Ohne politische Reformen werden die deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bald deutlich höhere Sozialbeiträge zahlen müssen. Davor warnt das Wissenschaftliche Institut der Privaten Krankenversicherung (WIP) in einer Studie, über die zuerst das Handelsblatt berichtet hat. Liegen die Sozialversicherungsbeiträge aktuell bei 40,05 Prozent des beitragspflichtigen Einkommens, so könnten sie bis zum Jahr 2025 auf 42,8 Prozent steigen und bis 2030 sogar auf 45,2 Prozent.

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Wenig Wirtschaftswachstum, ungünstige Demographie

In ihrem Szenario gehen die Studienautoren Thiess Büttner und Martin Werding davon aus, dass das Bruttoinlandsprodukt in den folgenden Jahren nur noch schwach wächst. Neben den Folgen der Corona-Pandemie und des Ukraine-Krieges resultiert dies ab 2024 auch aus demographischen Faktoren. Mit anderen Worten: weniger Erwerbstätige stehen mehr Rentnern gegenüber, was sich auch auf die Produktivität auswirkt. Schön heute klagen beispielsweise viele Firmen, dass sie Stellen nicht besetzen können, weil Fachkräfte fehlen.

Eingerechnet haben die Autoren alle Zweige der Sozialversicherung: also Kranken-, Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung. In allen Bereichen wird eine eher ungünstige Entwicklung erwartet. Am stärksten müssten die Beiträge laut Modellrechnung in der gesetzlichen Krankenversicherung steigen, um alle Kosten aufzufangen: Hier wäre bis 2030 ein Plus von 2,2 Prozentpunkten vonnöten. In der gesetzlichen Rentenversicherung wird ein Anstieg von knapp 2 Prozentpunkten erwartet. Weniger stark steigen die Beiträge in der Arbeitslosen (+0,7 Prozentpunkte) und Pflegeversicherung (+0,2 Prozentpunkte).

Auf die Gründe für die Teuerungen in den einzelnen Bereichen gehen die Autoren nicht detailliert ein, verweisen aber auf aktuelle Studien hierzu. In der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung wirkt sich unter anderem die Alterung der Bevölkerung aus: Diese führt zu höheren Krankheitskosten sowie dazu, dass immer weniger Erwerbstätige immer mehr Ruheständler finanzieren müssen. Die Inflation infolge des Ukraine-Krieges sowie Mehrkosten infolge der Corona-Pandemie treffen auf ohnehin steigende Ausgaben. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat unter anderem eine Klinikreform angekündigt, um Kosten zu senken: Wenn möglich, sollen mehr Operationen und Behandlungen ambulant durchgeführt werden.

Entwicklung der Beitragssätze zu den Sozialversicherungen (in Prozent)WIP 2022

Zuschüsse des Bundes: Möglichkeiten begrenzt

Die Möglichkeiten des Bundes, hier mit Steuerzuschüssen einzugreifen, sind begrenzt. Bereits in den Jahren 2020 bis 2022 musste der Kernhaushalt des Bundes ein Defizit verkraften. 2021 bezifferte sich das Minus auf sechs Prozent des Bruttoinlandsproduktes, für 2022 wird ein Defizit von 2,9 Prozent erwartet. Hier schlugen die Hilfsmaßnahmen für Corona und die Maßnahmen infolge des Corona-Krieges ins Kontor. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) will 2023 wieder die Schuldenbremse in Kraft setzen, die auch im Grundgesetz verankert ist. Dann darf das Defizit maximal 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung betragen.

Der Bund hat zuletzt bereits auf Rücklagen zugreifen müssen, um Hilfspakete zu finanzieren, und auch Schulden gemacht. Auch hier bestehe ein Konsolidierungsbedarf. Ohne Einsparungen oder zusätzliche Einnahmen dürfte die Schuldenbremse ab 2027 nicht einzuhalten sein, geben die Studienautoren zu bedenken. Unter anderem wirke sich hier das Sondervermögen für die Bundeswehr infolge des Ukraine-Krieges und erhöhte Finanzierungsbeiträge zur EU infolge der Corona-Programme aus.

Soll der projizierte Anstieg bei den Beitragssätzen -ohne Reformen bei den Ausgaben- verhindert werden, müssten die Bundeszuschüsse entsprechend steigen, um das Beitragsniveau von 2022 zu festigen. Bis 2030 müsste der Bund Zuschüsse von rund 275 Milliarden Euro zur Sozialversicherung leisten. Mit eingerechnet sind hierbei bereits Kosten für notwendige Konsolidierungen: also stark vereinfacht dem Abbau von Schulden.

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"Eine Stabilisierung der Beitragssätze auf dem heutigen Niveau von etwa 40 Prozent durch zusätzliche Bundeszuschüsse ist vor diesem Hintergrund ohne gravierende Steuererhöhungen kaum möglich. Allein in der derzeitigen, planmäßig bis zum Jahr 2025 laufenden, Legislaturperiode läge der zur Stabilisierung erforderliche zusätzliche Bedarf an Zuschüssen bei 60 Milliarden Euro. In den folgenden Jahren würden immer größere Zuschüsse erforderlich werden", warnen die Studienautoren.

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