Handelsvertreter stehen im Spannungsfeld zwischen unternehmerischer Eigenverantwortung und den Erwartungen des Vertriebs. Die rechtlichen Rahmenbedingungen, insbesondere die Bemühenspflicht nach § 86 HGB, verlangen von Handelsvertretern, sich aktiv um die Vermittlung neuer Geschäfte zu bemühen. Dabei ist jedoch zu beachten, dass ein Erfolg nicht garantiert werden muss – die Pflicht beschränkt sich auf die ernsthafte und nachhaltige Anbahnung von Geschäftsabschlüssen. Gerade in der Praxis führt die Abgrenzung zwischen zulässigen Leistungsanforderungen und Überforderung der Handelsvertreter immer wieder zu Streitigkeiten, die nicht selten vor Gericht enden.

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Das Landgericht Frankfurt hat mit Urteil vom 9. Juli 2024 (Az. 3-10 O 225/23) eine für die Branche wegweisende Entscheidung getroffen. Im Zentrum des Verfahrens stand die Frage, ob ein Verstoß gegen die Bemühenspflicht nach vorheriger Abmahnung auch eine fristlose Kündigung rechtfertigen kann. Der betroffene Vermögensberater war von seinem Vertrieb zunächst abgemahnt worden, weil er nach Ansicht des Unternehmens zu wenig Neugeschäft akquiriert und der Bestand sich reduziert hatte. In der Folge wurde er aufgefordert, seine Vermittlungsbemühungen zu intensivieren und detaillierte, wöchentliche Kundenbesuchsberichte zu erstellen. Nachdem der Berater diesen Anforderungen zunächst nachgekommen war, verschärfte der Vertrieb die Berichtspflichten mehrfach und verlangte rückwirkend immer detailliertere Angaben zu vergangenen Kundenkontakten.

„Das Gericht stellte klar, dass die dem Vermögensberater vorgeworfene Pflichtverletzung bereits durch die Abmahnung „verbraucht“ war. Ein identischer Sachverhalt darf nicht zeitnah sowohl für eine Abmahnung als auch für eine fristlose Kündigung herangezogen werden. Vielmehr ist die Abmahnung als milderes Mittel dazu bestimmt, dem Handelsvertreter die Möglichkeit zur Nachbesserung zu geben“, erklärt Dr. Tim Banerjee, Rechtsanwalt und Partner der wirtschaftsrechtlich ausgerichteten Kanzlei Banerjee & Kollegen in Mönchengladbach. Erst wenn nach der Abmahnung erneut gleichartige Pflichtverletzungen auftreten, kann eine Kündigung in Betracht gezogen werden. Die Richter betonten zudem, dass Berichtspflichten über vergangene Vermittlungsbemühungen unzulässig sind, da sie keine tatsächliche Grundlage für eine aktuelle Leistungsbewertung bieten. Die Vergangenheit lasse sich nicht korrigieren, weshalb solche Anforderungen für die Beurteilung der Vertragstreue ungeeignet seien. Die Rechtsanwälte Dr. Tim Banerjee und Manuela Müller vertreten Mandanten unter anderem im Arbeitsrecht, Vertriebs- und Handels-vertreterrecht, Gesellschaftsrecht, Erbrecht und Wirtschaftsstrafrecht. Ein besonderer Fokus liegt auf der Beratung freier Handelsvertreter sowie auf rechtlichen Fragen rund um den Vertrieb.

Auch die Tatsache, dass der Vermögensberater nicht alle geforderten Kundenbesuchsberichte in vollem Umfang vorlegte, konnte nach Ansicht des Gerichts eine fristlose Kündigung nicht rechtfertigen. Maßgeblich sei allein, ob die Bemühenspflicht grundsätzlich erfüllt wurde. Die Anforderungen an die Berichtspflichten dürfen zudem nicht willkürlich verschärft werden, da dies den Handelsvertreter unangemessen benachteiligen würde und mit den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht vereinbar ist.

„Das Urteil des Landgerichts Frankfurt verdeutlicht die Schutzfunktion des Handelsvertreterrechts und setzt der Praxis, Abmahnungen als Vorstufe für spätere Kündigungen zu instrumentalisieren, enge Grenzen. Unternehmen sind gut beraten, Abmahnungen präzise zu formulieren und Leistungsdefizite mit objektiven Kennzahlen zu belegen“, betont Dr. Tim Banerjee. Gleichzeitig sollten Handelsvertreter ihre Aktivitäten sorgfältig dokumentieren, um im Streitfall ihre Bemühungen nachweisen zu können. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig, zeigt aber bereits jetzt, dass eine ausgewogene Vertragsgestaltung und eine transparente Kommunikation zwischen Vertrieb und Handelsvertreter unerlässlich sind, um rechtssichere und faire Vertragsverhältnisse zu gewährleisten.