Digitale Mehrwert-Services sind eine Chance, ein grundlegendes Dilemma der Versicherer zu überwinden: Der Kontakt zum Kunden findet oft nur bei Vertragsabschluss, Rechnungsstellung oder im Schadenfall statt. Durch die Zusatzservices können Versicherer die Interaktion mit den Kunden ausbauen und positive Customer Touchpoints schaffen – personalisierte Zusatzangebote werden Teil des Alltags und tragen so zur Kundenbindung bei.

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Klaus Thummert ist Associate Partner bei Infosys ConsultingMehrwert-Services in allen Sparten

Laut einer aktuellen Umfrage des Technologieanbieters Etvas unter Finanzdienstleistern sind 80 Prozent der Befragten überzeugt, dass Mehrwert-Dienste an Bedeutung gewinnen werden, da sie die Wettbewerbsfähigkeit stärken. Viele Versicherer haben ihre Services rund um die originäre Versicherungsleistung bereits ausgebaut. Die Krankenversicherer bieten ihren Kunden eine breite Palette an digitalen Gesundheitsservices, die der Risikoprävention dienen – vom Schlaftraining bis zum Kurs für Schwangere.

Rechtsschutzversicherungen wie die Arag erhöhen die Kundenbindung durch zusätzliche Angebote wie Musterschreiben oder eine Online-Anwaltssuche. Auch in andere Sparten kommt Bewegung: So haben die drei Versicherer Huk-Coburg, LVM und HDI die gemeinsame Dienstleisterplattform Onpier für unterschiedlichste Services rund um das Auto ins Leben gerufen.

Martina Scheuler ist Senior Principal Insurance bei Infosys ConsultingFür Geschäftskunden sind gezielte Zusatzangebote der Versicherer noch eher selten, vor allem für kleine und mittelgroße Unternehmen. Die Signal Iduna ist hier besonders aktiv und bietet gemeinsam mit Partnern einen digitalen Service für den Online-Firmenauftritt. Gerade KMUs fehlen oft die Ressourcen und das Know-how für digitale Neuerungen, sodass hier großes Potenzial für Versicherer liegt, das derzeit noch nicht ausgeschöpft wird.

Hindernisse überwinden

Das Angebot digitaler Mehrwert-Services von Versicherungsunternehmen ist aktuell noch stark ausbaufähig. Hier ist zu bedenken, dass die Bereitstellung finanzielle Ressourcen sowie spezielles Fachwissen erfordert.

Allerdings liegt die größte Herausforderung nicht in der Bereitstellung der Services, sondern in deren nahtloser Integration. Mehrwert-Services müssen an der richtigen Stelle und zur richtigen Zeit in die Customer Journey integriert werden, um den Kunden den Zugang zu erleichtern und das Werteversprechen einzulösen. Viele dieser Dienste sind jedoch nicht ohne Brüche in die Customer Journey integriert und verhindern daher ein positives Kundenerlebnis. Versicherer sollten die Nutzung der Services kontinuierlich nachverfolgen, um Schwachstellen zu identifizieren und dann die Prozesse entsprechend zu optimieren.

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Häufig lässt sich beobachten, dass die Kunden bereits vorhandene Mehrwert-Services nur zögerlich nutzen. Hierfür gibt es eine Reihe von Gründen: Oftmals kennen die Kunden die Services gar nicht, da deren Existenz und Nutzen nicht gezielt an die passenden Kundengruppen kommuniziert werden. Nutzer stoßen zudem beim Anmeldungsprozedere häufig auf Hürden. Manchmal sind die Services nicht sinnvoll miteinander verknüpft oder werden gar über verschiedene Apps bereitgestellt. Ein Beispiel: Ein Diagnose-Tool für Krankheitsbilder sollte den Nutzer direkt zu einem Tool für Online-Sprechstunden weiterleiten.

Klare Zielsetzung verfolgen

Vielen Versicherern fehlt grundsätzlich eine klare Strategie, um Mehrwert-Services erfolgreich einzusetzen. Außer zur Kundenbindung und zur Schadenprävention können Mehrwert-Services dazu dienen, umfassende Kundendaten mit Methoden künstlicher Intelligenz zu analysieren, um die Risikoprofile der Versicherten zu verfeinern. KI kann ebenfalls zur passgenauen Ausspielung von Mehrwert-Services genutzt werden. Laut Etvas haben über 90 Prozent der befragten Finanzdienstleister Interesse daran, Mehrwert-Dienste direkt über eine Plattform auf Basis von Kundendaten vollautomatisch und KI-gesteuert anzubieten. Ein Beispiel: Einem Versicherten mit Rückenproblemen wird ein Stresstraining angeboten.

Ein wichtiger Punkt für Versicherer ist die potenzielle Monetarisierung der Mehrwert-Services. Aus Sicht der Versicherungskunden ist die Situation klar: Positives Verhalten, wie etwa der Nichtraucherkurs oder der regelmäßige Gesundheitscheck, wird mit Bonuspunkten oder Prämien belohnt. Für Versicherer gibt es hier jedoch regulatorische Restriktionen – sowohl bei monetären Incentives, die in den Tarifen nicht originär vorgesehen sind, als auch bei einer direkten Monetarisierung von Mehrwert-Services. Allerdings gibt es Ansätze, die ein Erlösmodell in einem nachgelagerten Schritt ermöglichen. Ein aktuelles Beispiel ist das erwähnte Ökosystem Onpier. Es bietet Versicherern Zugriff auf unabhängige Servicepartner, die im Gegenzug von den Versicherern Kontaktdaten potenzieller Kunden erhalten. Die Plattform startete mit der Dienstleistung Autoankauf, wobei die Versicherer eine Beteiligung an den Umsätzen aus Kfz-Käufen erhalten.

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Leicht zugänglich, sicher und personalisiert

Nach der klar definierten Strategie für die Services steht eine Umsetzung, die es Versicherern ermöglicht, das Potenzial des Angebots voll auszuschöpfen. Ein wichtiger Aspekt ist hier der einfache digitale Zugang zu den Services. Die Ergon Informatik AG hat in einer gemeinsamen Studie mit IDG Research zum Thema „Digitalisierung in der Versicherungsbranche 2021“ herausgefunden, dass zwei Drittel der Versicherungsprodukte und -dienstleistungen zwar digital einsehbar oder abzuwickeln sind. Allerdings seien in vielen Unternehmen dafür mehrere Benutzerkonten notwendig. Hier ist ein vereinfachter Ansatz anzuraten. Für den digitalen Identitätsnachweis bei Online-Services gelten hohe Sicherheitsstandards und regulatorische Anforderungen. Erste Dienstleister bieten jedoch bereits eine solche ID-Prüfung an, die Kunden für die Online-Anmeldung bei verschiedenen Unternehmen in Privatwirtschaft und Behörden nutzen können. Auf diese Weise entsteht eine ganzheitliche und sichere User Experience.

Versicherer sollten große Sorgfalt auf die Kommunikation mit ihren Kunden zu den Mehrwert-Services legen. Sie sollten immer ein zielgruppenspezifisches Angebot für bestimmte Kundengruppen sein – passgenau abgestimmt auf die jeweiligen Kundenbedürfnisse. Grundsätzlich sollten Versicherer die Kunden und deren persönliche Situation immer im Blick haben und passende Folgeservices anbieten. Dies gibt den Kunden das Gefühl, dass ihre Versicherung sie in ihrer aktuellen Lebenssituation bestmöglich unterstützt.

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Mit der fortschreitenden Entwicklung von Ökosystemen werden die Versicherer darin auf eine einzelne Rolle reduziert zum Wohl des großen Ganzen. Wenn sie nicht irgendwann alle servicebewussten Kunden an Ökosysteme abgeben wollen, müssen sie selbst aktiv werden. Zusätzliche Services werden immer mehr zu einem integralen Bestandteil eines kundenfreundlichen Angebots von Versicherern, und die Erwartungen der Kunden an solche Services werden steigen. Rechtzeitige Investitionen sind daher essenziell, um sich gut aufzustellen und sich so weitere Marktanteile zu sichern. Mit einer gut durchdachten Strategie und einer optimalen technischen Umsetzung für Mehrwert-Services erschließt sich für Versicherer ein wertvolles Instrument zur Kundenbindung, Prävention und Risikobewertung. Darüber hinaus besteht enormes Potenzial für Erlösmodelle aus Zusatzservices. Die Träger werden hier allerdings nicht die Versicherer selbst, sondern Neu- oder Ausgründungen sein.

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