Jens Baas ist Chef von Deutschland größter Krankenkasse TK - und warnt in einem aktuellen Interview mit dem „Hamburger Abendblatt“ vor drastisch steigenden Beiträgen und erheblichen Mehrlasten für Versicherte und Arbeitgeber. Die gesetzlichen Krankenversicherer steuern auf ein gewaltiges Finanzloch zu: allein im kommenden Jahr soll das Defizit -je nach Schätzung- 17 bis 23 Milliarden Euro betragen. Doch das GKV-Stabilisierungsgesetz von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) habe kein Problem gelöst, aber die von den Beitragszahlern angesparten Reserven aufgelöst, sagte Baas in dem am Donnerstag veröffentlichten Interview. „Diese Reserven stehen auch mit Blick auf die Beitragsentwicklung der kommenden Jahre nicht mehr zur Verfügung“, warnt der promovierte Humanmediziner.

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Konkret zwingt das Gesetz die Krankenkassen dazu, ihre Finanzreserven radikal abzuschmelzen und für laufende Ausgaben zu verwenden. Bereits 2023 könnten diese Reserven weitestgehend aufgebraucht sein. Bereits AOK-Chefin Carola Reimann hatte gewarnt, dass damit einzelnen Krankenkassen die Insolvenz drohe - sie hätten keine Gelegenheit mehr, auf plötzlich steigende Ausgaben wie zum Beispiel in der Corona-Krise zu reagieren. Sie bezeichnete das Abschmelzen der Reserven als „echten Sündenfall“.

“Geld weg, Problem noch da - was machen wir?“

Auch Jens Baas gibt nun zu bedenken, dass die Reserven fehlen, um auf zukünftige Teuerungen zu reagieren. „Diese Reserven stehen auch mit Blick auf die Beitragsentwicklung der kommenden Jahre nicht mehr zur Verfügung – Geld weg, Problem noch da. Was machen wir?“, sagte er dem „Abendblatt“. Wenn nichts mehr passiere, so gebe es keine andere Option, als den Versicherten und ihren Arbeitgebern noch höhere Beiträge abzuverlangen. „Was ist, wenn es irgendwann 20 Prozent des Einkommens sind?“, fragt Baas.

Zusammen mit den Beiträgen zur Rente, Pflege- und Arbeitslosenversicherung gingen künftig mehr als vier von zehn verdienten Euro des Einkommens für Sozialbeiträge ab, warnt Baas. Und kritisiert: „Die 40 Prozent Lohnnebenkosten-Quote ist sang- und klanglos verschwunden.“ Er warnt davor, dass künftig die Krankenkassen-Beiträge mehrmals pro Jahr angepasst werden müssten, weil den Versicherern die Planungssicherheit fehle.

Kritik an privaten Krankenversicherern

Kritik äußert Jens Baas auch an den privaten Krankenversicherern. Nach Ansicht des Ökonomen werden die Ausgaben für sozial Bedürftige einseitig auf den Schultern der Krankenkassen-Beitragszahler verteilt. „Momentan finanzieren die Beitragszahlenden die Krankenversicherung zum Beispiel für die Bezieher von Arbeitslosengeld II kräftig mit. Das ist aber die Aufgabe des Staates. Wir müssten vom Staat eigentlich so viel Geld für die ALG-II-Empfänger bekommen, wie ihre Versorgung im Schnitt kostet – bekommen aber deutlich weniger“, sagte der Krankenkassen-Manager. Es sei „absolut ungerecht“, dass die Privatversicherten als die am besten Verdienenden daran nicht beteiligt seien.

Tatsächlich zeigte ein Gutachten im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums, dass 10 Milliarden Euro mehr pro Jahr an die Krankenkassen fließen müssten, um die Kosten für Hartz-IV-Empfänger gegenzufinanzieren. Nach einem Urteil des Bundessozialgerichtes (18.01.2011, Az: B 4 AS 108/10 R) haben hingegen Privatversicherte das Anrecht darauf, dass die Jobcenter die Kosten für den privaten Kranken-Schutz bis zur Höhe des monatlichen Basistarifs voll übernehmen. Die Privatversicherer haben wiederholt auf die Kritik reagiert, indem sie argumentieren, dass auch mehr Steuergelder über die PKVen in das Gesundheitssystem fließen. Im Gegenzug profitieren die Privatversicherer auch von Steuern: mehr als die Hälfte aller Krankenvollversicherten hat einen Beihilfe-Anspruch.

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Um Kosten aufzufangen, spricht sich TK-Chef Baas für eine radikale Krankenhaus-Reform aus. „Wir brauchen eine Grundversorgung in der Fläche, spezialisierte Medizin in Zentren und universitäre Spitzenforschung – also eine übergreifende Krankenhausreform. Woran scheitert das? Schon an den Ländergrenzen“, kritisiert er. Oft würden OPs nicht von Spezialkliniken angeboten, sondern von Kliniken, die eine Rundum-Versorgung bereit halten müssen. "Wenn Sie ein Prostata-Karzinom haben und in ein Wald- und Wiesen-Krankenhaus gehen, dann ist die Wahrscheinlichkeit, inkontinent oder impotent zu werden, höher", so Baas.