Kfz-Versicherung: Strategien gegen Margenverfall und Kundenflucht
Die Kfz-Versicherung steht unter massivem Druck. Der Branche machen steigende Beiträge und schrumpfende Gewinne zu schaffen. Ursache sind teure Reparaturen, Wetterextreme und ein harter Preiskampf. Doch es gibt Hoffnung, meint Dr. Thomas Zwack, Partner bei Advyce & Company.

- Kfz-Versicherung: Strategien gegen Margenverfall und Kundenflucht
- Ein spezifisch deutsches Problem?
- Lösungsansätze und neue Ertragspotenziale
Autofahrer und KFZ-Versicherungsunternehmen haben zu kämpfen. Immer höhere Beiträge schocken Versicherte, dennoch sind die Versicherungsunternehmen nicht einmal profitabel. Woran liegt diese Entwicklung?
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Autofahren wird in Deutschland seit einiger Zeit deutlich teurer. Nicht nur beim Tanken oder Autokauf, sondern auch bei Reparaturen und Versicherungen. Neben der Inflation treiben vor allem technische, wirtschaftliche und Umwelteinflüsse die Kosten bei der Versicherung. Moderne Autos mit vielen Sensoren und Assistenzsystemen verursachen bei Unfällen hohe Reparaturkosten, besonders Elektrofahrzeuge mit spezieller Technik und geschultem Personalbedarf im Falle einer Reparatur. Auch Ersatzteile sind teurer und manchmal schwerer verfügbar, was Wartezeiten und Zusatzkosten, wie etwa Mietwagen, nach sich zieht. Zudem steigen seit Jahren die Behandlungskosten nach Unfällen mit Personenschäden und Extremwetter wie Hagel oder Starkregen verursacht immer mehr Schäden an Kraftfahrzeugen. Deshalb sind viele Versicherungen gezwungen, ihre Beiträge weiter zu erhöhen.
Die neuen Typklassen orientieren sich stark an Schadenquoten und Reparaturkosten. Wie nachvollziehbar ist dieses Einstufungssystem aus Ihrer Sicht für Verbraucher – und wo sehen Sie gegebenenfalls Verbesserungspotenzial bei der Methodik?
Das derzeitige Typklassensystem in der Kfz-Versicherung orientiert sich im Wesentlichen an empirischen Schadendaten und den durchschnittlichen Reparaturkosten von Fahrzeugmodellen und hat das Ziel, eine objektive und risikoadäquate Einstufung zu gewährleisten. Nur wenige Länder nutzen übrigens ein fahrzeugtypspezifisches Einstufungs-/Gruppensystem. Grundsätzlich ist diese Methodik natürlich sehr hilfreich, da Fahrzeuge, die häufiger oder teurere Schäden verursachen, höhere Versicherungsprämien bedingen. In der Praxis ist das System für Verbraucher jedoch wenig transparent und es zeigt aus deren Sicht einige Schwächen.
Oftmals werden Aspekte wie Fahrverhalten, Nutzungskontexte oder die Wirkung moderner Sicherheits- und Assistenzsysteme in dieser Typklassen-Methodik aus Sicht des Versicherungsnehmers nicht ausreichend gewürdigt. Der Versicherer nutzt hier dann zusätzliche tarifrelevante Merkmale, um den Versicherungsnehmer ggfs. zusätzlich zu honorieren. Eine verständliche Darstellung der wichtigsten Einflussfaktoren je Typklasse, etwa über Online-Tools oder Vergleichsdashboards, könnte aber die Nachvollziehbarkeit dieser Typklassen-Einordnung erhöhen und den Verbraucher etwa beim Neu- oder Gebrauchtwagenkauf unterstützen. Mehr Offenheit und bessere Kommunikation könnten es zu einem nachvollziehbaren und akzeptierten Instrument der risikogerechten Beitragsgestaltung machen.
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In 2024 wurden die Prämien in der Kraftfahrtversicherung erstmals deutlich angehoben. In diesem Jahr steigt der Durchschnittsbeitrag voraussichtlich um weitere 10%, in der Vollkasko sogar um 15 Prozent (Quelle: E+S Rück). Durch diese überdurchschnittlich hohen Anpassungen in Folge sind die deutschen Kraftfahrterstversicherer nun aber auf einem guten Weg, in absehbarer Zeit wieder profitabel zu arbeiten. Zusätzliche Sanierungsmaßnahmen und ein unterdurchschnittlicher Elementarschadenverlauf in 2025 können zu einer Trendwende führen und die Kfz-Versicherer dürfen wieder verhalten positiv in die Zukunft blicken. Für Verbraucher könnte dies bedeuten, dass die Jahre von deutlichen Preissprüngen erst einmal vorbei sind.
Ein spezifisch deutsches Problem?
Welche Rolle spielen Vertrieb und Kundenverhalten (z. B. Underinsurance, Underwriting-Erosion, Wechselverhalten) für die Margenentwicklung?
Die Margenentwicklung von Versicherungsunternehmen wird stark durch den Vertrieb und das Kundenverhalten beeinflusst, da beide Faktoren Risikostruktur, Prämienniveau und Kosten bestimmen.
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Der Vertrieb ist in diesem Zusammenhang elementar für die Kundengewinnung, verursacht aber zugleich Kosten. Hohe Provisionen und Wettbewerbsdruck können die Kostenquote erhöhen und die Margen schmälern. Eine gezielte Vertriebssteuerung und risikoadäquate Vergütungssysteme verbessern dagegen die Profitabilität. Digitale Vertriebswege können Kosten positiv beeinflussen und eine bessere Datennutzung für risikoorientierte Kundenakquise ermöglichen. Auch die Beratungsqualität spielt eine wichtige Rolle. Eine unzureichende Beratung und Betreuung können zu einer Unterversicherung führen. Gute Beratung und transparente Produkte stärken hingegen die Kundenbindung und Margenstabilität.
Ein weiterer Faktor ist die sogenannte Underwriting-Erosion. In wettbewerbsintensiven Märkten oder bei automatisierten Prozessen werden Risikoprüfungen durchaus vereinfacht, was im ungünstigen Fall zu steigenden Schadenquoten führen kann. Eine konsequente, gut geplante und durchgeführte datenbasierte Risikoselektion kann dem entgegenwirken.
Das Kundenverhalten wirkt ebenfalls direkt auf die Marge: Hohe Wechselraten und Preissensitivität senken die Verweildauer des Versicherungsnehmers bei einer Versicherung und erhöhen die Akquisitionskosten. Da viele Verträge erst nach mehreren Jahren profitabel werden, mindert eine geringe Kundenbindung die Rentabilität.
Insgesamt zeigt sich: Intensiver Preiswettbewerb, Fehlanreize im Vertrieb und wechselbereite Kunden können zu Margenerosion führen. Umgekehrt sichern ein professionell gesteuerter Vertrieb, striktes Underwriting und langfristige Kundenbindung stabile Margen und nachhaltigen Unternehmenserfolg.
Sehen wir hier ein spezifisch deutsches Problem?
Das Problem ist kein spezifisch deutsches, sondern lässt sich in nahezu allen entwickelten Versicherungsmärkten beobachten. Allerdings unterscheiden sich die Ursachen und Ausprägungen von Land zu Land.
In Deutschland ist der Margendruck besonders stark, weil der Markt gesättigt, hoch reguliert und provisionsgetrieben ist. Der Wettbewerb läuft häufig über den Preis, was zu Underwriting-Erosion und hohem Wechselverhalten führt, vor allem in der Kfz-Versicherung.
In Großbritannien zeigen sich ähnliche Entwicklungen, allerdings getrieben durch eine etwas weiter fortgeschrittene Digitalisierung und eine hohe Attraktivität von Preisvergleichsportalen bei den Verbrauchern. Diese haben zu einer sehr hohen Preistransparenz geführt, wodurch Kunden regelmäßig den Anbieter wechseln. Versicherer reagieren mit datengetriebenen Preismodellen und personalisierten Produkten, um profitable Kundensegmente zu halten.
In den USA ist das Problem stärker durch Underinsurance geprägt. Viele Privatkunden sind unterversichert, insbesondere im Bereich der Kranken- und Lebensversicherung, was langfristig zu Ertrags- und Stabilitätsproblemen führt. Gleichzeitig verursachen aggressive Vertriebsmodelle hohe Akquisitionskosten, was die Margen zusätzlich belastet.
Auch in asiatischen Märkten wie Hongkong, Singapur oder Japan sind Margenprobleme sichtbar. Dort treiben digitale Plattformen und InsurTechs den Wettbewerb an, während die hohe Preissensitivität der Kunden und ein dynamisches Wechselverhalten die Profitabilität senken.
Insgesamt handelt es sich also um ein globales Phänomen, das überall dort auftritt, wo Märkte reifer, transparenter und wettbewerbsintensiver werden.
Lösungsansätze und neue Ertragspotenziale
Mit welchen Maßnahmen und Lösungsansätzen, kann die Versicherungsindustrie nun gegensteuern?
Um dem zunehmenden Margendruck entgegenzuwirken, kann die Versicherungsindustrie an mehreren Punkten ansetzen. Zentrale Hebel liegen in der Kundenorientierung, Vertriebsqualität, Risikosteuerung und Digitalisierung. Alles Punkte, an denen Versicherer bereits heute mit Hochdruck arbeiten. Eine bedarfsorientierte Beratung, transparente Produkte, flexible Tarife und ein guter Service im Falle eines Schadens, stärken das Vertrauen der Kunden und reduzieren Wechselraten.
Auch der Vertrieb kann natürlich immer noch weiter optimiert werden. Anreizsysteme sollten an Profitabilität statt an Absatzvolumen gekoppelt werden, um Fehlanreize zu vermeiden. Gleichzeitig können digitale Tools und hybride Vertriebsmodelle die Effizienz steigern und Kosten senken.
Ein weiterer Schlüssel liegt in der Stärkung des Underwriting. Moderne Datenanalyse- und KI-Systeme können eine noch bessere Risikobewertung ermöglichen und verhindern so eine Verwässerung der Underwriting-Qualität. Schadenquoten lassen sich so stabilisieren und Margen sichern. Darüber hinaus können Automatisierung und Predictive Analytics Prozesse im Schadenmanagement und in der Administration effizienter gestalten und damit die Kostenquote senken.
Ebenso wichtig ist die Kundenbindung. Personalisierte Kommunikation, digitale Services und schnelle, faire Schadenabwicklung fördern Loyalität und verringern die Wechselneigung. Schließlich gewinnen auch Nachhaltigkeit und gesellschaftliche Verantwortung an Bedeutung. Kunden erwarten zunehmend, dass Versicherer verantwortungsvoll handeln. Nachhaltige Produkte und ESG-orientierte Strategien schaffen Vertrauen und ermöglichen langfristig stabile Erträge.
Insgesamt braucht die Branche also einen Wandel hin zu kundenwertorientierten, datenbasierten und nachhaltigen Geschäftsmodellen, um ihre Margen in einem wettbewerbsintensiven Umfeld zu sichern.
Können digitalisierte Angebote oder eine vertikale Integration auf Seiten der Versicherer die Entwicklung bremsen?
Digitalisierte Angebote und vertikale Integration können die Margenerosion in der Versicherungswirtschaft spürbar bremsen, sofern sie strategisch klug umgesetzt werden. Durch den Einsatz moderner Technologien lassen sich insbesondere die Kosten- und Schadenquoten senken. Automatisierte Prozesse in Vertrieb, Verwaltung und Schadenbearbeitung ermöglichen eine erhebliche Effizienzsteigerung und führen zu niedrigeren Betriebskosten. Gleichzeitig erlaubt datenbasiertes Pricing, etwa durch Telematik oder KI-gestützte Risikomodelle, eine präzisere Tarifierung und verhindert eine schleichende Underwriting-Erosion.
Auch im Kundenmanagement bieten digitale Plattformen und Self-Service-Portale Vorteile. Sie verbessern die Servicequalität, erhöhen die Zufriedenheit und reduzieren damit das Wechselverhalten. Vertikale Integration wirkt zusätzlich als strategischer Hebel, indem Versicherer einzelne Wertschöpfungsstufen selbst übernehmen. Eigene Direktkanäle senken die Abhängigkeit vom provisionsgetriebenen Vertrieb und sichern die Datenhoheit über den Kundenkontakt. Ebenso können integrierte Schadenmanagementsysteme oder eigene Werkstattnetze die Reparaturkosten kontrollieren und den Bearbeitungsaufwand verringern.
Darüber hinaus entstehen neue Ertragspotenziale, wenn Versicherer präventive Dienstleistungen, etwa im Gesundheits- oder Smart-Home-Bereich, in ein ganzheitliches Service-Ökosystem einbinden.
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Allerdings erfordert diese Entwicklung hohe Investitionen, technologische Kompetenz und eine konsequent kundenzentrierte Umsetzung. Fehlende Integration, mangelnde Datenqualität oder übertriebene Digitalisierung können die Effizienzgewinne wieder aufzehren. Entscheidend ist daher, dass Versicherer Digitalisierung und Integration nicht als Selbstzweck, sondern als Instrument einer klaren Margenstrategie begreifen. Wer die gesamte Wertschöpfungskette kontrolliert, kann Kosten senken, Schadenaufwand reduzieren und die Ertragsbasis langfristig stabilisieren.
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