33 Sofortmaßnahmen gegen die Krise verspricht das aktuelle Buch des Top-Beraters Professor Hermann Simon. Im Interview mit Andreas Buhr plädiert der Erfolgsbuchautor nicht nur für kurzfristig wirksame Konzepte, sondern auch für Strategien nachhaltiger, vorausschauender Unternehmensführung.

Buhr: Herr Professor Simon, die Experten streiten sich: Für die einen ist die Krise vorbei, Konsum und Produktion sind wieder angesprungen. Die anderen erwarten das "dicke Ende" noch mit einem bevorstehenden zweiten Knall auf den Finanzmärkten und folgend erhöhten Arbeitslosenzahlen sowie Einbrüchen der Binnennachfrage. Wie schätzen Sie die Lage ein - wann ist Krise kein Thema mehr?

Prof. Hermann Simon: Das weiß schlussendlich niemand. Aufgrund der vielen Gespräche, die ich mit Unternehmensleitern geführt habe, bin ich der Auffassung, dass mit einer mittelfristigen Einschränkung der Kapazitäten zu rechnen ist, wie sie mit dem Begriff der Hysterese beschrieben wird.
Neben dem möglichen V-, U- oder L-förmigen Verlauf beschreibt die Hysterese einen plötzlichen Abfall des wirtschaftlichen Niveaus und eine spätere Konsolidierung auf einem tieferen Plateau, d.h. das Ausgangsniveau wird nicht mehr oder auf längere Zeit nicht mehr erreicht.

Was diese Ansicht bestärkt, sit meine Einschätzung der gesamtgesellschaftlichen Befindlichkeit in Deutschland.: Der Optimismus ist in den USA und in Korea weit stärker ausgeprägt. Außerdem ist die wirtschaftliche Entwicklung dort auch ein halbes Jahr voraus, insofern ist das Tal dort schon weiter durchschritten. Aber es gibt auch positive Aspekte hier: Denn Wirtschaftspessimismus und die Masse der negativen Nachrichten wollen die Deutschen auch nicht dauerhaft ertragen.

Wer sich positive Nachrichten wünscht, der lebt das Prinzip der selbst erfüllenden Prophezeiung: "Erst denke ich (es) besser - und dann wird es besser!"


Buhr: Die jetzige Krise sei keine Ressourcen- oder Kostenkrise, schreiben Sie in Ihrem Buch, es ist eine Vertrauens- und Umsatzkrise. Wie können Unternehmen in dieser Situation Kunden halten, ruhende Kontakte wieder aktivieren oder sogar neue Kunden gewinnen?

Simon: Wer Angst vor der Zukunft hat, übt sich in Konsumzurückhaltung, hortet lieber Ersparnisse, geht auf Nummer Sicher. Diesen Kunden-Bedürfnissen können Unternehmen mit verschiedenen Strategien gerecht werden, darunter:
  • 1. Adaptiv erweiterte Garantien geben
    Das hat beispielsweise ein Automobilkonzern umgesetzt mit der Zusage, dass die Leasingrate beim Kauf eines Autos für drei Monate übernommen wird, sollte der Käufer zwischenzeitlich seinen Arbeitsplatz verlieren.
  • 2. Vertrieb strukturell stärken
    Das kann in der Krise bedeuten, den Vertriebseinsatz zu erhöhen, also mehr als bisher für den Vertrieb auszugeben und die Mannschaft auszuweiten.
  • 3. konsequentes Angebots- und Preismanagement betreiben
    Keinesfalls sollte man jetzt die Preisführerschaft nach unten antreten, denn aus dem Tal der tiefen Preise erklimmt man schwerlich wieder die unternehmerische Spitze. In der Konsequenz kann das heißen, das Angebot eher zu verknappen, um die Preise stabil zu halten.
  • 4. Serviceangebot erweitern
    Vertiefen Sie die Wertschöpfungskette durch angereicherte Serviceangebote wie im Fallbeispiel Media-Saturn. Seit Beginn der Krise bietet dieser große Elektronik-Händler über eine Tochterfirma "Powerservice 24" an, mit dem alle Services von Lieferung über Montage, Wartung und technischer Dienst für alle Geräte zu Fixpreisen erledigt werden.



Buhr: Kommen wir kurz auf Ihren zweiten Punkt zurück: Gerade wenn die Märkte schwierig sind, werden Marketingbudgets gekürzt und der Vertrieb wird mit Druckmaßnahmen oft mehr geschwächt als vorangebracht. Wie aber können Absatz und Vertrieb in der Krise gestärkt werden?

Simon:
Vor allem geht es darum, kurzfristig die "Manpower" quantitativ wie qualitativ auszubauen. Es ist überlegenswert, Innendienstmitarbeiter im Vertrieb einzusetzen, da sie das Unternehmen und das Produktportfolio bereits kennen und daher viel schneller als neue Mitarbeiter zu schulen sind - und sie sind schon aus eigenem Interesse motiviert!
Weitere Maßnahmen: Erhöhung der Kernvertriebszeit, differnzierte Steuerung der Kundenbesuche, Stärkung des Direktvertriebs, Erschließung neuer Kundensegmente oder Erhöhung des Lieferantenanteils bei bestehenden Kunden. Und schließlich:
Schauen Sie nicht nur auf den Erstmarkt, der Gebrauchtmarkt, der so genannte "Aftermarkt" kann gerade jetzt profitabel sein, um Umsatzlücken zu füllen. Das ist eine Frage der Strategie.

Als ein Beispiel kann ich BMW anführen, die jetzt darauf setzen, auch Fahrer älterer Modelle wieder in die Werkstätten zu locken, da diese, sobald die Autos älter als vier Jahre waren, bisher häufig zu freien Werkstätten oder Werkstattketten abgewandert sind.


Buhr: Welche Branchen können Gewinner der Krise sein?

Simon: Hier ist der Bildungssektor zu nennen, da die Menschen aus vielen Gründen verstärkt in ihre Ausbildung investieren, länger studieren, mehr tun, um persönlich zu wachsen. Training ist auch ein wichtiges Thema, um den Vertrieb nach vorne zu bringen.
Nach unseren Untersuchungen zeichnet die besten Verkäufer und Vertriebsführungskräfte ein Set an Kompetenzen von technischer Qualifikation bis Hartnäckigkeit, Argumentationssicherheit, Kundenorientierung und Kundennutzenformulierung aus - und diese sind sicher trainierbar!

Um die Antwort auf die Frage zu vervollständigen: Außerdem werden einige spezifische Freizeitbranchen von der Krise profitieren - und schließlich auch die Sicherheitsindustrie. Denn mit der Dauer der Krise wird die Angst vor Übergriffen gegen Privateigentum wie Einbruch oder Überfall zunehmen. Daher ist jetzt schon die Nachfrage nach Safes in den USA extrem gestiegen, so dass es momentan kaum einen Safe zu kaufen gibt.


Buhr: Wenn diese Krise eine Chance beinhaltet, dann die, über gelebte Werte nachzudenken. "Wertschätzung kommt von Wertschöpfung" nennen wir das. Welche Top-Werte stellen Sie als Unternehmer selbst nach vorn?

Simon: Ganz klar: 1. Ehrlichkeit, 2. Qualität, 3. Kreativität, 4. Schnelligkeit

Buhr: Vor welchen Fehlern warnen Sie jetzt besonders - und was zeichnet umgekehrt nachhaltiges Wirtschaften jetzt aus?

Simon: Nachlässiges Liquiditätsmanagment ist schon zu normalen Zeiten einer der schlimmsten unternehmerischen Fehler - und in der Krise kann er nahezu selbstmörderisch sein. Wer jetzt in die Insolvenz schlittert, hat womöglich auch zu früherer Zeit schon über eine zu dünne Liquiditätsdecke verfügt.

Ein weiterer Fehler, der auf falschen Werten beruht, ist fehlgeleitetes Zielstreben - womöglich gepaart mit Kopflosigkeit. Wer statt zu konsolidieren noch "auf Teufel komm raus" expandieren will und dies zulasten seiner Liquidität tut, einen Schuldenberg aufhäuft, begibt sich in fatale Abhängigkeiten von Kreditgebern und Märkten und verliert unternehmerischen Handlungsspielraum.

Wichtig ist zudem, dass das Kosten- wie das Preissegment stringent geführt werden: Kosten dürfen nicht nach der Rasenmähermethode gedrückt, bisher realisierte höhere Preisniveaus nicht sinnlos aufgegeben werden - mit beidem wird die Zukunftsfähigkeit der Firmen auf's Spiel gesetzt. Und schließlich ist die gute Abstimmung der vier Bereiche Positionierung, Strategie, Marketing und Vertrieb extrem wichtig in Zeiten wie diesen.


Herr Professor Simon, wir danken für das Interview!

Das Interview führte Andreas Buhr. Es erschien im Coachingbrief der go! -Akademie für Führung und Vertrieb

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