Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Stabilisierung des Rentenniveaus bei 48 Prozent und zur Einführung der Mütterrente III sorgt in der Wirtschaftswissenschaft für deutliche Kritik. Nach Einschätzung von Lars P. Feld, Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Freiburg, und Clemens Fuest, Präsident des ifo Instituts, führt das Rentenpaket zu massiven Mehrkosten, die langfristig den Bundeshaushalt und die junge Generation erheblich belasten werden. Das schreiben die beiden Ökonomen in einem Standpunkt auf der Internetseite des ifo Instituts.

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Die Bundesregierung will mit dem Paket die gesetzliche Rentenversicherung (GRV) stärken, zugleich aber Beitragserhöhungen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer vermeiden. Dafür soll der Bund die steigenden Ausgaben über höhere Zuschüsse aus Steuermitteln ausgleichen. Doch dieser Weg hat weitreichende finanzielle Folgen.

Mütterrente III: 60 Milliarden Euro bis 2040

Ein Bestandteil des Pakets ist die Mütterrente III, die Mütter besserstellt, deren Kinder vor 1992 geboren wurden. Diese Leistung gilt als versicherungsfremd – sie wird also nicht aus Beiträgen, sondern aus Steuermitteln finanziert.

Feld und Fuest betonen, dass diese Regelung zwar „den bisherigen Gepflogenheiten“ entspricht, die Kosten aber erheblich seien:

  • Zu Beginn belastet die Mütterrente III den Bundeshaushalt mit rund 5 Milliarden Euro jährlich.
  • Bis 2031 summieren sich die Ausgaben auf rund 20 Milliarden Euro,
  • bis 2040 auf etwa 60 Milliarden Euro.

Damit steigen die staatlichen Zuschüsse an die Rentenversicherung kontinuierlich – ohne dass eine langfristige Gegenfinanzierung erkennbar wäre.

Die 48-Prozent-Haltelinie: Ein teurer „technischer Trick“

Während die Mütterrente als klassische Sozialleistung gilt, betrifft die Haltelinie direkt das Kernsystem der Rentenformel. Sie legt fest, dass das Rentenniveau – also das Verhältnis zwischen Renten- und Arbeitseinkommen eines Modellrentners mit 45 Beitragsjahren – bis 2031 nicht unter 48 Prozent sinken darf.

Damit werden zwei zentrale Steuerungsmechanismen der Rentenformel faktisch außer Kraft gesetzt:

  • Der Beitragssatzfaktor, der Rentenanpassungen bei steigenden Beiträgen dämpfen soll, und
  • der Nachhaltigkeitsfaktor, der auf die demografische Entwicklung reagiert.

Beide Instrumente wirken in der neuen Gesetzgebung nicht mehr. Das bedeutet: Rentenzahlungen steigen künftig ungebremst mit den Bruttolöhnen.

Nach Berechnungen des Bundesrechnungshofs steigt der Bundeszuschuss ab 2028 um rund neun Milliarden Euro, 2030 auf 13 Milliarden Euro, und 2031 auf 15 Milliarden Euro. Bis 2040 summiert sich die Zusatzbelastung auf 150 Milliarden Euro und damit im Durchschnitt also zehn Milliarden Euro pro Jahr.

Der Staat schafft sich „massive zusätzliche und dauerhafte Belastung“

Feld und Fuest bezeichnen den Mechanismus im Gesetzentwurf als „technischen Trick“ mit hohen Folgekosten. Denn ab 2032 soll die Haltelinie zwar formal enden, die Rentenberechnungen setzen jedoch auf dem erhöhten Niveau von 48 Prozent auf und nicht auf dem bisherigen Wert von 47 Prozent. Dieser Unterschied von einem Prozentpunkt bedeutet jährlich rund 15 Milliarden Euro zusätzliche Belastung für den Bundeshaushalt und zwar dauerhaft sowie ohne Gegenfinanzierung.„Nichts davon wurde im Koalitionsvertrag vereinbart“, kritisieren die beiden Ökonomen. Der Eingriff verschiebe die Finanzierungsrisiken des Rentensystems weiter in die Zukunft und gefährde die finanzielle Nachhaltigkeit der öffentlichen Haushalte.

Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die geplante Änderung des Bundeszuschuss-Mechanismus. Bisher erhöht sich der Zuschuss, wenn die Bruttolöhne oder Beitragssätze steigen. Das geschieht, um den Steueranteil in der Rentenkasse stabil zu halten. Künftig soll der Bund jedoch den Differenzbetrag zwischen hypothetischen Ausgaben (ohne Haltelinie) und tatsächlichen Ausgaben übernehmen. Das öffnet laut Feld und Fuest die Tür für eine zunehmende Steuerfinanzierung der Rentenversicherung und das wäre ein Bruch mit dem bisherigen Prinzip der Beitragsäquivalenz. Diese Entwicklung, warnen die Autoren, führe zu wachsender Staatsabhängigkeit und reduziere die disziplinierende Wirkung, die bislang durch begrenzte Steuerzuschüsse gegeben war. In der Folge drohten höhere Steuerlasten, geringeres Wirtschaftswachstum und eine schlechtere Ausgangslage für kommende Generationen.

Demografische Realität ignoriert

Darüber hinaus kritisieren Feld und Fuest, dass die Haltelinie weiterhin auf einem Modellrentner mit 45 Beitragsjahren basiert. Dabei wird bis zum Jahr 2031 die Rente mit 67 vollständig umgesetzt sein. Korrekt wäre daher ein Modell mit 47 Beitragsjahren, was die Belastung der Rentenformel abmildern würde. Ohne diese Anpassung werde die Haltelinie zu früh wirksam und verschärfe die finanziellen Folgen des Gesetzes zusätzlich.

Die Ökonomen appellieren deshalb an den Bundestag, die „vermeintlich nur technischen“ Regelungen des Rentenpakets kritisch zu prüfen und zu korrigieren. Andernfalls drohe eine dauerhafte finanzielle Überlastung der Rentenversicherung und einhergehend damit auch die des Bundeshaushalts insgesamt.