Im kommenden Jahr sollen die Renten kräftig zulegen: in Ost sollen sie um 5,9 Prozent nach oben gehen, in West immer noch um 5,2 Prozent. Grund ist, dass sich die Renten an dem Trend der Löhne orientieren: im Coronajahr gesunken, hat sich die Wirtschaft 2021 wieder schnell von der Krise erholt, auch die Löhne und Beitragszahlungen zur Rentenkasse gingen wieder rauf. Die tatsächliche Anpassung wird aber erst im März 2022 festgelegt, da die Lohnentwicklung für das laufende Jahr noch nicht abschließend bekannt sei. Doch auch 2023 wird ein deutliches Rentenplus erwartet.

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Dieses Rentenplus alarmiert nun aber 30 Wirtschaftsexperten, die sich für die arbeitgeberfinanzierte Lobbyorganisation Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) zu Wort meldet. Sie appelliert an die angehenden Koalitionäre, den Nachholfaktor in der Rente wieder einzuführen. Infolgedessen würden die Renten aktuell weniger stark steigen. Der Appell wurde als Anzeige in mehreren Medien veröffentlicht. Angeschlossen haben sich ihm unter anderem Michael Hüther, Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) Köln, der Wirtschaftsweise Volker Wieland sowie Wirtschaftshistoriker Albrecht Ritschl.

GroKo setzte Nachholfaktor aus

Zur Erinnerung: 2009 hat die Bundesregierung die Rentengarantie und den Nachholfaktor gesetzlich festgelegt. Die Rentengarantie sorgt dafür, dass bei sinkenden Löhnen in einer Krise nicht auch die Renten gekürzt werden müssen. Im Anschluss sorgt der Nachholfaktor dafür, dass bei wieder steigenden Löhnen die verhinderte Rentenkürzung rechnerisch ausgeglichen wird: also weniger stark steigt.

Doch der Nachholfaktor wurde von der Bundesregierung bis 2025 ausgesetzt: das war Teil der Doppelten Haltelinie, auf den Weg gebracht von der schwarz-roten Koalition im Jahr 2018. Wegen des fehlenden Nachholfaktors steigen die Renten gerade nach Krisen deutlich, wenn die Löhne zunächst einbrachen: und sich dann wieder erholen.

Grund für den Verzicht auf den Nachholfaktor war, dass die Regierung ein garantiertes Renten-Sicherungsniveau von 48 Prozent gesetzlich festschreiben wollte: als Verhältnis einer Standardrente (nach 45 Beitragsjahren) zum Durchschnittsverdienst aller Versicherten. Hier hätte der Nachholfaktor dazu beitragen können, dass dieses Niveau unterschritten wird. Also verzichtete man kurzerhand auf ihn.

Renten hätten ohne Garantie sinken müssen

Doch der Verzicht auf den Nachholfaktor schlägt nun voll durch. Da 2020 die Löhne gesunken sind, hätten 2021 - rein rechnerisch - die Renten um 3,25 Prozent sinken müssen; das hatte das Ministerium von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) im März verkündet. Aufgrund der gesetzlichen Rentengarantie ist diese Kürzung ausgeblieben. Dennoch klettern nun die Renten auf ein Rekordniveau. Das Plus von 5,2 Prozent ist gar das größte seit 40 Jahren. Der Nachholfaktor würde den Anstieg in etwa halbieren. Er würde solange greifen, bis die abgewendete Rentenkürzung ausgeglichen ist.

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Es fehle an der zweiten Seite der Medaille, gibt nun Axel Börsch-Supan zu bedenken, einer der Erstunterzeichner des Appells. „Wenn der Nachholfaktor fehlt, werden die Rentner von einer Krise nicht nur verschont, sondern sie profitieren von der Krise. Das ist absurd und widerspricht definitiv der Generationengerechtigkeit“, sagt der Ökonom, der auch das Bundeswirtschaftsministerium berät. Er warnt, dass dann Beiträge bzw. die Steuerzuschüsse des Bundes zulasten jüngerer Generationen überproportional steigen müssten, um die laufenden Renten zu finanzieren: Tribut auch an eine alternde Gesellschaft.

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