Warum wünschen Sie sich Massenkündigungen von Lebensversicherungsverträgen wie in Italien?

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Axel Kleinlein: Ehrlich gesagt, ich wünsche mir keine Massenkündigungen. Ich wünsche mir aber, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher die richtigen Entscheidungen fällen, wie sie mit ihren Verträgen weitermachen. Das kann dazu führen, dass eben in großem Stil gekündigt wird und dann müssen sich die Versicherungsunternehmen damit auch auseinandersetzen.

Wieso soll die Kündigung eines Vertrags, der das Langlebigkeitsrisiko absichert, "finanzrational" sein? Haben nicht auch Verbraucherschützer vor der Kündigung gut verzinster Altverträge eindringlich gewarnt? Was haben Ihre ehemaligen Kollegen bei diesem Rat nicht bedacht?

Wir haben ja im Moment die Situation, dass andere Finanzprodukte im Moment ganz gute Zinsen abwerfen können. Da muss man sich dann genau überlegen, will ich in meinem Lebensversicherungsvertrag bleiben oder will ich das Geld inklusive dessen, was ich noch zukünftig einzahle, nicht lieber in rentablere Produkte reinstecken? Wenn ich jetzt ein Altersvorsorgeprodukt habe mit Langlebigkeit, Absicherung, also eine Rente, dann stellt sich die Frage natürlich auch, ist die denn überhaupt finanzrational richtig und gut? Klar ist Langlebigkeit, Absicherung sichert ein Risiko ab, nämlich dass ich sehr, sehr alt werde, aber alleine nur die Tatsache, dass die Rente ein Leben lang läuft, reicht noch nicht aus, um das Produkt sinnvoll zu machen. Es kommt auch darauf an wieviel Geld bekomme ich denn als Rente und wenn ich heute auf den Gang zu einmal Essen gehen beim Italiener verzichte - im Gegenzug dafür aber zukünftig als Rentner nur eine Tiefkühlpizza mehr davon leisten kann, dann ist das nicht finanzrational, dann ist das schlecht und die Verrentungskonditionen bei den Versicherern sind in vielen Fällen eben so schlecht, dass es sich nicht rechnet.

Klar ist, auch Kolleginnen und Kollegen haben bei den Verbraucherzentralen zum Beispiel oder auch beim Bund der Versicherten haben gesagt, bei bestimmten Altverträgen mit hohem Garantiezins, da kann es sinnvoll sein, lieber dann doch noch im Vertrag zu bleiben. Wichtig ist aber hier, der Einzelvertrag muss genau untersucht werden, denn allein nur ein hoher Garantiezins reicht noch nicht aus, dass der Vertrag dann auch insgesamt auch gut ist. Denn entscheidend ist ja nicht, wie nicht nur wie hoch ist der Zins, sondern auch was verzinst wird, also der Sparbeitrag, und der ist eben gering, wenn die Kosten besonders hoch sind. Gerade bei älteren Verträgen aus den 80er und 90er Jahren sind die Kosten zum Teil sehr sehr hoch und auf die Art und Weise wird der Vorteil des höheren Rechnungszinses beziehungsweise Garantiezinses eben Zunichte gemacht durch die zu hohen Kosten.

Sie schreiben im Blog bei Hartmut Walz, dass der Abschluss von LV-Verträgen das Problem sei. Wie wäre es um die Altersarmut in Deutschland bestellt, wenn die Deutschen Ihren Ratschlägen gefolgt wären und ihr Geld unters Kopfkissen statt in Lebensversicherungsverträge gesteckt hätten? Zur Erinnerung: Allein 2021 zahlten deutsche Lebensversicherer 84,5 Milliarden Euro Leistungen aus.

Das klingt sehr viel. Gleichzeitig hat die Versicherungswirtschaft aber knapp 100 Milliarden, also genauer 99,7 Milliarden Euro an Beiträgen eingenommen. Also die sind noch immer am Geldsammeln und nicht am Geld auszahlen unterm Strich. Von diesen Geldern, die ausgezahlt werden von diesen 84,5 Milliarden, sind es nur etwa 12 Milliarden, die tatsächlich als Renten ausgezahlt wurden, also diese Absicherung. Die Langlebigkeit, also die Bekämpfung der Altersarmut, die spielt bei den Lebensversicherungsprodukten, die zur Auszahlung kommen, im Moment keine besonders große Rolle. Also unterm Strich ist es so, dass die Leistungshöhen der Versicherer sich eben nicht auf die wirkliche echte Altersvorsorge mit Renten bezieht, sondern eben auf die Einmalauszahlungen und die echten Sparprodukte sozusagen.

In Ihrer Stellungnahme zu den 'Wohlverhaltensregeln für Lebensversicherer' bemängeln Sie, dass Regeln für die Verrentungsphase bei Privat-, Rürup- und Riester-Renten fehlen würden. Wie könnten solche Regeln aussehen? Können Sie das anhand eines kurzen Beispiels erläutern?

Hintergrund ist ja, dass im Rahmen einer gewissen Produktaufsicht die Aufsichtsbehörde BaFin zukünftig hier diese Produkte genauer unter die Lupe nehmen will - über dieses Merkblatt - aber leider bei der Verrentung die Augen ziemlich zumacht. Es steht zwar drin am Anfang, dass gewissermaßen das Preis-Leistungsverhältnis bei der Verrentung auch mit in den Blick genommen werden soll. Also wie gut ist denn eigentlich die Rente im Vergleich zu dem, was ich an Geld zu Rentenbezug da hab. Ist die Rentenhöhe passend oder ist die zu gering und deswegen ist das Produkt dann nicht geeignet.

Leider hat die Aufsichtsbehörde gesagt, wir interessieren uns gar nicht so richtig dafür. Selbst bei den Unterlagen die die Bafin einfordern will zu den Produkten, will sie gar nicht auf die Verrentungsphase eingehen. Das ist ein klarer Widerspruch zu dem, was europarechtlich gefordert ist. Denn in der Direktive zur Product Oversight and Governance da steht klar drin, dass auch der Rentenbezug mit in den Fokus genommen werden soll.

Wie kann man das machen? Man kann zum Beispiel ausrechnen, wie hoch ist die Rendite eines solchen Rentenvertrag, wenn der Kunde durchschnittlich alt wird. Oder man kann auch ausrechnen, wie alt muss denn der Kunde werden, um das eingesetzte Kapital in Form von Renten auch wieder herauszubekommen. Welche Rente man dann nimmt zum Berechnen dieser Werte, das ist ziemlich knifflig. Denn es gibt verschiedene Rentenfaktoren, es gibt den garantierten harten Rentenfaktor, der ist ziemlich schlecht. Es gibt einen sogenannten garantierten Rentenfaktor, der aber unter Vorbehalt steht und es gibt die Rentenfaktoren inklusive Überschussbeteiligung. Intransparenz ist hier die Regel. Ein Kunde kann hier kaum durchblicken was hier passiert.

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Aber: Wenn man sich überlegt, dass bei dem garantierten Rentenfaktor noch die Überschussbeteiligung dazu kommt, die üblicherweise geringer ist als die Inflation, dann kann man eine einfache Berechnung machen: Wie alt muss ich werden, damit ich über den Rentenbezugszeitraum zumindest das eingesetzte Kapital 0 auf 0 raus bekomme. Dann liegt man mit dieser Berechnung ziemlich gut dabei und ehrlich gesagt, die Beispiele, die ich mir da bisher angeschaut habe, sind katastrophal.

'Treten Sie der Aufsichtsbehörde ein bisschen in den Hintern'

Gegner des Provisionsmodells plädieren oft für Honorarberatung. Doch schon die Stundensätze der Verbraucherzentralen zur Altersvorsorge-Beratung unterscheiden sich teilweise erheblich. Wie kann Interessenkonflikten bei Honorarberatung wirksam entgegengewirkt werden?

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Am besten natürlich auch wieder über Transparenz. Die Kunden sollten auch dann bei einer Honorarberatung wissen, wie teuer ist das, wie wirkt sich das auf die Rendite eines Sparvertrages aus. Das sollte an erster Stelle stehen. An zweiter Stelle kann man aber auch überlegen, ob man hier womöglich mit so einer mit einer Art Honorarordnung ein bisschen den Wildwuchs auch einfängt und die Versicherungsberater, die auch tatsächlich nur gegen Honorar beraten dürfen und keine Provision nehmen dürfen, die haben hier auch schon Vorschläge vorgelegt, wie man hier mit einer Honorarordnung auch vorgehen kann.

Die Fokusgruppe Altersvorsorge empfiehlt unter anderem, dass vor Renteneintritt eine Altersvorsorge-Beratung angeboten wird, die für Verbraucher kostenlos ist und von einer unabhängigen Institution angeboten wird. Welche Institution könnte das denn sein? Und wie verstehen Sie die Formulierung "für Verbraucher kostenlos"?

Aktuell gibt es ja ein paar Akteure, die da unterwegs sind, die von staatlicher Seite hier auch gesteuert werden. Wir haben hier die Verbraucherzentralen auf der einen Seite, die Altersvorsorgeberatung anbieten. Wir haben auch von der gesetzlichen Rentenversicherung Altersvorsorgeberatungsangebote. Das könnten zum Beispiel Stellen sein, die hier flächendeckend eine solche Beratung anbieten könnten. Bei der gesetzlichen Rentenversicherung finde ich die Ansätze aus Baden-Württemberg mit dem Projekt Prosa besonders spannend. Da werden die Berater nach meinem Eindruck, recht gut geschult. Das sind vernünftige Ansätze, um hier auch eine gute unabhängige Beratung zu gewährleisten. Was auch in der Fokus Gruppe diskutiert wurde, war die Bildung von sogenannten Vergleichsplattformen, wo die verschiedenen Altersvorsorgeprodukte verglichen werden können sollen. Ehrlich gesagt: Ich würde mir wünschen, dass es sowas gibt. Es ist aber ziemlich knifflig. Denn: Das was wir immer wieder erlebt haben, ist, wo mehr Transparenz und Vergleichbarkeit eingefordert wird, werden die Versicherungsunternehmen immer kleinteiliger und kniffliger in der Produktkonstruktion - um eine solche Vergleichbarkeit zu verhindern. Da könnten die Wohlverhaltensregeln hilfreich sein, in dem Moment, wo die Unternehmen zu mehr Transparenz gezwungen werden.

Auf welche regulatorischen Schritte sollten insbesondere Versicherungsmakler ein waches Auge werfen und warum?

An erster Stelle die Transparenz. Denn die Direktive hat hier ein Instrument gegeben, das besonders den Maklern und den Vermittlern eine gute Hilfestellungen geben kann. Denn Vermittler haben einen Anspruch auf eine genaue, detaillierte Darstellung der Produkte mit Zielmarktdefinition, wie die Produkte genau für diesen Zielmarkt dann auch funktionieren sollen. Diese ganze Dokumentation soll eigentlich den Vermittlern ausgehändigt werden. Nach Brüsseler Recht, nach EU-Recht gibt es diesen Anspruch von allen Vermittlern, diese Informationen bei den Versicherungsunternehmen einzufordern. Allein die BaFin hat es versäumt, in den Wohlverhaltensregeln genau diese Transparenz auch umzusetzen. Also nach Brüsseler Recht kann jeder Vermittler diese Informationen einholen. Auch wenn die BaFin das ausblenden möchte.

Deswegen meine Empfehlung an Makler, an die Vermittler: Stellen sie sich auf die Hinterbeine, machen Sie Druck bei der BaFin, dass Sie den Anspruch auf diese Informationen bekommen. Denn nach EU-Recht haben sie nicht nur den Anspruch, sondern sie sollen diese Informationen ja auch in ihre Beratung einfließen lassen. Also machen Sie sich stark, treten Sie der Aufsichtsbehörde ein bisschen in den Hintern, damit Sie die Transparenz bekommen, die sie verdienen.

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