Spannungsfeld zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Die Idee des Data Act ist verführerisch einfach: Daten, die bei der Nutzung von Produkten oder Dienstleistungen entstehen, sollen nicht länger exklusiv den Herstellern oder Anbietern vorbehalten sein. Stattdessen sollen Nutzerinnen und Nutzer ein Recht auf Zugang haben und diese Daten mit Dritten teilen können. Versicherer könnten davon profitieren, indem sie beispielsweise auf Daten aus Smart-Home-Geräten oder Fahrzeugen zugreifen, um Risiken genauer zu kalkulieren oder Schadenregulierungen effizienter abzuwickeln. Doch mit dem Transparenzbegriff geht eine gewisse Unschärfe einher. Zwar schafft der Data Act neue Zugangsrechte, doch bleibt unklar, wie die Daten inhaltlich dokumentiert, in welcher Qualität sie bereitgestellt und mit welchen Standards sie übertragen werden müssen. Für Versicherungsunternehmen bedeutet dies, dass zwar neue Quellen verfügbar sein können, die tatsächliche Nutzbarkeit aber stark von der praktischen Umsetzung abhängt. Ohne klare Vorgaben droht Transparenz schnell zur Worthülse zu werden.

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Strategische Chancen für Versicherer

Gelingt es, die Vorgaben des Data Act sinnvoll umzusetzen, eröffnen sich Versicherern neue strategische Optionen. Der Zugang zu externen Daten kann Geschäftsmodelle verändern, etwa in der Produktentwicklung, der Prävention oder im Schadenmanagement. So könnten Versicherer in der Lage sein, ihren Kunden personalisierte Tarife auf Basis realer Nutzungsdaten anzubieten oder Schadenereignisse durch kontinuierliches Monitoring zu verhindern. Die Transparenzpflichten können zudem das Vertrauen zwischen Kunden und Versicherern stärken. Wenn Versicherte nachvollziehen können, welche Daten wie genutzt werden, entsteht ein Mehrwert, der über den eigentlichen Versicherungsschutz hinausgeht. Hierin liegt auch ein Wettbewerbsvorteil: Unternehmen, die frühzeitig transparente und zugleich datenschutzkonforme Prozesse etablieren, positionieren sich als vertrauenswürdige Partner in einer zunehmend datengetriebenen Welt.

Eigene Daten als Mehrwertpotenzial

Darüber hinaus betrifft der Data Act nicht nur externe Datenquellen, sondern auch die Bestände, die Versicherer selbst halten und aufbereiten. Richtig eingesetzt können diese Informationen erhebliche Mehrwerte schaffen: So lassen sich Kunden proaktiv Übersichten über ihre Versicherungs- und Schadenshistorie bereitstellen, ergänzt um individuelle Risiko-Reports oder Statistiken zur persönlichen Gesundheitsentwicklung. Daraus können digitale Mehrwertdienste entstehen – etwa Finanz- und Versicherungscockpits, Präventionshinweise oder Cross-Selling-Angebote. Entscheidend ist jedoch nicht nur der Datenbesitz, sondern die Art der Aufbereitung: Wer Daten in verständlichen, nutzerfreundlichen Dashboards, Apps oder Reports zugänglich macht, schafft erlebbaren Nutzen und Differenzierung im Wettbewerb.

Transparenzpflichten als Risiko für Versicherer

Gleichzeitig dürfen die Risiken nicht übersehen werden: Der erleichterte Datenzugang kann es Kunden ermöglichen, Informationen nahtlos an Wettbewerber oder Vergleichsportale weiterzugeben, was den Anbieterwechsel beschleunigt. Hinzu kommt die Gefahr, dass diese Pflicht Versicherer auf ihre Rolle als reiner Risikoträger reduziert, während Analyse- und Beratungsleistungen zunehmend von Drittanbietern übernommen werden. Auch technisch erweist sich die Umsetzung als anspruchsvoll. Der Aufbau sicherer Schnittstellen und Self-Service-Portale verursacht erhebliche Kosten, während fehlerhafte oder unvollständige Datenbereitstellung schnell zu Rechtsstreitigkeiten oder Reputationsschäden führen kann. Besonders heikel bleibt zudem die Haftungsfrage: Selbst, wenn ein Datenleck erst nach Weitergabe durch den Kunden bei einem Drittanbieter entsteht, fällt der Vertrauensverlust oft auf den ursprünglichen Versicherer zurück. Schließlich verlieren Versicherer durch verpflichtende Transparenz ein Stück ihrer traditionellen Informationsasymmetrie gegenüber Kunden und Mitbewerbern – ein bislang stiller Wettbewerbsvorteil, der an Gewicht verlieren könnte.

Schwierige Beziehung zur Datenschutzgrundverordnung

Ein entscheidender Punkt ist das Zusammenspiel zwischen Data Act und Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Während der Data Act den Zugang zu Daten erleichtern möchte, bleibt die DSGVO der zentrale Referenzrahmen für den Schutz personenbezogener Informationen. In der Versicherungsbranche, die fast ausschließlich mit sensiblen Kundendaten arbeitet, ist dies von besonderer Bedeutung. Statt eines echten Gegensatzes spielen Data Act und DSGVO dabei eher zusammen: Die DSGVO schützt individuelle Rechte am Umgang mit personenbezogenen Daten, während der Data Act die Rahmenbedingungen für den fairen Zugang und die Weitergabe aller Daten schafft. Sie sind damit komplementär, doch gilt stets: Die DSGVO setzt die Grenzen für den Data Act, sobald personenbezogene Daten im Spiel sind. Das bedeutet, dass Daten weiterhin gemäß den Prinzipien der DSGVO – etwa Zweckbindung, Datensparsamkeit und Einwilligung – verwaltet werden müssen. Anstelle eines Spannungsfeldes handelt es sich eher um eine konsequente Erweiterung des bestehenden Rechtsrahmens. Praktisch relevant wird die Frage, wie Versicherer diese Vorgaben technisch und organisatorisch umsetzen: Wie werden Einwilligungen eingeholt, wie lassen sich Zweckbindung und Datensparsamkeit mit der angestrebten Datennutzung in Einklang bringen? Antworten darauf sind bislang nur ansatzweise erkennbar. Klar ist: Ohne leistungsfähige Consent-Management-Lösungen und ohne ein tiefes Verständnis der DSGVO lassen sich die neuen Spielräume des Data Act nicht rechtssicher ausschöpfen.

Compliance als Wettbewerbsfaktor

Die Versicherungsbranche ist seit jeher durch hohe regulatorische Anforderungen geprägt. Mit dem Data Act kommen zusätzliche Pflichten hinzu, die nicht nur als Compliance-Kosten, sondern als strategischer Wettbewerbsvorteil verstanden werden können. Wer Transparenzpflichten nicht nur formal erfüllt, sondern sie aktiv in kundenorientierte Prozesse übersetzt, hebt sich positiv ab. Dabei geht es nicht nur um die Einhaltung gesetzlicher Mindeststandards. Versicherer, die in Datenschutz, Informationssicherheit und moderne IT-Infrastrukturen investieren, schaffen die Basis für datengetriebene Geschäftsmodelle, die über den klassischen Risikotransfer hinausreichen. Prävention, Assistance-Services oder die Integration digitaler Ökosysteme werden nur dann erfolgreich sein, wenn der verantwortungsvolle Umgang mit Daten jederzeit erkennbar und überprüfbar bleibt.

Die Rolle moderner Technologie

Ein Schlüssel liegt in der technologischen Umsetzung. Transparenz lässt sich nicht allein durch juristische Regelungen herstellen, sondern erfordert technische Lösungen, die Datenflüsse sichtbar machen, Einwilligungen granular steuern und Schnittstellen sicher gestalten. Consent-Management-Plattformen, die nahtlos in bestehende Versicherungs-IT integriert werden können, sind hierbei ein zentraler Baustein. Durch solche Systeme wird nicht nur die Einhaltung der DSGVO gewährleistet, sondern auch der Geist des Data Act in die Praxis übertragen: Datenzugang wird nachvollziehbar, Rechte und Pflichten werden automatisiert abgebildet, und Kunden erhalten die Möglichkeit, ihre Entscheidungen aktiv zu steuern. Versicherer, die solche Technologien frühzeitig implementieren, werden in der Lage sein, Chancen des Data Act zu nutzen, ohne in regulatorische Fallen zu tappen.

Transparenz als Gestaltungsaufgabe

Der Data Act verspricht mehr Klarheit, doch die Realität wird komplexer sein. Für Versicherer bedeutet dies, dass sie sich nicht allein auf die gesetzlichen Vorgaben verlassen können, sondern Transparenz als Gestaltungsaufgabe begreifen müssen. Wer frühzeitig in klare Prozesse, moderne Technologien und eine offene Kommunikation mit Kunden investiert, kann die gesetzlichen Rahmenbedingungen in echte Wettbewerbsvorteile übersetzen. Die Versicherungsbranche steht damit an einem Wendepunkt: Zwischen regulatorischem Druck und neuen Datenchancen entscheidet die Fähigkeit, Transparenz nicht nur formal, sondern inhaltlich überzeugend zu leben, über die künftige Wettbewerbsposition. Der EU Data Act kann hier Impulsgeber sein – ob er tatsächlich zu mehr Transparenz führt, hängt jedoch maßgeblich von der Umsetzung in den Unternehmen selbst ab.

Autor: Dr. Johann Sell