Wer hätte gedacht, dass Ursula von der Leyen ein Herz für den Versicherungsvertrieb hat? Da lädt sie am Mittwoch extra die Presse nach Berlin, behauptet die Altersarmut zu bekämpfen, ruft auch einen „Regierungsdialog Rente“ ins Leben, der alle -wirklich alle!- Interessengruppen an einem Tisch versammeln soll: Gewerkschaften, Sozialverbände, auch Arbeitgeber und Rentnerverbände, um primär ein Ziel zu verfolgen: dem Versicherungsvertrieb ein zusätzliches Verkaufsargument für Riesterverträge zu liefern! Klingt unglaublich? Ist es aber nicht!

Als die Bundessozialministerin am letzten Mittwoch ihr Konzept einer Zuschussrente präsentierte, da entpuppte sich diese Wohltat für viele Rentner als uneinnehmbare Festung. Drei Bedingungen müssen die wackeren Pensionäre ab dem Jahr 2023 erfüllen, damit ihnen die Altersbezüge auf 850 Euro aufgestockt werden: Sie müssen mindestens 45 Jahre lang Mitglied in der gesetzlichen Rentenversicherung gewesen sein. Sie müssen 35 Jahre aktiv Beiträge in die Rentenversicherung eingezahlt haben. Und sie müssen seit 35 Jahren einen Riestervertrag besitzen. Die Riesterpolice ist quasi die Eintrittskarte, um am Glücksspiel des sorgenlosen Rentenlebens teilnehmen zu dürfen.

45 Mitgliedsjahre in der Rentenversicherung: Wer bietet mit?

Das Heimtückische aber ist: Trotz der Erleichterungen - unter anderem werden Arbeitslosigkeit und Mutterschutz als Versicherungsjahre angerechnet - könnten für viele Arbeitnehmer 45 Jahre Mitgliedschaft in der Rentenversicherung eine zu hohe Hürde sein. Denn die zunehmende Flexibilisierung des Arbeitsmarktes zwingt die Menschen dazu, Brüche in ihrem Erwerbsleben einzuplanen.

Hier sei auf ein Phänomen verwiesen, das in der Soziologie als „Jobnomadentum“ diskutiert wird. Je mehr die „atypischen“ Beschäftigungsformen zunehmen, je mehr die Wirtschaft auf Leiharbeit, Teilzeitarbeit und befristete Beschäftigung setzt, desto mehr werden Lücken in der Erwerbsbiographie zum Normalfall. Jobnomaden springen von einem Job zum nächsten, arbeiten mal hier und mal dort, für diesen und für jenen Auftraggeber. Wie die Tuareg ihre Weideflächen, so wechseln die modernen Tagelöhner ihren Arbeitsplatz: gearbeitet wird dort, wo gerade Bedarf da ist. In Deutschland stieg die Zahl atypischer Beschäftigung allein zwischen 1998 und 2008 um 46,2 Prozent.

In manchen Branchen müssen sogar gut ausgebildete Arbeitskräfte längere Phasen der Erwerbslosigkeit einplanen. Und in vielen Erwerbsbiographien wechseln sich Perioden von selbstständiger und nichtselbstständiger Arbeit ab. Wer keine Festanstellung findet, der wird eben sein eigener Unternehmer – besser, als in die Arbeitslosigkeit abzurutschen. Hierbei könnte sich die fehlende Unterstützung für Freiberufler als Achillesverse entpuppen. Für Selbstständige ist nach den jetzigen Plänen der Bundesregierung keine Rentenaufstockung vorgesehen, obwohl gerade Kleinunternehmer von der Altersarmut bedroht sind.

So ist jenes Szenario zu befürchten, das von Bayerns Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) prophezeit wird: Viele Pensionäre erfüllen nicht die Bedingungen, um von der Zuschussrente zu profitieren. „Wenn wir hier zu kurz springen mit der Mindestrente und zu hohe Hürden aufbauen, dann müssen es letztlich unsere Kinder dann wieder über die Steuern regulieren“, kritisierte Haderthauer im Deutschlandradio Kultur. Denn die vorgesehenen 45 Jahre Mitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung „finden wir heute in den wenigsten Erwerbsbiografien als durchgängige Vollzeiterwerbstätigkeit.“

Riester: nun auch Geringverdiener als Zielgruppe!

Was bleibt also von Ursula von der Leyens Konzept einer Zuschussrente – für jene, die nicht davon profitieren? Hier sei an die Ausgangsthese erinnert: Ursula von der Leyen hat ein Herz für den Versicherungsvertrieb. Es bleibt vor allem die Forderung an Geringverdiener, privat für den Lebensabend vorzusorgen!

Für Billiglöhner lohnt sich das Riestern bisher kaum, da alle Einkünfte mit der Grundsicherung im Alter verrechnet werden. Paradox: Wer trotz 35 Jahren Riestersparens nur 700 Euro Rente erhält, der hat genauso viel oder wenig Geld in der Tasche wie jemand, der nicht privat vorsorgte. Dumm wäre also bisher gewesen, wer als Niedriglöhner einen Riestervertrag abgeschlossen hat. Das wird sich zukünftig ändern, denn der Vertrieb hat ein neues Verkaufsargument: „Ohne Riester – keine Zuschussrente!“

Zwar argumentiert Ursula von der Leyen, Riestern sei schon ab einem Monatsbetrag von 5 Euro möglich und bedeute keine übermäßige Belastung für Geringverdiener. Brisant ist jedoch am Konzept der Sozialministerin, dass jeder Arbeitnehmer mit einem sozialversicherungspflichtigen Einkommen mindestens drei Prozent seines Verdienstes als Riesterbeitrag entrichten soll, um von der Zuschussrente profitieren zu können – ganz gleich, ob er Vollzeit oder Teilzeit arbeitet. So sollen auch jene Erwerbstätigen drei Prozent ihres Lohnes in einen Riestervertrag stecken, die sowieso nicht genug zum Leben haben: etwa Beschäftigte mit einem Bruttolohn von 800 Euro, die trotz ihres Lohnes auf Wohngeld und Hartz IV-Zahlungen angewiesen sind.

Wollen sozialversicherungspflichtige Geringverdiener am Glücksspiel „Zuschussrente“ teilnehmen, müssen sie zukünftig mit Mehrausgaben rechnen. Für diese Menschen bedeuten Ursula von der Leyens Pläne eine privatwirtschaftlich organisierte Erhöhung des Rentenbeitrages.