Wer schon immer der Meinung war, im deutschen Gesundheitssystem gebe es zu viel Korruption, der könnte durch eine Studie der Universität Halle-Wittenberg neue Nahrung für seine These erhalten. Demnach kassiert jeder vierte Arzt sogenannte „Fangprämien“, wenn er seine Patienten an ein bestimmtes Krankenhaus überweist. Glaubt man den Ergebnissen der Studie, genießen Gefälligkeitszahlungen unter Ärzten und Gesundheitsdienstleistern insgesamt eine hohe Akzeptanz. „Fangprämien sind im Gesundheitswesen keine Ausnahme, sondern gängige Praxis“, fasst der Dachverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), Auftraggeber der Studie, das Ergebnis der Untersuchung zusammen. Der GKV-Spitenverband spricht von einem „erheblichen Korruptionspotential".

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Zuwendungen häufige Praxis für jeden fünften Arzt und jeden zweiten Hilfsmittelerbringer

Für die Studie hat der GKV-Verband im Herbst des letzten Jahres 1.141 Ärzte, Klinikärzte und nichtärztliche Leistungsanbieter (z.B. Physiotherapeuten, Orthopädie-Schuhtechniker, Hörgeräteakustiker) befragen lassen. Die Ergebnisse basieren auf Selbstauskünften der Befragten.

Dabei zeigt sich, dass Schmiergeldzahlungen weit verbreitet sind. Zuweisungen von Patienten gegen wirtschaftliche Vorteile sind üblich, meinten 14 Prozent der befragten niedergelassenen Ärzte und 35 Prozent stimmten dem zumindest teilweise zu. 20 Prozent von ihnen meinten, ein solches Vorgehen komme gegenüber anderen Ärzten oder Hilfsmittelerbringern häufig vor. Doch Ärzte treten nicht nur als Täter in Erscheinung. Gerade junge Mediziner gaben an, sie wurden bereits von älteren Kollegen zur Zahlung von Gefälligkeitsgeldern aufgefordert, wenn diese Patienten überwiesen haben.

Als noch etablierter beschreiben Vertreter von Kliniken und nicht-ärztliche Leistungserbringer wie etwa Sanitätshäuser oder Hörgeräte-Akustiker Zuweisungen gegen Entgelt. Etwa ein Viertel (24 Prozent) der stationären Einrichtungen und fast jeder zweite (46 Prozent) nicht-ärztliche Leistungserbringer bezeichnete es als üblich, Vergütungen an Ärzte zahlen zu müssen, um Aufträge und Patienten zugespielt zu bekommen. Wer sich weigert zu zahlen, muss mit Nachteilen gegenüber Wettbewerbern rechnen.

Für viele Ärzte bedeutet dies, dass sie ihren Job riskieren. So betonte Gernot Kiefer, Vorstand des GKV-Spitzenverbandes, dass es sich bei finanziellen Zuweisungen keineswegs um einen Kavaliersdelikt handle – sondern unter Umständen sogar um ein Verstoß gegen das Berufsrecht.

„Daher werden die gesetzlichen Kassen die neuen sozialgesetzlichen Möglichkeiten jetzt nutzen und z.B. über die Arbeit in den Zulassungsausschüssen Vertragsärzten sogar die Zulassung entziehen, wenn sie für Patientenzuweisungen Vorteile annehmen oder anbieten“, sagte Kiefer. Patienten müssten sich darauf verlassen können, dass Ärzte eine bestimmte Klinik oder ein Labor aus medizinischen und nicht aus monetären Gründen empfehlen. Hieran lässt auch der Gesetzgeber keinen Zweifel. „Es ist Vertragsärzten nicht gestattet, für die Zuweisung von Versicherten ein Entgelt oder sonstige wirtschaftliche Vorteile sich versprechen oder sich gewähren zu lassen oder selbst zu versprechen oder zu gewähren“, heißt es im fünften Sozialgesetzbuch.

Lange gewachsenes System von Abhängigkeiten

Bei aller Kritik wäre es jedoch voreilig, nur den Ärzten und Schmiergeldzahlern den schwarzen Peter zuzuschieben. Fehlende Kontrollen im Gesundheitswesen und ein insgesamt intransparentes System der Leistungsvergütung, an dem auch die Krankenkassen einen Anteil haben, begünstigen Gefälligkeitszahlungen.

Auch müssen Gesundheitsdienstleister mit Nachteilen gegenüber ihren Mitwettbewerbern rechnen, wenn sie sich nicht an den Gefälligkeitszahlungen beteiligen: Ärzte sind sowohl Täter als auch Opfer. Kai-D. Bussmann, Leiter der Studie, spricht von „gewachsenen Strukturen“ im Gesundheitssystem, die ein Korruptionsgeflecht begünstigen und auf gegenseitigen Abhängigkeiten beruht.

Stimmungsmache gegen Ärzte?

Zugleich wurde heftige Kritik an der Studie laut – auch am Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung. Die Ergebnisse der Untersuchung wurden vom Spitzenverband der Krankenkassen zur Eröffnung des Deutschen Ärztetages publik gemacht, seit Dienstag beraten Vertreter aus Politik und Gesundheitswesen über eine Reform des Gesundheitssystems.

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Unter anderem steht auf dem Ärztetag die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung zur Debatte, auch über die ärztliche Gebührenordnung soll geredet werden. Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery wertet deshalb die Studie als Stimmungsmache gegen Ärzte. „Das ist platte Polemik. Das ist nur der Versuch, unsere Eröffnungsveranstaltung zu stören“, sagte Montgomery bei der Eröffnungsrede des Ärztetages. Laut Montgomery wird die Qualität im Gesundheitssystem eher durch die hohe Zahl von Vorschriften gefährdet, die den Entscheidungsspielraum von Ärzten und Patienten stark einschränken. Deshalb kündigte Montgomery für den Herbst ein härteres Vorgehen gegenüber Krankenkassen und Politik an.

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