Welche Gründe liegen vor, wenn Deutsche einen Arzt aufsuchen? - Die Antwort auf diese Frage interessierte die mitgliederstärkste Ersatzkasse Deutschlands.
Am Mittwoch stellte die "BARMER GEK" die Ergebnisse der Publikation "Gesundheitswesen aktuell" vor.
Demnach sind insgesamt auf behandlungsintensive und häufig vorkommende Krankheiten und Ereignisse wie beispielsweise Pflegebedürftigkeit rund zehn Kontakte zurückführen.
Viele Kontakte entfallen auf Patienten mit Hypertonie, Herzschwäche und Depressionen.
Auffällig bleibt der hohe Sockel von fast acht Arztkontakten pro Jahr, die auf Patientenkontakte aus vermeintlich geringen Anlässen entfallen.
"BARMER GEK"-Vorstandsvorsitzende Birgit Fischer: "Die Aufschlüsselung zeigt, dass es teilweise gute Gründe für die hohe Arztkontaktrate hierzulande gibt. Sie beweist aber auch, dass wir in einigen ambulanten Bereichen nachsteuern müssen. Wir werden die Versorgungsforschung deshalb weiter intensivieren."

Hausarztverträge sind eine Option

Die Analyse zeigt auch: Lediglich 1,4 Kontakte entfallen auf Laborleistungen (0,3 Kontakte) und die Ausstellung von Rezepten (1,1 Kontakte). Über die Hälfte aller Arztkontakte fallen bei Hausärzten an. Fischer: "Eine Option sind Hausarztverträge, die eine messbare Verbesserung der medizinischen Behandlungsqualität und der Steuerung der Behandlungsabläufe bringen. Hierzu sind Verträge nach Paragraf 73 b des Fünften Sozialgesetzbuches allerdings nicht geeignet, wie die Vertragsverhandlungen mit den Hausärzteverbänden gezeigt haben. Wir setzen auf dreiseitige Verträge zwischen Kassen, Kassenärztlichen Vereinigungen und Hausärzteverbänden."

Systembedingte Verteilungsungerechtigkeit

Mehrfachkranke werden im morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) nicht angemessen berücksichtigt, so das Ergebnis einer Untersuchung von Claudia Schulte, Abteilungsleiterin Unternehmensstrategie/Risikomanagement der "BARMER GEK".
Ein Beispiel: Die durchschnittlichen Ausgaben eines Versicherten mit vier Erkrankungen betragen 6.400 Euro, denen allerdings nur Zuweisungen von 5.950 Euro gegenüberstehen.
Die kassenindividuelle Relevanz wird deutlich, wenn man bedenkt, dass die Unterdeckung von 450 Euro allein für rund 215.000 Versicherte der ehemaligen "BARMER" gilt.
Schon für diese Gruppe ergibt sich ein Fehlbetrag von fast 100 Millionen Euro, der nicht dort ankommt, wo der medizinische Bedarf anfällt, betont Schulte. Diese systembedingte Schieflage gelte es deshalb, im Sinne einer besseren Verteilungsgerechtigkeit zu beseitigen.
In einer Simulation auf Basis der "BARMER GEK"-Daten konnte mit einer in den USA bereits etablierten Methode eine bessere Zielgenauigkeit der Zuweisungen erreicht werden. Die Ergebnisse werden dem Bundesversicherungsamt vorgestellt, das Kassen und Verbänden im Rahmen des jährlichen Anhörungsverfahrens die Möglichkeit gibt, Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten.

Epidemieartige Verbreitung von Adipositas

Thematisiert wird auch die sprunghaft steigende Zahl chirurgischer Eingriffe bei krankhafter Adipositas. Mit 312 bariatrischen Operationen (Magenbypass etc.) in 2009 haben sich die Eingriffe bei Versicherten der ehemaligen "BARMER" seit 2006 mehr als verdreifacht und Kosten in Höhe von 1,6 Millionen Euro verursacht.
Bei krankhaft oder schwer Adipösen mit Begleiterkrankungen ist eine solche Operation als Ultima Ratio in Betracht zu ziehen, um neben dem Gewicht auch Begleiterkrankungen wie Diabetes mellitus zu reduzieren, so Dr. Ursula Marschall, Leiterin des Kompetenzzentrums Gesundheit der "BARMER GEK".
Allerdings bleibe die Adipositaschirurgie weiterhin eine Hochrisikochirurgie. Es gilt, die Betroffenen auszuwählen, die von solch einer Operation auch langfristig profitieren. Marschall verweist in diesem Zusammenhang auf die medizinischen Auswahlkriterien in der aktuellen S-3 Leitlinie zur bariatrischen Adipositaschirurgie.
Gleichzeitig empfehle sich der Eingriff nur in zertifizierten Spezialkliniken. Marschall: "Da die epidemieartige Ausbreitung der Adipositas anhalten wird, ist mit weiter steigenden Operationszahlen zu rechnen. Studien zur Versorgungsforschung auch mit sektorübergreifenden Daten einer Krankenkasse sind erforderlich, geeignete Versorgungsprozesse zu etablieren, die zuallererst auf die Prävention des morbiden Übergewichts zielen."

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