Die Absicherung der Arbeitskraft ist für Menschen, die auf ein Erwerbseinkommen angewiesen sind, eigentlich unverzichtbar. Als staatliche Absicherungsmöglichkeit gibt es für Personen, die nach dem 01.01.1961 geboren sind, nur noch die Erwerbsminderungsrente.

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Die bekommt, wer

  • wegen Krankheit oder Behinderung nicht mehr mindestens sechs Stunden täglich arbeiten kann (jede Tätigkeit)
  • vor Eintritt der Erwerbsminderung mindestens fünf Jahre sozialversichert beschäftigt war (allgemeine Wartezeit)
  • in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge entrichtet hat (besondere versicherungsrechtliche Voraussetzung)

Erwerbsminderungsrente: Immer mehr Ablehnungen

Doch diese Voraussetzungen erfüllen offenbar immer weniger Menschen. Diese Schlussfolgerung lässt sich aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Sozialpolitikerin Sabine Zimmermann (Die Linke) ziehen. Demnach sind 42 Prozent der Anträge auf Erwerbsminderungsrente gescheitert. So lehnte die Rentenversicherung 2020 insgesamt 154.000 Anträge ab. Im Vorjahr waren es noch 143.000 Anträge, die negativ beschieden wurden.

Blickt man aber weiter zurück, zeigt sich, dass die Zahl der Ablehnungen eher sinkt. Wurden 1996 noch 208.561 Anträge auf Erwerbsminderungsrente abgelehnt, waren es 2000 175.963. Dreizehn Jahre später belief sich die Zahl der abgelehnten EM-Anträge auf 151.288. Im Jahr 2018 wurden schließlich 148.607 Anträge auf Erwerbsminderungsrente negativ beschieden.

Erwerbsminderungsrente: Im Durchschnitt 835 Euro

Die Anzahl der Erwerbsminderungsrenten belief sich 2019 auf 1.815.258 Menschen. Die durchschnittliche Höhe einer solchen Bestandsrente betrug 2019 835 Euro. Bei Erwerbsminderungs-Rentenzugängen (nur volle EM) wurde ein Durchschnittswert von 853 Euro erreicht.

Und es sind eben solche niedrigen Beträge, die Sozialpolitiker wie Zimmermann auf den Plan rufen. Bereits 2013 schrieb der Diplom-Volkswirt Prof. Gerhard Bäcker in einem Aufsatz für das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI): „Wer von drohender Altersarmut spricht, der muss auch und vor allem auf die Erwerbsminderungsrenten (EM-Renten) schauen. Die durchschnittlichen Zahlbeträge bei den Erwerbsminderungsrenten sinken seit Jahren und liegen deutlich unter dem Grundsicherungsniveau. Reformen sind dringend erforderlich.“

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Dass Erwerbsminderung rasch zum Einstieg in die Armutsfalle werden kann, zeigen auch Zahlen aus der Grundsicherung. 534.520 Menschen, die auf Grundsicherung angewiesen sind, erhielten im Dezember 2020 volle Erwerbsminderungsrente. Ein Anwachsen von 11.446 Personen gegenüber dem Vorjahr entsprechen einem Plus von rund 2,2 Prozent.

Problem: Abschläge und Zurechnungszeiten

Ein Weg, die Zahlbeträge in der Erwerbsminderungsrente könnte sein, auf Abschläge zu verzichten. Die werden - laienhaft gesagt - ähnlich wie die Abschläge bei der Regelaltersrente berechnet. Dass diese Abschläge wegfallen sollten, schlug der bereits erwähnte Prof. Bäcker 2013 vor und begründete das so: „Weder der Verlust der Erwerbsfähigkeit noch der Zeitpunkt des Renteneintritts sind freiwillig gewählt und deswegen mit der Inanspruchnahme einer vorgezogenen Altersrente nicht vergleichbar. Auch das Argument der Finanzneutralität bei einer verlängerten Rentenlaufzeit kann bei Erwerbsminderungsrenten nicht greifen, da die Erwerbsminderung nicht an eine Altersgrenze gebunden ist, sondern schon früh im Leben eintreten kann und – bei einer unterstellt gleichen durchschnittlichen Lebenserwartung wie von Altersrentnern – sehr viel länger gezahlt wird. Eine Begrenzung der Abschläge ist deshalb zwingend geboten.“

Allerdings folgte der Gesetzgeber dieser Empfehlung nicht. Stattdessen wurden die sogenannten Zurechnungszeiten erhöht. Was darunter zu verstehen ist, beschreibt die Deutsche Rentenversicherung so: „Sie ist die Zeit zwischen dem Eintritt der Erwerbsminderung und einem bestimmten, gesetzlich festgelegten Lebensalter. Durch die Zurechnungszeit werden Sie so gestellt, als hätten Sie bis zu diesem Lebensalter Beiträge gezahlt.“

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An den Abschlägen ändert das nichts. Wie bei der regulären Altersrente gibt es auch bei der Erwerbs­min­de­rungs­ren­te eine Altersgrenze für einen Renteneintritt ohne Abschlag. Diese liegt im Jahr 2021 bei 64 Jahren und sechs Monaten und wird bis zum Jahr 2024 schrittweise auf 65 Jahre angehoben. Für jeden Monat, den der Antragsteller jünger ist als die Altersgrenze, werden ihm 0,3 Prozentpunkte der monatlichen Renten abgezogen. Der Abzug liegt bei höchstens 10,8 Prozent.

Auch der Sozialverband Deutschland (VdK) setzt sich für ein Ende der Abschlagszahlungen ein. Argument: „Niemand sucht sich aus, krank zu sein!“

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