens in den Riestervertrag stecken, um Anspruch auf die Zuschussrente zu haben. Also auch jene Beschäftigte, die derzeit nur 800 Euro im Monat verdienen, sogar auf Wohngeld- und Hartz IV-Zahlungen angewiesen sind. Kann man Altersarmut bekämpfen, indem man jenen Beschäftigten noch etwas wegnimmt, die sowieso nicht genug zum Leben verdienen? Diese Frage wird Ursula von der Leyen beantworten müssen.

Deshalb gibt es immer mehr Stimmen, die eine grundsätzliche Reform der Renten einfordern. Auch mit der Zuschussrente sei für junge Leute nicht mehr viel von der Rente zu erwarten, sagte der CDU-Sozialpolitiker Jens Spahn der "Berliner Zeitung". "Wir sollten so ehrlich sein und über den Systemwechsel zu einer steuerfinanzierten Grundrente für alle diskutieren." Je nachdem, wie hoch diese einkommensunabhängige Grundrente ausfällt, könnte es damit allerdings noch mehr Verlierer geben.

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Wie schlimm es um die Rente wirklich bestellt ist, bleibt aber abzuwarten. Mögliche Lohnsteigerungen bis zum Jahr 2030 wurden in Ursula von der Leyens alarmistischer Modellrechnung nicht berücksichtigt.

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