Mehr Einkommen, gleiche BU-Rente? – Ein Plädoyer für die Nachversicherung
Die Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) schützt vor finanziellen Einbußen im Ernstfall – doch viele Versicherte unterschätzen ihren tatsächlichen Bedarf. Versicherungsmakler Tobias Bierl plädiert in seinem Gastbeitrag für eine stärkere Fokussierung auf die Nachversicherungsmöglichkeiten.

- Mehr Einkommen, gleiche BU-Rente? – Ein Plädoyer für die Nachversicherung
- Massive Unterschiede bei der Nachversicherung
- Einblick in die Praxis der Bierls zur Nachversicherung
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Seien wir doch mal ehrlich. Die Bedingungen in der Berufsunfähigkeitsversicherung (zumindest in der Spitzenklasse) sind nahezu ausgereizt. Hier mal eine kleine Verbesserung auf dem Papier, da mal ein Sternchen mehr. Ok, der Verzicht auf die konkrete Verweisung ist wirklich eine Neuerung, aber ansonsten? Kann man als Vermittler die Top-Versicherer blind auswählen? Nein, sicherlich nicht. Denn auf der anderen Seite gibt es eine Auswahlmöglichkeit in der Berufsunfähigkeitsversicherung, die irgendwie wie eine graue Maus daherkommt und oftmals wenig Beachtung findet.
Wir alle wissen sicherlich, dass die durchschnittliche abgesicherte BU-Rentenhöhe viel zu niedrig ist. Noch immer herrscht der Irrglaube, dass 1.000 oder 1.500 Euro mtl. BU-Rente genügen. Trotz Karrieresprüngen, Jobwechsel und stark steigenden Gehältern. Klar, man hat auf der einen Seite natürlich die Beitragsdynamik; aber diese gleicht i.d.R. nur die Inflation, aber nicht die Karrieresprünge aus. Ebenso ist die Dynamik der Beiträge oftmals zu niedrig angesetzt, mit zwei bis drei Prozent ("Ja, die Kunden nicht verschrecken beim jährlichen Schreiben des Versicherers”).
Ich erlebe es in meiner Beratung sehr häufig, dass sich Personen mit Mitte 30 / 40 bei uns melden und gerne nochmals eine Berufsunfähigkeitsversicherung abschließen möchten. Man hätte zwar schon eine aus früheren Tagen, aber diese kann man nicht mehr erhöhen. Somit ist ein Neuabschluss die einzige Möglichkeit, um wieder eine bedarfsgerechte Absicherung zu bekommen. Wie wir sicherlich alle wissen, wird der Gesundheitszustand mit höherem Alter sicherlich nicht besser. Und Vorerkrankungen können zu einem Problem beim Neuabschluss werden. Genau diese Thematik möchte ich in der Beratung zur Berufsunfähigkeitsversicherung meinen Kunden näherbringen.
Erstmal bewusst machen, welche Abzüge im Leistungsfall drohen
Damit man das mächtige Werkzeug der Erhöhungsmöglichkeiten richtig einordnen kann, sollten sich Vermittler und Kunde darüber im Klaren sein, welche Abzüge im Leistungsfall drohen. Damit meine ich weniger die steuerliche Komponente, diese ist zu vernachlässigen. Aber was gerne vergessen wird:
- Im BU-Leistungsfall müssen die kompletten Beiträge in der GKV (an die 20 Prozent) oder der volle PKV-Beitrag von der versicherten Person entrichtet werden.
- Ebenso wird kein Cent mehr in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt. Hier sollte nicht nur der Arbeitnehmeranteil beachtet werden, sondern auch der Arbeitgeberanteil.
Somit ist die Messlatte mit „Maximale mögliche BU-Absicherung” grundsätzlich ein guter Ratgeber, zumeist sprechen wir von 60 Prozent des Bruttogehalts (was bedeutend mehr ist als die von Finanztest empfohlenen 75 Prozent des Nettogehalts).
Schließt man seine Berufsunfähigkeitsversicherung als Schüler, Azubi oder Student ab, gerät man aber an einen maximalen Deckel. Erst bei Berufseintritt kann wieder eine Erhöhung erfolgen. Sicherte man als Student 1.500 Euro ab und wählt eine Beitragsdynamik von drei Prozent, so liegt man zehn Jahre später bei nicht mal 2.000 Euro. Viele Berufe, welche ein Student nach dem Abschluss ausübt, beginnen aber mit einem Bruttogehalt von 60.000 Euro aufwärts - theoretisch könnten und sollten somit 3.000 Euro abgesichert werden. Schon nach wenigen Jahren würde es also eine enorme Lücke beim persönlichen Bedarf geben. Da hilft dann auch der Einbau einer garantierten Rentensteigerung von zwei Prozent wenig, denn bis diese sich entfaltet, dauert es teilweise Jahrzehnte.
Aber nicht nur bei Berufseintritt ist die Nachversicherung ein wichtiges Vehikel, sondern auch im Laufe der Karriere. Viele akademische Berufe haben in den letzten Jahren massive Gehaltssteigerungen erlebt, auch angefacht durch die hohe Inflation und den Fachkräftemangel.
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Das Leben an sich wurde ebenfalls teurer. Angefangen von Miet- und Energie-Preisen über Lebensmittel bis hin zu einem Restaurantbesuch. Wir müssen also unseren Kunden immer wieder die Frage stellen: „Kannst Du nach all den Abzügen von Deiner BU-Versicherung Dein Leben so führen, wie Du es in gesunden Tagen gemacht hast?” Die Berufsunfähigkeitsversicherung ist nämlich nichts anderes als eine Statusabsicherung. Der erreichte Status ist mit einem Häuschen im Grünen (auf Kredit), zwei Kindern und einem gewissen Lebensstatus sicherlich ein anderer als noch während der Ausbildung.
Massive Unterschiede bei der Nachversicherung
Noch immer hält sich das Gerücht, dass die Nachversicherung sehr ähnlich bei den Versicherern ist. Das ist aber nicht so. Welche massiven Unterschiede es gibt, zeigt ein kleiner Einblick bei gängigen Versicherern im Maklermarkt:
- Bei der Allianz kann über die Vertragslaufzeit maximal um 1.500 Euro erhöht werden. Beitragsdynamiken werden aber nicht angerechnet. Eine feste Obergrenze gibt es nicht. Beginnt man sehr niedrig, ist diese maximale Erhöhungsmöglichkeit eher gering, sichert man jetzt schon 3.000 Euro ab, eher hoch.
- Vonseiten der Baloise gibt es Erhöhungsmöglichkeiten bei den üblichen Gründen bis 4.000 Euro. Dank der Karrieregarantie kann auf bis zu 6.000 Euro erhöht werden, bei Kammerberufen ist dies sogar bis 7.500 Euro möglich. Dynamiken werden (wie bei den meisten Versicherer) angerechnet.
- Beim HDI kann pauschal nur bis 3.000 Euro erhöht werden, obwohl akademische Berufe sehr im Vordergrund stehen.
- Die Hannoversche lässt wie die Bayerische eine Erhöhung bis 4.000 Euro zu; durch die Karrieregarantie kann auf 6.000 Euro erhöht werden.
- Bei der Gothaer sowie bei der Nürnberger gibt es eine maximale Grenze von 3.000 Euro, Verdopplung kann erreicht werden durch die Karrieregarantie.
- Sehr individuell ist hierbei die LV 1871, die praktisch für jeden Beruf eine eigene Obergrenze zur Nachversicherung hat. Ein Schreiner kann maximal bis 1.800 Euro (!) erhöhen, während der Wirtschaftsinformatiker bis 3.700 Euro mtl. BU-Rente erhöhen kann. Durch die Karrieregarantie wird die Obergrenze verdoppelt.
- Bei der Swiss Life kann auf 3.000 Euro erhöht werden, die Karrieregarantie lässt eine Erweiterung auf 4.000 Euro zu.
- Die Alte Leipziger fährt einen ähnlichen Ansatz wie die Allianz: Erhöhung über 1.500 Euro über die gesamte Laufzeit, Dynamiken werden nicht angerechnet. Bei Eintritt ins Berufsleben nach dem Studium gibt es eine zusätzliche Möglichkeit.
Einzug der Karrieregarantie
Im Jahr 2020 hat die LV 1871 den Markt etwas revolutioniert – mit der Erfindung und Einführung der sogenannten Karrieregarantie. Der Grundgedanke war hierbei so banal wie einfach: Wurde die Grenze zur Nachversicherung erreicht, benötigen insbesondere Berufsbilder mit überproportional steigenden Gehältern weiterhin die Möglichkeit, ihren BU-Vertrag bedarfsgerecht zu gestalten. So gibt es nun die Lösung: „Erhöht sich dein Bruttogehalt um mind. fünf Prozent, kannst du im selben prozentualen Verhältnis deine BU-Rente nochmals erhöhen.”
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Mittlerweile gibt es sehr viele Nachahmer bei der Karrieregarantie – neben den oben genannten Anbietern haben zusätzlich auch Stuttgarter, Swiss Life, Signal Iduna und Universa die Karrieregarantie eingeführt; und weitere Versicherer planen es.
Aufteilung auf zwei Versicherer – sinnvoll oder nicht?
Sieht man sich die erwähnten Erhöhungsmöglichkeiten an, klingt es auf dem Papier schon sehr gut. Aber wir vergessen das süße Gift der Inflation. Die verheerenden Auswirkungen haben wir 2022 und 2023 gesehen. Wir können uns schwer vorstellen, welche Kaufkraft z.B. 5.000 Euro in zwei Jahrzehnten haben.
Somit empfehlen wir jungen Personen, welche einen gewissen Karriereplan verfolgen, unbedingt die Aufteilung auf zwei Versicherer. Somit würde es die doppelte Power an Erhöhungsmöglichkeiten und der Karrieregarantie geben. Für alle (positiven) Unwägbarkeiten des Lebens wäre man gut gewappnet. Hohe Inflation, stark steigende Gehälter, höhere bedarfsgerechte Absicherung.
Bei uns schließen ca. 80 Prozent unserer Studenten und Jungakademiker somit zwei BU-Versicherungen ab. Statt einmal 2.000 Euro während des Studiums, erfolgt der Abschluss von zwei Verträgen mit jeweils 1.000 Euro.
Einblick in die Praxis der Bierls zur Nachversicherung
Viel Theorie bis hierher; kommen wir jetzt kurz in unsere Praxis. Im Jahr 2024 haben wir insgesamt 115 Mal eine Nachversicherung innerhalb der Berufsunfähigkeitsversicherung gezogen: Sicherlich eine sehr hohe Zahl im Marktvergleich eines Vermittlerbüros, aber es lohnt sich, hier definitiv am Ball zu bleiben.
Ich sehe eine direkte Dankbarkeit unserer Kunden, wenn wir sie proaktiv auf die Möglichkeit einer Erhöhung hinweisen; sei es, wenn wir von neuen Lebensumständen Bescheid bekommen (Kind, Immobilienfinanzierung, Jobwechsel, Heirat, etc.) oder auch durch den freundlichen Hinweis, dass in den ersten fünf Jahren eine Erhöhung ohne erneute Gesundheitsfragen möglich ist. Bekanntlich wird die Nachversicherung wie ein Neuvertrag vergütet. Aber in der Wahrnehmung des Kunden ist dies gelebter Service und hat wenig mit „Der Berater möchte mir etwas verkaufen” zu tun.
Die Nachversicherung ist also für alle Beteiligten eine “Win-Win-Situation":
- Unsere Kunden haben wieder einen höheren Versicherungsschutz, falls das Leben mal nicht mehr so läuft, wie es sein sollte.
- Wir als Vermittler haben zufriedenere Kunden und profitieren natürlich auch finanziell von dieser Erhöhung – ohne wirklich viel Aufwand.
- Und der Versicherer bekommt höhere Beiträge und steigert sein Geschäft.
Aus diesen Gründen ist es für mich eher unverständlich, weshalb die Nachversicherung ein Schattendasein führt. In jedes Jahresgespräch bzw. jeden Jahrescheck (mittlerweile immer öfter in digitaler Form) gehört dieses Thema rein.
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Hintergrund: Der Gastbeitrag ist zuerst in der Ausgabe 01/2025 des Fachmagazins Versicherungsbote erschienen. Das Magazin kann auf der Versicherungsbote- Webseite kostenfrei abonniert werden.
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- Massive Unterschiede bei der Nachversicherung
- Einblick in die Praxis der Bierls zur Nachversicherung