Versicherungsunternehmen verfügen über enorme Datenmengen: Vertragsdaten, Schadendaten, ESG-Informationen, Kapitalanlagedaten. Dennoch bleibt ihr Potenzial oft ungenutzt. Der Grund ist das sogenannte Datendilemma: eine strukturelle Kluft zwischen vorhandenen Daten und ihrer tatsächlichen Nutzbarkeit. Fragmentierte IT-Systeme, mangelnde Datenqualität und fehlende Integration verhindern durchgängige Automatisierung, fundierte Analytik und proaktive Steuerung und schränken damit auch die Fähigkeit der Fachbereiche ein, eigenständig neue Prozesse und Produkte zu gestalten.



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Vier Dimensionen prägen dieses Dilemma:



  1. Verfügbarkeit & Qualität
    Trotz großer Datenbestände sind viele Informationen unvollständig, veraltet oder fehlerhaft. Dezentrale Ablagen, z. B. in CRM-, Alt- und Bestandssystemen, erschweren den Zugriff. Besonders ESG-Daten werden oft nur für Berichtspflichten erfasst, aber nicht systematisch gepflegt oder operativ nutzbar gemacht.


  2. Integration
    
Vertrieb, Schaden, Kapitalanlage: Daten fließen selten durchgängig. Unterschiedliche Systeme arbeiten isoliert. Der „Single Customer View“ fehlt ebenso wie konsistente, durchgängige Datenprozesse. Das verhindert sowohl operative Exzellenz als auch eine einheitliche und zielgerichtete Kundenansprache sowie die Möglichkeit der Fachbereiche, eigenständig integrierte Workflows oder innovative Services zu entwickeln.


  3. Analysefähigkeit
    
Dark Data aus Freitexten, Gutachten oder Legacy-Systemen bleiben häufig ungenutzt. KI-gestützte Verfahren könnten hier Muster, Anomalien und Trends erkennen, doch es fehlt an integrierten Datenmodellen und geeigneter Infrastruktur. Strategische Erkenntnisse bleiben so aus.


  4. Steuerungsrelevanz
    Das Berichtswesen ist meist rückblickend und stark regulatorisch getrieben. Echtzeit-Analysen, Self-Service-BI oder steuerungsrelevante Dashboards fehlen, die Zukunftsszenarien ermöglichen. Dadurch wird Unternehmenssteuerung datenarm und reaktiv – anstatt datenbasiert und vorausschauend und die Fachbereiche können nur eingeschränkt selbstständig datengetriebene Entscheidungen treffen.

Annemarie von Weihe ist Principal Client Managerin bei msg mit Schwerpunkt auf digitalen Lösungen für Versicherungsunternehmen. Sie verfügt über langjährige Erfahrung in der strategischen Beratung und beschäftigt sich intensiv mit den Themen Datenverfügbarkeit, Datenqualität und datengestützte Steuerung in der Assekuranz.Annemarie von Weihe ist Principal Client Managerin bei msg mit Schwerpunkt auf digitalen Lösungen für Versicherungsunternehmen. Sie verfügt über langjährige Erfahrung in der strategischen Beratung und beschäftigt sich intensiv mit den Themen Datenverfügbarkeit, Datenqualität und datengestützte Steuerung in der Assekuranz.msgMarkus Volkmar ist Head of Data Science & Machine Learning bei msg. Mit seinem Team aus Data Scientists und Machine Learning Engineers arbeitet er an branchenagnostischen Lösungen rund um Agentic AI, AI-Plattformen, MLOps und Computer Vision.Markus Volkmar ist Head of Data Science & Machine Learning bei msg. Mit seinem Team aus Data Scientists und Machine Learning Engineers arbeitet er an branchenagnostischen Lösungen rund um Agentic AI, AI-Plattformen, MLOps und Computer Vision.msg

Agentic AI als Ausweg

Agentic AI bezeichnet eine neue Generation von KI-Systemen, die aus autonomen, spezialisierten Softwareagenten bestehen. Diese Agenten sind darauf ausgelegt, zielgerichtet und kontextsensitiv zu agieren. Anders als bisher verarbeiten sie nicht nur Daten, sondern sie lernen kontinuierlich daraus, um Entscheidungen vorzubereiten und konkrete Handlungsschritte abzuleiten. Im Gegensatz zur klassischen, regelbasierten Prozessautomatisierung, die auf klar definierte Workflows angewiesen ist, kann Agentic AI flexibel auf veränderliche Datenlagen reagieren und selbst in fragmentierten IT-Landschaften effektiv operieren. In einer zunehmend volatilen Welt entwickelt sich genau diese Kombination aus Anpassungsfähigkeit und Lernfähigkeit von Agentic AI zu einem zentralen Wettbewerbsvorteil.

Gerade im Kontext des Datendilemmas eröffnet Agentic AI neue Wege: In der Dimension Verfügbarkeit & Qualität übernehmen Agenten automatisierte Prüfungen auf Dubletten, Anomalien und fehlende Werte. Sie lernen aus wiederkehrenden Fehlerbildern und verbessern schrittweise die Datenbasis, ohne dass jedes Problem zentral gelöst oder manuell korrigiert werden muss. Agenten handeln hier lokal, aber zielgerichtet, und tragen so sukzessive zu einer robusteren Datenqualität bei, wodurch Fachbereiche direkt auf verlässliche Daten zugreifen und daraus eigenständig neue Services oder Produktvarianten entwickeln können.

Bei der Integration überwinden Agenten systemische Grenzen. Sie agieren als vermittelnde Einheiten zwischen heterogenen Systemen, gleichen semantische Unterschiede aus und orchestrieren Datenflüsse entlang definierter Geschäftsprozesse. So entsteht eine operative Verbindung bislang isolierter Datenquellen, die eine ganzheitliche Sicht auf Kunden, Schäden und Risiken erst ermöglicht und es den Fachbereichen erlaubt, abteilungsübergreifende Initiativen ohne langwierige IT-Projekte anzustoßen.

Im Bereich der Analysefähigkeit entfalten agentische Systeme ihr volles Potenzial: Sie identifizieren Muster und Zusammenhänge in strukturierten und unstrukturierten Daten, etwa in Schadenakten, ESG-Berichten oder Kundeninteraktionen. Anders als traditionelle BI-Tools erkennen Agenten frühzeitig Veränderungen, segmentieren dynamisch und können neue Hypothesen zur Risikosteuerung oder Produktentwicklung generieren. Dabei passen sie ihre Modelle kontinuierlich an – ein lernender, iterativer Prozess anstelle starrer Analysen und eröffnen den Fachbereichen die Möglichkeit, diese Erkenntnisse unmittelbar in neue Angebote oder gezielte Kundenansprachen zu übersetzen.

Besonders wirksam ist Agentic AI auch bei der Steuerungsrelevanz: Anstatt lediglich rückblickend zu berichten, machen Agenten relevante Kennzahlen in Echtzeit sichtbar, erzeugen Prognosen und liefern interpretierbare Empfehlungen für Führungskräfte. Durch ihre Fähigkeit zur kontinuierlichen Kontextverarbeitung ermöglichen sie eine datenbasierte Steuerung, die nicht auf periodische Reports beschränkt ist, sondern im operativen Alltag verankert wird.

Der zentrale Mehrwert von Agentic AI liegt dabei in ihrer Fähigkeit, große Herausforderungen durch viele kleine, autonome Schritte zu adressieren. Jeder Agent übernimmt eine klar umrissene Aufgabe, sei es die Validierung von ESG-Daten, die Harmonisierung von Adressbeständen oder die Interpretation von Sensordaten. Zusammengenommen entsteht daraus ein lernendes, intelligentes System, das nicht nur bestehende Engpässe überwindet, sondern auch neue Potenziale sichtbar macht – Schritt für Schritt, datengetrieben, zielgerichtet und mit deutlich erweiterten Gestaltungsmöglichkeiten für die Fachbereiche. Auf diese Weise bietet Agentic AI eine skalierbare Antwort auf das Datendilemma der Versicherer: nicht durch monolithische Umbrüche, sondern durch stetige, adaptive Optimierung.



Praxisbeispiele:

  • Schadenmanagement: Ein Agent analysiert eingereichte Kfz-Schadenbilder, prüft Vertragsdaten und initiiert automatisch eine Auszahlung. Kunden werden in Echtzeit informiert – das System lernt kontinuierlich dazu.
  • Vertrieb: Ein Agent aggregiert Kundendaten aus verschiedenen Systemen, erkennt Cross-Selling-Potenziale und schlägt individuell passende Produkte vor.
  • ESG-Reporting: Ein ESG-Agent prüft Kapitalanlagedaten auf Taxonomie-Konformität, erstellt automatisiert Berichte und erkennt Inkonsistenzen.
  • Dark Data: Ein semantischer Agent erschließt Altbestände, erkennt Deckungslücken oder Risiken und strukturiert sie für moderne Analysen.

Agentic AI erlaubt datengetriebene Geschäftsmodelle, neue Produktlogiken (z. B. dynamische Tarife) und höhere Transparenz. Wer sie strategisch verankert, profitiert von:

  • Operativer Effizienz: Schnelle Abläufe, reduzierte Kosten, weniger Medienbrüche
  • Innovationskraft: Individualisierte Produkte, vorausschauende Services
  • Vertrauensbildung: Nachvollziehbare Entscheidungen, Erklärbarkeit und Compliance

Fazit



Das Datendilemma ist kein rein technisches Problem, es ist Ausdruck einer fehlenden strategischen Ausrichtung im Umgang mit Daten. Agentic AI bietet das Instrumentarium, um Daten gezielt und ohne menschliches Eingreifen zu aktivieren, sinnvoll zu verknüpfen und in steuerungsrelevante Erkenntnisse zu überführen. Entscheidend ist die Verbindung aus Technologie, klarer Governance und einer Unternehmenskultur, die den Wert von Daten erkennt und nutzt. Wer diesen Wandel aktiv gestaltet, kann digitale Reife in Marktvorteile umwandeln und damit den Weg aus der Datenblockade hin zu einer datenbasierten Zukunft finden.

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