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Nicht nur der VW-Konzern und seine Töchter sind in einen Abgasskandal verwickelt, sondern auch der Daimler-Konzern mit seiner Premium-Marke Mercedes. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) verpflichtete den Stuttgarter Autobauer seit 2018, Fahrzeuge aufgrund einer Abschalteinrichtung zurückzurufen, die geeignet sei, Abgaswerte zu beschönigen. Gegen diese Anordnung geht der Autobauer juristisch vor. Insgesamt 550.000 Autos in Deutschland und 1,4 Millionen Fahrzeuge der Baujahre 2008 bis 2018 wurden zurückgerufen.

Die Frage ist, ob Rechtsschutzversicherer auch in solchen Streitfällen eine Deckungszusage geben müssen. Dies hat nun das Landgericht Düsseldorf zugunsten eines klagenden Autofahrers entschieden. Es verurteilt die ARAG Rechtsschutzversicherung dazu, Deckungsschutz für ein Verfahren im Mercedes Abgasskandal vor dem Oberlandesgericht Stuttgart zu erteilen. Das berichtet Rechtsanwalt Peter Hahn auf dem Fachportal anwalt.de (Urteil vom 02. Februar 2022 – 9 O 257/21).

Konkret hatte sich die ARAG darauf berufen, dass bei dem entsprechenden Prozess „keine hinreichende Erfolgsaussicht“ bestehe, und wollte deshalb für die Klage nicht zahlen. „Dem widersprach das Landgericht Düsseldorf nun in seinem Urteil“, berichtet Peter Hahn. Es habe unter anderem auf ein Urteil des Oberlandesgerichtes Naumburg verwiesen, in dem die Daimler AG verurteilt worden sei. Auch einen Hinweis des Bundesgerichtshofs zu einer prüfstandbezogenen Kühlmittel-Sollwert-Temperaturregelung sei als Ursache genannt worden, warum die Klage Erfolgsaussichten haben könnte.

Auf dem Prüfstand bessere Abgaswerte?

Konkret hatte der Kläger im Juni 2017 einen Mercedes ML 350 zum Kaufpreis von 53.100 Euro erworben. Es handelte sich um ein Dieselfahrzeug, das mit einem OM 642-Motor ausgestattet gewesen ist. Dieses Modell war von der Rückruf-Pflicht des Kraftfahrt-Bundesamtes betroffen. Laut Rechtsanwalt Hahn verfügte das Modell über mehrere Abschalteinrichtungen, aufgrund derer nun Schadensersatz gefordert werde. Auch besagte Kühlmittel-Sollwert-Einrichtung sei darin verbaut. Die 27. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart habe die Klage in erster Instanz abgewiesen, woraufhin der Kläger in Berufung gegangen sei.

Wie diese Kühlmittelsollwert-Technik funktioniert, hatte der „Bayrische Rundfunk“ in einem Beitrag erörtert. Es handle es quasi um eine Technik, die erkenne, wann sich ein Auto auf dem Prüfstand zur Abgasmessung befindet. Demnach regle ein Thermostat, dass der gesamte Kühlkreislauf künstlich herunter gekühlt werde. Bei einem langsamem Fahrtempo werden so niedrigere Stickoxidwerte erreicht, die Grenzwerte werden eingehalten. Dauere eine Fahrt aber länger an als auf dem Prüfstand, werde eine deutlich höhere Kühlmitteltemperatur eingeregelt, der Grenzwert könne nicht mehr eingehalten werden. Denn nun baue der Katalysator auch weniger Schadstoffe ab.

Dass eine solche Einrichtung unzulässig ist, hat laut dem „Bayerischen Rundfunk“ auch das Bundesverkehrsministerium so eingeschätzt. Denn das Auto sei im Straßengebrauch schmutziger als auf dem Prüfstand: erst nach Neustart des Motors werde bei langsamen Fahrtempo wieder in den effektiven Modus zurück geschaltet. Doch Daimler bestreitet, illegale Vorrichtungen verbaut zu haben.

Strittiges Urteil des Bundesgerichtshofes

Umstritten ist in diesem Fall auch ein Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH): beziehungsweise dessen Interpretation. Die Richterinnen und Richter des Sechsten Zivilsenates haben entschieden, dass der Einbau einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems -auch als „Thermofenster“ bekannt- nicht automatisch Verbraucher dazu berechtigt, den Kauf eines Fahrzeuges rückabzuwickeln und Schadensersatz zu fordern. Vielmehr müsse dem Hersteller eine arglistige Täuschung nachgewiesen werden. Entscheidend sei der Einzelfall - auch wenn der Europäische Gerichtshof zugleich betont habe, dass Thermofenster unzulässige Abschalteinrichtungen sein können und in diesem Fall folglich auch gegen EU-Recht verstoßen (BGH, Urteil vom 13. Juli 2021 – VI ZR 128/20).

Laut BGH folge aus dem Einbau eines Thermofensters auch nicht automatisch, dass der Autobauer den Vorsatz gehabt habe, den Käufer zu schädigen. Bis heute sehe der Gesetzgeber keinen Zwang vor, derartige Autos stilllegen oder umrüsten zu lassen. Anders als beim Skandalmotor EA189 von Volkswagen unterscheide die Software auch nicht danach, ob das Auto auf dem Prüfstand stehe. Sie reduziere etwa auch bei kühleren Temperaturen die Abgasreinigung. Daimler verkündete daraufhin, das Urteil habe „Leitcharakter für Tausende von Gerichtsverfahren in Deutschland“ - der BGH habe die Rechtsauffassung des Konzerns bestätigt.

Im konkreten Fall hatte der BGH die Klage eines Mercedes-Fahrers abgewiesen. Und auch die ARAG beruft sich nun darauf, dass Klagen keine Aussicht auf Erfolg haben. „Seit Mitte 2021 hat sich bei den Daimler-Klagen eine deutliche höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs herausgebildet, wonach es bei sogenannten Thermofenstern zu Klageabweisungen kommt. Nahezu alle Abgas-Verfahren gegen Daimler haben daher im Instanzenzug keinen Bestand und gehen verloren“, zitiert pfefferminzia.de eine Stellungnahme des Versicherers. Die ARAG gehe davon aus, dass sie nach einer Prüfung in Widerspruch gehe.

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Dem entgegen sehen viele Verbraucheranwälte anhand des Urteils noch immer Erfolgsaussichten, einen Rechtsstreit gegen Daimler zugunsten der enttäuschten Fahrzeug-Käufer zu entscheiden: Sofern dem Autobauer nachgewiesen werden kann, dass er Täuschungsabsichten hatte. Jene Kundinnen und Kunden, die von der Rückrufaktion des Kraftfahrt-Bundesamtes betroffen waren, "entschädigte" der Autobauer ähnlich wie VW. Eine neu eingespielte Software sollte das Problem lösen: zusätzlich gab es einen Gutschein im Wert von 100 Euro.

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