Wieder einmal droht die pünktliche Umsetzung eines Gesetzes in Deutschland am unzureichenden Stand der Digitalisierung zu scheitern. Eigentlich sollte zum 1. Juli 2024 eine Reform umgesetzt werden, die Erwerbsgeminderte, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen und bereits eine Rente beziehen, besser stellt. Doch im Land der Funklöcher und Faxgeräte bereitet ein solches Vorhaben offenbar Probleme.

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Wie das „Handelsblatt“ am Freitag berichtete, ist die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV) nicht in der Lage, die Reform zum geplanten Zeitpunkt umzusetzen. Demnach plane das von Hubertus Heil (SPD) geführte Bundesarbeitsministerium alternativ ein zweistufiges Verfahren, um die Zuschläge doch noch wie versprochen zur Jahresmitte auszahlen zu können. Das gehe aus einer Formulierungshilfe für einen Gesetzentwurf hervor, den das Ministerium an die Regierungspartner geschickt habe.

Aufwand unterschätzt?

Grund sei, dass die Deutsche Rentenversicherung den erforderlichen Aufwand für die Anpassung der Renten unterschätzt habe. Vor allem für die Programmierung der Software sei zu wenig Zeit eingeräumt worden, berichtet das „Handelsblatt“ weiter. Das resultiere auch daraus, dass zeitgleich andere Reformgesetze hätten umgesetzt werden müssen, die komplexe IT-Prozesse erforderlich machen: etwa die Anpassung der Renten Ost-West oder eben die Grundrente.

Zeit hatten die Verantwortlichen eigentlich genug. Konkret sollte die Gesetzesreform darauf reagieren, dass bisherige Besserstellungen für Erwerbsgeminderte nur für Neurentner galten, nicht aber für den Bestand. Deshalb haben die früheren Regierungen in den Jahren 2014 und 2019 Verbesserungen auch für Bestandsrentner beschlossen. Der sperrige Name des Vorhabens: Rentenanpassungs- und Erwerbsminderungsrenten-Bestandsverbesserungsgesetz.

Das Gesetz sieht vor, dass Rentnerinnen und Rentner, deren Erwerbsminderungsrente in den Jahren 2001 bis 2018 begonnen hat, pauschale Zuschläge zu ihrer Rente erhalten. Begann die Rente in der Zeit von Januar 2001 bis Juni 2014, beträgt der Zuschlag 7,5 Prozent, wie die DRV auf ihrer Webseite berichtet. Liegt der Rentenbeginn in der Zeit von Juli 2014 bis Dezember 2018, gibt es einen Zuschlag in Höhe von 4,5 Prozent. Die Höhe des Zuschlags orientiert sich an den persönlich erworbenen Entgeltpunkten, die der am 30. Juni 2024 beanspruchten Rente zugrunde liegen.

Doch wie soll nun das Problem unreifer IT und fehlender Zeit behoben werden? Laut „Handelsblatt“ sieht der vorliegende Gesetzentwurf vor, dass ab Juli 2024 zunächst der bei der Deutschen Post angesiedelte Renten-Service die Zuschläge zahlen soll: also jene Stelle, die die Renten auszahlt. Dies solle aber nicht auf Basis der Entgeltpunkte geschehen, sondern anhand der aktuell geleisteten Rentenzahlungen. Es ist quasi ein provisorisch berechneter Zuschlag. Dieser Zuschlag soll im Dezember 2025 dann neu überprüft, korrigiert und in einen Zahlbetrag übersetzt werden.

Es ist also absehbar, dass der DRV auch durch dieses Gesetz massiv Mehrarbeit entsteht - und potentielle Fehlerquellen. Ohne dieses Provisorium könnten Erwerbsgeminderte erst ab Dezember 2025 bessergestellt werden: eineinhalb Jahre später als geplant.

Bundesrechnungshof warnte bereits vor Kollaps

Kurz vor dem Jahreswechsel hatte bereits der Bundesrechnungshof gewarnt, dass die unzureichende digitale Ausstattung der Deutschen Rentenversicherung deren Funktionieren gefährde. Dabei ging es konkret um die Datenstelle der Rentenversicherungsträger (DSRV), bei der die Daten von mehr als 50 Millionen gesetzlich Rentenversicherten sowie von 20 Millionen Rentnerinnen und Rentnern zusammenlaufen. In den 70er Jahren gegründet, arbeite die Datensammelstelle mit veralteter Technik, eine Modernisierung sei immer wieder rausgeschoben worden, so hatte der Bundesrechnungshof mit zum Teil drastischen Worten gemahnt. Auch fehle es an qualifiziertem Personal. Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) hatte den Bericht gegenüber Versicherungsbote zurückgewiesen. „Die verwendete Technik verfügt über hoch performante Spezifikationen aktueller Bauart und stellt sich als sehr leistungsfähig dar“, positionierte sich ein Sprecher.

Dass Gesetzesreformen an der IT zunächst scheitern oder verspätet wirksam werden, ist allerdings kein neues Phänomen. Schon die Auszahlung der Grundrente verzögerte sich um ein Jahr, weil die Rentenversicherungsträger dafür ihre Daten automatisch mit der Finanzverwaltung abgleichen mussten: Die dafür notwendige Infrastruktur war schlicht nicht vorhanden und musste erst aufgebaut werden.

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Auch an anderer Stelle hapert es. Beispiel Gesundheitssystem: Fast 20 Jahre hat es gedauert, bis die elektronische Gesundheitskarte für Kassenpatienten eingeführt werden konnte. Auch beim neu eingeführten E-Rezept gibt es Probleme, wie das Bundesgesundheitsministerium bereits einräumen musste. In vielen Fällen erweist es sich als unpraktisches Ärgernis, das zu langen Wartezeiten in der Apotheke führt - unter anderem, weil Freitextfelder nur eine begrenzte Auswahl zulassen und in der Apotheke nicht korrigiert werden können, was die Einlösung der Rezepte erschwert.

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