Der Stellenwert unternehmerischer Selbstverpflichtung zu umweltbewussterem Handeln, besseren sozialen Verhältnissen und verantwortungsvoller Geschäftsführung wird seit Jahren deutlicher. Je mehr Unternehmen sich zu ESG-Zielen (Environment, Social, Governance) bekennen, desto stärker steigt die Anzahl an industriespezifischen Standards. Für Versicherungsunternehmen eröffnet sich dadurch eine veränderte Risikolandschaft.

Anzeige

Politische und gesellschaftliche Erwartungshaltungen gegenüber Organisationen, sich in ihrem Handeln stärker an Normen und Werte zu binden wächst zunehmend. Unternehmen, die sich aktiv zu ESG-Zielen bekennen, verbessern nicht nur das Verhältnis zu ihren Anspruchsgruppen, sondern sichern sich, durch höhere Kundenzufriedenheit, langfristig auch wertvolle Wettbewerbsvorteile.

Die Versicherungslandschaft durchläuft aufgrund von Umwelt-, Sozial- und Governance-Kriterien eine bedeutende Transformation. Die Integration von ESG in Versicherungspraktiken gestaltet vor allem die Risikobewertung neu. Darüber hinaus steht sie im Einklang mit sich entwickelnden Erwartungen der Stakeholder und regulatorischen Anforderungen. Mit der wachsenden Auswirkung klimabezogener Ereignisse und gesellschaftlichen Veränderungen steht die Versicherungsbranche vor einer doppelten Herausforderung: ihre Rolle in der nachhaltigen Entwicklung zu stärken und ESG-zentrierte Risiken effektiv zu managen.

Artur Reimer ist seit knapp vier Jahren Leiter Strategie Versicherungen bei Hypoport. Der studierte Bauingenieur ist Geschäftsführer und einer der kreativen Köpfe hinter corify, einer Tochter der Hypoport SE.Hypoport

Zwischen optimierten Produkten und verbesserten Risikoprofilen

Verfolgen Unternehmen – potenzielle Versicherungsnehmer – ESG-Richtlinien, ergeben sich große Chancen für Versicherer in den Bereichen Produktentwicklung, Risikomanagement und finanzielle Performance: Versicherungsnehmer sind daran interessiert, Produkte zu nutzen, die sich mit den, von ihnen definierten, ESG-Auflagen decken. Durch die steigende Nachfrage können Versicherer ihr Produktportfolio anpassen und ESG-spezifische Policen zu entwickeln.

Ein Beispiel hierfür wären Governance-Versicherungspolicen. Im Kontext von ESG können solche Policen speziell darauf ausgerichtet sein, Governance-Risiken, die sich aus den ESG-Kriterien ergeben, zu adressieren. Während D&O-Versicherungen ein breites Spektrum an Führungshaftungsrisiken abdecken, können ESG-fokussierte Governance-Policen speziell darauf abzielen, Praktiken zu unterstützen, die die ESG-Grundsätze stärken und fördern. So können Versicherer ihr Angebot an den zunehmenden Fokus auf ESG in der Unternehmenswelt anpassen und weiterentwickeln.

Ein besseres Verhältnis zu Stakeholdern oder Wettbewerbsvorteile sind aber bei weitem nicht die einzigen Chancen, die Unternehmen in ESG-Zielen sehen. Dadurch, dass sie sich aktiv an Normen und Standards orientieren, senken sie ihr unternehmerisches Risiko in diesen Bereichen: So senken Unternehmen, die beispielsweise einem erhöhten Nachhaltigkeitsrisiko ausgesetzt sind (etwa Chemieunternehmen), durch ESG-Selbstverpflichtungen – und entsprechende Handlungsweisen – ihr Risiko, Umweltschäden zu verursachen. Für Versicherungsunternehmen eröffnet sich dadurch die Chance, anhand der neu verfügbaren Datensätze, ihre Prämienkalkulationen, Risikomodelle und Bewertungsmethoden zu optimieren. Auch im Hinblick auf die finanzielle Performance von Versicherungsnehmern zeichnen sich neue Vorteile für Versicherer ab: Langfristig neigen ESG-konforme Unternehmen dazu, stabiler und profitabler zu sein. Das reduziert das finanzielle Risiko für Versicherer und kann langfristig zu einer stabilen Prämieneinnahme führen.

Doch mit Chancen kommen nicht selten neue Herausforderungen.

Datenberge im Regulationsurwald: Hier liegen die größten Herausforderungen für Versicherer

Die steigende Bereitschaft, die Geschäftstätigkeiten des eigenen Unternehmens freiwillig an bestimmte Normen zu binden, hat zu einer wachsenden Vielzahl individueller Standards, ESG-Datensätzen und entsprechenden KPI-Frameworks geführt, quer durch alle Industrien. Folglich ist eine der markantesten Herausforderungen für Versicherer das Sammeln und Analysieren solcher zuverlässigen, konsistenten ESG-Daten, denn diese sind für fundierte Entscheidungen und regulatorische Konformität unerlässlich.

ESG-bezogene Datensätze sind oft komplex und schwer zu quantifizieren: So eröffnen sich allein etwa im Bereich Umwelt Facetten wie beispielsweise ein effizienter Umgang mit Energie und Rohstoffen, umweltbewusste Produktion, Investitionen in erneuerbare Energien. Das sind jedoch nur wenige von vielen Teilbereichen, die je nach Branche und Größe des Unternehmens individuell und entlang einer bestimmten Norm definiert werden. In Summe ergibt sich ein Datenpool, der immer weiterwächst und sich diversifiziert.

Die Herausforderung, wachsender ESG-Datensätze, steigt durch den verschärften Regulierungsdruck von Seiten der Behörden sogar noch weiter. Versicherer müssen gewährleisten können, dass die ESG-Selbstverpflichtungen (und ihre Erfüllung) von Seiten der Versicherungsnehmer offiziellen lokalen und internationalen Standards entsprechen. Dies kann Compliance-Überprüfungen und Risikoanalysen erforderlich machen. Zudem müssen Versicherer ihre Policen und Deckungskriterien kontinuierlich anpassen, um mit den sich ändernden ESG-bezogenen Gesetzen und Vorschriften Schritt zu halten.

Eine Möglichkeit, die Komplexität von ESG-Daten effektiv zu bewältigen, bietet die Nutzung von standardisierten Risikobeschreibungen. Diese standardisierten Rahmenwerke können die Aggregation von ESG-Daten vereinfachen, was zu einer besseren Risikobewertung und präziseren Versicherungsprodukten führt, die den regulatorischen Anforderungen und den Erwartungen der Kunden entsprechen.

Fazit: ESG-Richtlinien sorgen für flexibles Risikomanagement

Indem sich Unternehmen zu ESG-Richtlinien verpflichten und aktiv nach ihnen handeln, nehmen sie Einfluss auf die Risikolandschaft für Versicherer und erfordern eine umfassende Anpassung ihrer Risikomanagementstrategien. Ein konkretes Beispiel hierfür ist beispielsweise die Versicherung von Öl- und Gasunternehmen – insbesondere im Hinblick auf Umweltschäden und Klimawandel. So haben sich Versicherer etwa dazu verpflichtet, nur noch Policen für Öl- und Gasunternehmen anzubieten, die strenge, ESG-konforme Umwelt- und Sicherheitsstandards erfüllen und sich so aktiv für den Übergang zu saubereren Energien engagieren. Oft zeigen gerade solche Unternehmen mit ESG-Strategie durch effektiveres Risikomanagement verbesserte Risikoprofile. Das ermöglicht es Versicherern, die Risiken (etwa im Bereich Umwelt) genauer zu bewerten und präzisere Prämienkalkulationen vorzunehmen. Das hilft Versicherern dabei, neue ESG- und Risikoprofil-gerechte Produkte zu entwerfen. Langfristig tragen ESG-konforme Unternehmen zu einer stabilen finanziellen Performance bei, was das Risiko für Versicherer reduziert.

Anzeige

Zur Herausforderung werden ESG-Kriterien allerdings durch die wachsende Anzahl an Daten, sowie durch regulatorische ESG-Anforderungen. Durch eine standardisierte Risikobeschreibungen und strategische Resilienzplanung können Versicherer nicht nur diesen Herausforderungen gerecht werden. Sie können die Chance ergreifen, eine führende Rolle bei der Förderung einer nachhaltigen und verantwortungsbewussten Wirtschaft zu übernehmen.

Anzeige