Die Bundesregierung arbeitet an einer Reform der Altersvorsorge: Dabei steht auch die gesetzliche Rentenversicherung auf dem Prüfstand. In den letzten Wochen und Monaten haben sich wiederholt Ökonomen, Interessenverbände und Lobbygruppen zu Wort gemeldet, um ihre Vorschläge und Forderungen einzubringen. Oft zielen die Vorschläge darauf, das Renteneintrittsalter anzuheben, die Renten weniger stark zu erhöhen und einen ausreichend hohen Kapitalstock bei der Rentenversicherung aufzubauen, um das Umlagesystem zu entlasten. Denn weil die Gesellschaft altert, steht einer wachsenden Zahl an Rentnern eine schrumpfende Zahl von Beitragszahlern gegenüber.

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In diese Debatte mischt sich nun auch die Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen (SRzG) ein. In ihr organisieren sich seit 1997 vor allem jüngere Menschen, um für die Interessen der nachwachsenden Generationen zu streiten. Unterstützt wird die mehrfach ausgezeichnete Stiftung hierbei von namhaften Wissenschaftlern. Jörg Tremmel, Vorstandssprecher der Stiftung, hat dem Focus nun ein Interview gegeben, in dem er die Positionen des Generationen-Netzwerkes vorstellt.

“Das jetzige Rentensystem ist nicht generationengerecht“

“Das jetzige Rentensystem ist nicht generationengerecht. Es ist nicht sozialgerecht, und es ist nicht transparent“, positioniert sich Tremmel gleich zu Beginn des Gesprächs. Denn aus Sicht des Politikwissenschaftlers und Philosophen von der Universität Tübingen sind die Lasten zwischen Jung und Alt nicht gerecht verteilt. Zeitnah werden drei Millionen Erwerbstätige ins Rentnerdasein wechseln, rechnet Tremmel vor: die dann von der Rentenkasse ausbezahlt werden, aber als Beitragszahler verloren gehen.

Die zukünftigen Lasten müssten folglich zwischen Jung und Alt aufgeteilt werden, fordert der Wissenschaftler. „Das heißt: Die Jüngeren müssen etwas mehr zahlen, aber die Älteren müssen auch bereit sein, etwas weniger zu bekommen“, so Tremmel. Und weiter: „Wir können nicht einfach nur am Beitragssatz drehen oder nur am Rentenniveau – sondern wir müssen an beide Stellschrauben“.

Auch wenn die Rentenkasse künftig stärker durch Steuerzuschüsse finanziert werden soll, wie es etwa Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) vorschlägt, sieht Tremmel darin keine generationengerechte Lösung. Denn die jüngeren Generationen würden den Großteil des Steueraufkommens zahlen. „Insofern ist das nur eine Verschiebung von Beitragsaufkommen zu Steueraufkommen. Und macht das System noch intransparenter“, kritisiert der Vorstandssprecher. Mit dem Bundeszuschuss sollen künftig nur noch sogenannte beitragsungedeckte Leistungen wie Beispielsweise die Mütterrente finanziert werden - und der Rest innerhalb der Rentenversicherung zwischen den Generationen verteilt werden.

Intransparenz bei versicherungsfremden Leistungen

Mit Blick auf den Bundeszuschuss fordert Tremmel mehr Transparenz: Es fehle an einer Bilanzierung der beitragsungedeckten Leistungen. Diese sind auch als versicherungsfremde Leistungen bekannt: stark vereinfacht Ausgaben für gesamtgesellschaftliche Aufgaben, die nicht durch Rentenbeiträge gedeckt sind und durch Steuern finanziert werden müssen. Die Zuschüsse des Bundes zur Rentenkasse aber steigen seit Jahren. Im Jahr 2021 entfielen rund 83,9 Milliarden Euro der Einnahmen auf die Zuschüsse zur allgemeinen (78,9 Mrd. Euro) und knappschaftlichen Rentenversicherung (5,1 Mrd. Euro), so geht aus dem Rentenversicherungsbericht 2022 hervor. Im vergangenen Jahr waren bereits über 100 Milliarden Euro hierfür reserviert. Neben den versicherungsfremden Leistungen zahlt der Bund auch einen Anteil, um den Rentenbeitrag zu stabilisieren.

Auch den sogenannten Nachhaltigkeitsfaktor will die Generationenstiftung wieder in Kraft setzen. Dieser wurde 2004 unter der damaligen rot-grünen Bundesregierung in ein Gesetz gegossen und galt ab 2005. Vereinfacht gesagt dämpft der Faktor die - an die Löhne gekoppelten - Rentenerhöhungen, wenn sich das Verhältnis von Rentnern zu Beitragszahlern ungünstig entwickelt. Im Jahr 2018 wurde dieser Faktor jedoch wieder außer Kraft gesetzt. "Seitdem erleben wir immer mehr Intransparenz. Man will verschleiern, wie die Kosten am Ende auf verschiedene Generationen aufgeteilt werden", kritisiert Tremmel.

Dynamischer Faktor für Regelaltersgrenze

An die Regelaltersrente will die Stiftung ebenfalls ran. Wenn die Lebenserwartung steigt, fällt ein immer größerer Teil des Lebens in die Ruhestandsphase, gibt Tremmel zu bedenken. Hier müsse das Verhältnis zwischen Lebensjahren im Beruf und Lebensjahren im Ruhestand ungefähr konstant gehalten werden, fordert der Wissenschaftler. Auch diese gewonnene Zeit müsse generationengerecht aufgeteilt werden: Wenn jedes Jahr statistisch drei Monate Lebenszeit hinzugewonnen werden, sollen die Bürger die Hälfte davon länger arbeiten, die andere Hälfte in einer längeren Rentenzeit verbringen. Was Tremmel nicht erwähnt: Gerade Berufe mit geringem Einkommen und körperlich schwere Berufe haben statistisch gesehen eine geringere Lebenserwartung, wie eine Studie des Instituts für Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen zeigt. Hier drohen folglich neue soziale Schieflagen, wenn Menschen später abschlagsfrei in Rente wechseln sollen.

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Zudem soll die gesetzliche Rentenversicherung in eine „Erwerbstätigenversicherung“ umgewandelt werden, fordert die Stiftung. Das bedeutet: Alle sollen einzahlen, zum Beispiel auch Beamte und Politiker. „Dann wären alle im selben Boot und würden die kommenden Stürme, die die Rentenversicherung durch den demografischen Wandel aushalten muss, gemeinsam bestreiten“, sagt Tremmel zur Begründung. Als Vorbild nennt er Österreich: Dort liegt das Rentenniveau nach 45 Beitragsjahren bei 80 Prozent, in Deutschland bei 48,2 Prozent. Allerdings zahlen die Österreicher auch einen Rentenbeitrag von 22,8 Prozent, wovon der Arbeitgeber 12,55 Prozent schultert.

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