Der Autor der Studie, Professor Gerd Glaeske vom Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen, sieht die Entwicklung mit Sorge: "Sowohl bei neuen patentfähigen Antibabypillen, bei Neuroleptika für demenzkranke Menschen als auch bei Benzodiazepinen für alkoholkranke Menschen gibt es seit Jahren klare Gegenanzeigen und Warnhinweise. Trotzdem wird weiter in kritischer Größenordnung verschrieben."

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Ausgabentreiber und Einsparpotentiale

Mit Blick auf die in den vergangenen Monaten zurückgehenden Arzneimittelausgaben bemerkt der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Barmer GEK, Dr. Rolf-Ulrich Schlenker: "Die Arzneimittelgesetzgebung 2010 hat die Ausgabenzuwächse etwas gedrosselt. Gleichwohl beobachten wir eine beinah ungebremste Dynamik im Bereich der Biologicals. Hier liegen die Umsatzsteigerungen bei den Top-Sellern auch in den ersten vier Monaten 2011 über 10 Prozent. Wir müssen unbedingt die Erfolgsgeschichte der Generika wiederholen und die Biosimilars breiter einsetzen."

Tatsächlich erzielten die sogenannten Biologicals (gentechnisch hergestellte Spezialpräparate z. B. gegen Rheuma, Multiple Sklerose, Krebs) im Jahr 2010 Steigerungsraten zwischen 8 und 17 Prozent – trotz Kosten dämpfender Maßnahmen. Hier liegen die Jahrestherapiekosten häufig im fünfstelligen Bereich. Entsprechend asymmetrisch fällt das Ausgabenprofil aus: Auf 0,84 Prozent aller Versicherten entfallen 30 Prozent der Arzneimittelausgaben.

Pharmaexperte Glaeske macht noch erhebliche Einsparpotentiale aus. "Allein eine Steigerung der Generikaquote von heute 85 auf 90 Prozent verspricht Einsparungen von 500 Millionen Euro jährlich." Im Jahr 2010 habe der Einsatz von Nachahmerpräparaten rund 10 Milliarden Euro eingespart. Für die Nachahmer der Biologicals, die sogenannten Biosimilars, sieht Glaeske zusätzliche Einsparpotentiale zwischen 20 und 25 Prozent. Dabei liegen Hoffnungen auf Verordnungsquoten für Biosimilars. Glaeske: "Als effiziente und qualitätssichernde Instrumente der Kostensteuerung werden Biosimilar-Quoten auf KV-Ebene immer wichtiger, das machen auch die regionalen Verordnungsanalysen des Reports deutlich."

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Versorgungsstrukturgesetz als Wettbewerbsbremse

Gleichzeitig bemängelt Kassenvize Schlenker einige finanzielle Risiken und wettbewerbsschädliche Bestimmungen im aktuellen Referentenentwurf zum Versorgungsstrukturgesetz. Die neue spezialärztliche Versorgung sei grundsätzlich zu begrüßen. Ohne Bedarfsplanung und Mengensteuerung könne dieser Bereich aber schnell zum Kostentreiber sowohl bei den Honoraren als auch in der Arzneimittelversorgung avancieren. Besonders kritisch bewertet Schlenker die geplanten aufsichtsrechtlichen Einschränkungen im selektivvertraglichen Bereich: "Seit Jahren schließen wir individuelle Verträge zur integrierten Versorgung, zuletzt auch mit der Pharmaindustrie. Im Falle bundesweiter IV-Verträge sollen diese Vereinbarungen künftig mit maximal 17 Aufsichtsbehörden abgestimmt werden. Hier muss im Gesetzgebungsverfahren unbedingt nachgebessert werden. Sonst wird das zarte Pflänzchen Vertragswettbewerb schnell verdorren."

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