Was Versicherer über KI-gestütztes Marketing lernen müssen
Viele Versicherer testen künstliche Intelligenz im Marketing. Doch nur wenige schaffen den Sprung von Pilotprojekten zur echten Transformation. Oft scheitert es weniger an der Technik als an Haltung, Prozessen und Führung. Wer KI erfolgreich integrieren will, muss sie in die DNA des Marketings einbetten, unterstreicht Dr. Dirk Franssens von der Digitalberatung elaboratum.

- Was Versicherer über KI-gestütztes Marketing lernen müssen
- Vom Projekt zur Praxis: Erfolgsfaktoren für Versicherer
- Sieben Prinzipien für Versicherer: So gelingt die KI-Transformation im Marketing
Jedes Versicherungsmarketing will relevanter werden, doch die Realität sieht oft anders aus: generische Mailings, niedrige Konversionsraten und ein hoher manueller Aufwand. KI verspricht Abhilfe, doch die meisten Initiativen versanden. Woran liegt das? Die Antwort hat weniger mit Technologie als mit Psychologie zu tun. Nahezu alle Gesellschaften beschäftigen sich inzwischen mit dem Thema, viele haben erste Pilotprojekte gestartet. Doch die Praxis zeigt: Zwischen ersten Gehversuchen und echter Transformation liegt ein weiter Weg. Oft fehlt die konsequente Verankerung im Arbeitsalltag, sodass Projekte zwar auf Messen oder in Pressemitteilungen glänzen, intern aber kaum Wirkung entfalten.
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Typische Irrwege: Warum viele KI-Projekte ins Stocken geraten
Erkenntnisse aus der Praxis zeigen, dass auf dem Weg zu einer KI-gestützten Marketingabteilung weniger einzelne Leuchtturm-Projekte als vielmehr ein systematischer Lernprozess mit all seinen Rückschlägen, Umwegen und Erfolgen entscheidend ist.
1. Leuchtturm statt Integration
Viele Unternehmen starten mit ambitionierten Use Cases – ein Chatbot hier, ein KI-Texttool dort. Doch oft bleiben diese Projekte im Labor stecken. Grund: Sie werden nicht in den Marketing-Workflow integriert. Dadurch können Mitarbeitende die Tools im Alltag nicht effektiv nutzen – der Mehrwert verpufft.
2. IT-Projekt statt Produktentwicklung
Ein häufiger Fehler ist die technische Brille: KI wird als IT-Projekt gesehen, das „installiert“ wird. Dabei geraten die Menschen – Kund:innen wie Mitarbeitende – aus dem Blick. Erfolgreicher ist es, KI wie ein Produkt zu entwickeln: Welche Probleme löst sie für Kund:innen? Wie muss die User Experience für Mitarbeitende aussehen, damit sie die Tools nutzen?
3. Operative Bremsklötze
Gerade in der Umsetzung zeigen sich viele Fallstricke: Nicht die großen Strategien, sondern scheinbar kleine Hindernisse entscheiden darüber, ob ein Projekt Fahrt aufnimmt oder ins Stocken gerät. Typisch sind dabei wiederkehrende Muster, die in vielen Versicherungen ähnlich auftreten:
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- Datenschutz-Unsicherheit: Innovationsprojekte geraten ins Stocken, weil aus Vorsicht zu restriktiv gehandelt wird.
- Kompetenzlücken im Marketing: Fehlendes KI-Know-how im Team führt zu Abhängigkeiten von wenigen Spezialist:innen und verlangsamt die Umsetzung.
- Zeitmangel: Parallele Großprojekte wie ein neues CMS oder Marketing-Automation sowie das Tagesgeschäft verhindern die nötige Aufmerksamkeit für KI-Initiativen. Oft herrscht eine „Wir-warten-noch“-Mentalität: Erst wenn andere Projekte abgeschlossen sind, soll KI angegangen werden.
- Technische Limitierungen: Veraltete Modelle, schlechte Datenqualität oder fragmentierte Tools sorgen für Frust („die KI kann auch nichts“). Besonders kritisch ist, dass viele Unternehmen aus Datenschutzgründen eigene KI-Modelle entwickelt haben, die auf älteren Versionen wie ChatGPT-4 basieren. Dadurch wirken die Systeme im Vergleich zu aktuellen Modellen oft eingeschränkt – in den Teams heißt es dann schnell: „Unsere KI kann ja noch nicht mal …“.
- Fehlendes Bekenntnis der Führung: Wenn das Commitment des Vorstands nur oberflächlich bleibt, fehlt den Teams die nötige Priorisierung und Ressourcen. Ohne sichtbare Unterstützung von oben bleibt KI ein Fachthema – und verliert bei Zielkonflikten schnell an Durchschlagskraft.
- Unreife Datengrundlage: Kundendaten sind häufig über zahlreiche, nicht verbundene Systeme verteilt. Fehlt eine integrierte Datenbasis, kommen KI-Projekte im Marketing nicht vom Fleck.
Vom Projekt zur Praxis: Erfolgsfaktoren für Versicherer
Aus zahlreichen Projekterfahrungen im Versicherungsumfeld lassen sich klare Erfolgsfaktoren ableiten, wie KI im Marketing nachhaltig verankert werden kann.
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1. Mensch im Mittelpunkt
Ob Kund:in oder Mitarbeiter:in: In verschiedenen Projekten wird jede KI-Anwendung darauf geprüft, welchen Nutzen sie für die jeweilige Zielgruppe bringt. Der Ansatz des „Human-in-the-Loop“ wird dabei sehr praktisch umgesetzt: Die KI automatisiert zwar Prozesse, aber der Mensch behält stets die finale Kontrolle. So entsteht Vertrauen in die Technologie – nicht durch Kontrolle um der Kontrolle willen, sondern durch nachvollziehbare Entscheidungsprozesse und spürbare Entlastung im Alltag.
2. Agile Methoden einsetzen
In der Praxis hat sich gezeigt, dass sich agile Methoden aus dem Design Thinking besonders bewähren. Versicherer führen gezielt AI-Design Sprints durch, in denen der gesamte Content-Prozess analysiert und neu aufgesetzt wird. Statt lediglich ein einzelnes KI-Text-Tool zu entwickeln, entsteht dabei ein automatisierter Gesamtprozess – ein sogenannter „agentic workflow“. In diesem arbeiten mehrere KI-Komponenten wie ein eingespieltes Team zusammen. Bereits am Ende eines Sprints kann eine erste Version dieses Workflows getestet werden, was die Erstellung von Produkttexten und Mailings deutlich beschleunigt, ohne dass Qualität und Compliance darunter leiden.
3. Kompetenzaufbau: Die KI als Co-Intelligenz verstehen lernen
In der Praxis erkennen Versicherer, dass oberflächliche Prompting-Kurse nicht ausreichen. Das Ziel sogenannter AI-Literacy-Trainings ist daher weitaus fundamentaler: Die Mitarbeitenden sollen lernen, KI nicht als Werkzeug, sondern als permanentes „zweites Gehirn“ zu begreifen – als eine Art Co-Intelligenz. Der Fokus liegt weniger auf einzelnen Befehlen, sondern auf dem tiefen Verständnis, wie KI „denkt“ und wie sie bestehende Arbeitsabläufe von Grund auf verändern kann. Es geht darum, eine neue Gewohnheit zu etablieren: die intensive, tägliche Kollaboration mit KI zur Problemlösung und Ideenfindung. Das hilft, Ängste abzubauen und vermittelt das entscheidende Gefühl von Kompetenz und Selbstwirksamkeit. Begleitend werden Führungskräfte darin geschult, wie sie diese neue Form der Zusammenarbeit in ihren Teams aktiv fördern und fordern können.
4. Neue Capabilities: Rollen, Prozesse und Strukturen weiterentwickeln
Aus Projekterfahrungen zeigt sich, dass die neu erlernte Zusammenarbeit mit KI als Co-Intelligenz zwangsläufig zur Weiterentwicklung der gesamten organisatorischen Capability führt. Die Veränderung von Aufgaben ist dabei nur der erste Schritt: So wandelt sich die Rolle des klassischen Content-Erstellers hin zum Content-Supervisor, der KI-generierte Ergebnisse kuratiert, optimiert und auf Compliance prüft. In der Praxis hat sich außerdem gezeigt, dass es entscheidend ist, auch die Prozesse an diese neue Realität anzupassen. Die neuen, KI-gestützten Workflows werden nicht als Insellösung betrachtet, sondern nahtlos in den gesamten Content-Prozess eingebettet, um manuelle Brüche zu vermeiden. Gleichzeitig zeigt sich, dass KI traditionelle Abteilungsgrenzen auflöst. Um die neuen Workflows effektiv zu gestalten, müssen Marketing-, IT- und Data-Teams deutlich enger und integrierter zusammenarbeiten. Diese Erkenntnisse aus Projekten führen dazu, dass viele Versicherer ihre Strukturen gezielt anpassen und KI als festen Bestandteil des Operating Models etablieren, statt sie als bloße Zusatzaufgabe zu behandeln.
5. Kontinuierliches Monitoring der Transformation
Auch hier zeigt die Praxis, dass die gesamte Transformation durch ein engmaschiges Monitoring begleitet werden sollte, um nicht nur die Nutzungsraten, sondern vor allem die Stimmung und die tieferliegenden Bedürfnisse im Team zu verstehen. Regelmäßige, niederschwellige Team-Umfragen dienen als „Seismograph“, um frühzeitig zu erkennen, welche zusätzlichen Interventionen nötig sind. So zeigt das Monitoring beispielsweise ein auf den ersten Blick paradoxes Bild: Die Mitarbeitenden akzeptieren und nutzen die neuen KI-Tools, fühlen sich aber gleichzeitig unsicher, ob ihre eigene, über Jahre aufgebaute Expertise noch wertgeschätzt wird. In erfolgreichen Projekten reagieren Versicherer darauf mit Formaten, in denen die unersetzliche Rolle der menschlichen Erfahrung im Zusammenspiel mit KI betont wird. So können gezielt die richtigen Maßnahmen zur Steigerung von Akzeptanz und Nutzung abgeleitet werden.
Sieben Prinzipien für Versicherer: So gelingt die KI-Transformation im Marketing
Aus diesen Erfahrungen lassen sich praxisnahe Schlüsse ziehen, die auch anderen Versicherern Orientierung geben können. Wer die Lernkurve abkürzen will, sollte vor allem auf folgende Prinzipien achten:
- KI als Co-Intelligenz verstehen: Schulen Sie nicht nur die Tool-Bedienung, sondern fördern Sie das Verständnis für eine neue, kollaborative Arbeitsweise mit KI.
- Führung als Wegbereiter: Echte Transformation braucht ein sichtbares Bekenntnis der Führung, das sich in Ressourcen und Prioritäten widerspiegelt.
- Fundament vor Aktionismus: Eine solide Datengrundlage, klare Verantwortlichkeiten (Ownership) und Governance sind die Voraussetzung für sichere Innovation.
- Produktdenken statt IT-Logik: Erfolgreiche Use Cases entstehen, wenn Kunden- und Mitarbeiterperspektiven gleichermaßen berücksichtigt werden.
- Workflows statt Leuchttürme: KI bringt nur dann Mehrwert, wenn sie nahtlos in die operativen Alltagsprozesse integriert wird.
- Strukturen anpassen: Neue Kompetenzen und Workflows erfordern oft auch neue, teamübergreifende Strukturen, um wirksam zu werden.
- Transformation begleiten, nicht nur messen: Nutzen Sie kontinuierliches Monitoring als "Seismograph", um die wahren Bedürfnisse im Team zu verstehen und gezielt eingreifen zu können.
Fazit: KI muss Teil der DNA werden KI im Marketing ist kein Selbstzweck und schon gar kein Schnellschuss. Wer lediglich einzelne Leuchtturm-Projekte startet, riskiert Stillstand und Frustration. Erfolgreich sind diejenigen Versicherer, die KI konsequent als Teil einer strategischen Transformation begreifen: Sie verknüpfen Use Cases mit klaren Geschäftszielen, schaffen Freiräume für ihre Teams, investieren in Kompetenzen und hinterfragen Rollen, Aufgaben und Prozesse.
Der wichtigste Lerneffekt: Es reicht nicht, KI auszuprobieren. Man muss sie in die DNA der Marketingprozesse integrieren. Nur dann entwickelt sich aus ersten Tests ein Wettbewerbsvorteil, der nachhaltig trägt – und Versicherer in die Lage versetzt, in einem digitalen Marktumfeld nicht nur Schritt zu halten, sondern die Zukunft aktiv mitzugestalten.
Über den Autor Dr. Dirk Franssens ist Director bei der Digitalberatung elaboratum und leitet dort den Bereich Organisationsentwicklung & Change. Als promovierter Diplom-Psychologe und zertifizierter systemischer Coach gilt er als einer der führenden Experten für die menschenzentrierte Gestaltung von KI-Transformationen. Sein Schwerpunkt liegt auf der Anwendung von systemischem Denken und psychologischen Prinzipien, um die nachhaltige Adoption von Künstlicher Intelligenz (AI-Adoption) in Organisationen sicherzustellen und Veränderungsprozesse erfolgreich zu begleiten.
Schlagzeilen
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