VKB-Vorstand: 'Die Versicherung von morgen wird digitaler'
Trotz hoher Schadenlast durch Naturereignisse sieht die Versicherungskammer Bayern Licht am Ende des Tunnels. Ein wichtiger Schlüssel in der Unternehmensausrichtung sind ganzheitliche Strategien statt kurzfristiger Reaktionen. Welche Rolle dabei Prävention, Digitalisierung und klimafreundliche Kapitalanlagen spielen, erklärt Dr. Markus Juppe, Mitglied des Vorstands der Konzernunternehmen der Versicherungskammer Bayern.

Versicherungsbote: Trotz eines Beitragswachstums von 9,2 Prozent in der Schaden- und Unfallversicherung liegt die Combined Ratio mit 102,5 Prozent über der kritischen Marke von 100 Prozent. Welche konkreten Maßnahmen planen Sie, um diese Quote nachhaltig unter 100 Prozent zu senken und somit profitabler zu wirtschaften?
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Markus Juppe: Unsere Schaden-Kosten-Quote lag 2024 vor allem deswegen über 100 Prozent, weil wir eine überplanmäßige Kumulschadenbelastung hatten, allein durch die Hochwasserkatastrophen im Mai und Juni, zuerst im Saarland, kurz danach in Bayern. Für dieses Jahr gehen wir wieder von einem geringeren Niveau der bilanziellen Brutto- Schadenquote aus; die Brutto-Kostenquote erwarten wir auf einem ähnlichen Niveau wie 2024 und somit eine spürbar bessere Combined Ratio.
Wie beeinflussen Schäden durch Naturereignisse die Prämiengestaltung für die Zukunft?
Wir alle können beobachten, dass Extremwetter-Ereignisse häufiger und heftiger werden – mit Schäden an Privateigentum, an der Infrastruktur, an der gesamten Volkswirtschaft. Die deutsche Versicherungswirtschaft hat seit 1973 rund 230 Milliarden Euro für Unwetterschäden bezahlt. Angesichts zunehmender Schäden sind Prävention und Klimafolgenanpassung unerlässlich. Damit aber die Versicherungsprämien auch auf lange Sicht bezahlbar bleiben, brauchen wir ein Gesamtkonzept mit einem ganzheitlichen Ansatz: Erstens: verbindliche Prävention und Klimafolgenanpassung. Dazu gehört auch eingeschränktes Bauen bzw. ein Verzicht darauf in gefährdeten Gebieten, geeignetes Baumaterial und individueller Hochwasserschutz. Zweitens: Erhöhung der Versicherungsdichte. Drittens: Für Fälle extremer Schadenereignisse wird es neben den bestehenden Rückversicherungs-Konstrukten eine Lösung unter Risikoteilung zwischen Versicherern und dem Staat brauchen.
Die Versicherungskammer will den CO2-Beitrag der Kapitalanlagen bis 2030 um 50 Prozent reduzieren. Aktuell haben Sie bereits 41,3 Prozent erreicht. Können Sie detailliert darlegen, welche konkreten Investitionsentscheidungen zu dieser Reduktion geführt haben und wie Sie sicherstellen, dass Renditeziele dabei nicht beeinträchtigt werden?
Bei der Reduktion des CO₂-Fußabdrucks unserer Kapitalanlagen auf bislang 41,3 Prozent spielen sowohl aktive Maßnahmen als auch passive Effekte eine Rolle. Wir setzen mit einer langfristigen Strategie darauf, unsere Kapitalanlage-Portfolios klimafreundlich zu gestalten. Dazu zählt unter anderem die Umstellung auf ESG-Screened Benchmarks bei Investitionen in Aktien. Darüber hinaus werden auch bei der Neuanlage und der Umschichtung zwischen Assetklassen die Klimaziele berücksichtigt. In der Assetklasse Infrastruktur investieren wir gezielt in Erneuerbare Energien, wie Windparks oder Solaranlagen. Passiv wirken vor allem Fortschritte in der Dekarbonisierung der Unternehmen selbst. Die CO₂-Reduktion ist somit das Ergebnis eines integrativen Portfoliomanagements, das ökologische Ziele konsequent in Einklang mit unseren Rendite- und Risikovorgaben bringt. Unsere Renditeziele haben wir dabei stets erreicht.
Trotz gestiegener Erträge in der Kapitalanlage bleibt die Nettoverzinsung mit 2,4 Prozent relativ niedrig. Reicht dieses Niveau aus, um langfristige Garantieversprechen gegenüber Ihren Kunden einzuhalten?
Die politische Lage beeinflusst Kapitalanlagen für Versicherer auf mehreren Ebenen: Marktvolatilität, regulatorische Änderungen, geldpolitische Entscheidungen und steuerliche Rahmenbedingungen. Die Anpassung an diese politischen Entwicklungen erfordert eine proaktive Anlagestrategie. Sie umfasst Flexibilität, Risikomanagement und eine genaue Beobachtung politischer und wirtschaftlicher Ereignisse. Wir überwachen unser Portfolio kontinuierlich und richten es gegebenenfalls neu aus, um den Herausforderungen und Chancen zu begegnen, die sich durch die politische Landschaft ergeben.
Der demografische Wandel betrifft alle Versicherungssparten. Wie wollen Sie sicherstellen, dass Ihr Geschäftsmodell auch in einer alternden Gesellschaft zukunftsfähig bleibt?
Auch wir beobachten, wie sich das Kundenverhalten immer schneller ändert: Wir sehen eine zunehmende Konzentration im Online-Handel. Die digitale Interaktion nimmt zu – auch bei Versicherungen. Die Versicherung von morgen wird digitaler: mehr Omnikanal, und zwar entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Und unsere Kunden habe hohe Erwartungen an nahtlose Prozesse und einfache Produkte.
Darauf reagieren wir auf drei Arten: Vereinfachen, standardisieren und digitalisieren. Das heißt konkret: Als Vollsortimenter überprüfen wir unser Portfolio auf die Erwartungen unserer Kunden. Wir bieten mehr digitale Interaktion an, zum Beispiel digitale Kundenportale. Durch Digitalisierung optimieren und standardisieren wir unsere internen Abläufe. Das macht uns effizienter.
Unseren Mitarbeitenden bieten wir Smart Working und hybride Arbeitskonzepte, damit sie unabhängig von ihrem Standort gut arbeiten können: im Büro, zu Hause oder mobil.
Sie erwarten von der neuen Regierung einen Abbau des Reformstaus und positive Impulse für die Volkswirtschaft. Welche konkreten politischen Maßnahmen würden aus Ihrer Sicht den Versicherungsmarkt positiv beeinflussen, und wie bereiten Sie Ihr Unternehmen auf mögliche regulatorische Veränderungen vor?
Auch wir erwarten mit Spannung, was die neue Bundesregierung auf den Weg bringen wird, welche neuen regulatorischen Anforderungen oder Änderungen auf uns zukommen. Den Versicherungsmarkt positiv beeinflussen wird, so hoffen wir, zum Beispiel eine vereinfachte EU-Regulierung. Deutschland sollte sich in der EU für eine Konsolidierung von Rechtsakten und eine deutliche Reduzierung der Berichts- und Dokumentationspflichten stark machen. Wir hoffen, dass es mit der Digitalisierung schneller vorangeht: Es gilt, die Grundlagen für durchgehend digitale Prozesse zu schaffen. Das heißt auch: Anforderungen, die digitale Abläufe behindern, müssen regelmäßig geprüft und gegebenenfalls abgeschafft werden. Ein gezielter Bürokratieabbau ist ein entscheidender Schritt, um die Wettbewerbsfähigkeit des Finanzsystems zu stärken und den Innovationsfreiraum zu fördern.
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