Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat im Sommer 2022 die „vielleicht größte Reform der Rente seit Bismarck“ angekündigt - doch nach Ansicht des Wirtschaftsweisen Martin Werding sind die jetzigen Pläne der Bundesregierung unzureichend, um die gesetzliche Rente dauerhaft zu stabilisieren. Was der Ökonom selbst vorschlägt, dürfte jedoch von der Politik schlecht vermittelbar sein, da äußerst unpopulär. Nicht nur sollen die Deutschen länger arbeiten müssen - Werding fordert zudem, dass Frührentner weit höhere Abschläge als bisher akzeptieren sollen, wenn sie nicht bis zur Regelaltersrente arbeiten. Zudem soll die sogenannte Rente mit 63 abgeschafft werden, wie er in einem Interview mit t-online.de fordert.

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Kapitalstock nicht ausreichend

Den angedachten Kapitalstock, mit dem aktienbasiert die Rente stabilisiert werden soll, hält Werding für nicht ausreichend. „Selbst wenn wie geplant 15 Jahre lang pro Jahr 10 Milliarden hinzukommen, wird die Rendite, die davon realistischerweise abfällt, im unteren zweistelligen Milliardenbereich liegen“, gibt der Ökonom zu bedenken. Das reiche nicht, um das Rentenniveau konstant zu halten, ohne dass die Beitragssätze zur Rentenversicherung deutlich angehoben werden müssten. „Dafür bräuchte es eher rund 40 Milliarden Euro Einzahlung pro Jahr, über 15 Jahre also 600 Milliarden“, so Werding.

Die demographischen Probleme der Rente seien massiv, deshalb müsste an mehreren Stellschrauben gedreht werden. Eine Maßnahme wird bereits breit diskutiert: Die Regelaltersgrenze an die steigende Lebenserwartung der Deutschen anpassen. Das sei eine Maßnahme, die nicht sofort greife, da ohnehin die Regelaltersgrenze bis 2031 auf 67 Jahre steige. Doch danach gelte es, weiterzumachen. Das bedeute aber nicht automatisch, dass die Bürgerinnen und Bürger später in Rente sollen. „Sollte die Lebenserwartung wider Erwarten nicht steigen, braucht auch die Altersgrenze nicht erhöht zu werden. Die Rentnerinnen und Rentner dürfen nicht über den Tisch gezogen werden“, positioniert sich Werding. Realistisch sei dann eine Anhebung um einen Monat pro Jahr.

Doch damit nicht genug: Werding will auch einen zeitigeren Renteneintritt unattraktiver machen. Die Abschläge für Frührentner seien zu niedrig. „Wir sollten sie also erhöhen, um Anreize fürs längere Arbeiten zu setzen. In Deutschland liegen die Abschläge bei 3,6 Prozent je Jahr eines früheren Renteneintritts. In Ländern, die genauer rechnen, betragen sie eher fünf oder sechs Prozent. Daran sollten wir uns orientieren“, fordert der Professor. Zudem solle die abschlagsfreie „Rente mit 63“ wieder abgeschafft werden: diese sei ein Fehler gewesen. Für Neurentner solle sie keine Option mehr sein.

Dass mehr Abschläge und ein späteres Renteneintrittsalter eine Rentenkürzung für jene Menschen bedeute, die schwer arbeiten und ein geringeres Einkommen haben, räumt Werding ein. Diese haben statistisch eine geringere Lebenserwartung - und auch die schwere Arbeit trägt dazu bei, dass viele aus dieser Gruppe nicht bis zum regulären Rentenalter arbeiten können. „Wir sollten die allgemeinen Regeln nicht an den Härtefällen ausrichten“, sagt er. Für diese Personen könnten die Abschläge nach bestimmten Kriterien gesenkt werden.

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Auch an die Höhe der ausgezahlten Renten will Werding ran. Und greift einen Vorschlag seiner Kollegin Monika Schnitzer auf. Damit nicht diejenigen getroffen werden, die ohnehin wenig Geld im Alter haben, „könnten wir höhere Renten etwas abschmelzen, ohne die niedrigeren anzutasten. Das ist aber nur eine Möglichkeit von vielen“. Auch mit Blick auf private Vorsorge seien Reformen notwendig: Die hohen Beiträge zur Rentenkasse seien ein Grund, weshalb die jüngeren Menschen weniger Geld hätten, um zusätzlich privat vorzusorgen.

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