In der Debatte um das Aus der Riester-Rente gibt es auch Momente von Einigkeit. So argumentieren eigentlich alle Anbieter, dass sie die Chancen der Aktienmärkte besser in der Kapitalanlage nutzen wollen. Schließlich steigen die Aktienkurse trotz der heftigen Einbrüche zu Beginn der Corona-Krise.

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Doch warum sind deutsche Kleinanleger nicht stärker in Aktien investiert? Dieser Frage gingen Forschende des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und der Universität Bonn anhand der T-Aktie nach. Zentrales Ergebnis der Erhebung: Auch 20 Jahre nach dem ersten Börsengang der Telekom investieren Kleinanleger, die den Kursabsturz der T-Aktie damals miterlebt haben, zu 60 Prozent seltener in Aktien als jüngere Haushalte. „Der Kurssturz der T-Aktie hat die Aktienmüdigkeit der Deutschen bis heute verstärkt. Dies ist fatal für den langfristigen Vermögensaufbau, vor allem bei der Altersvorsorge“, fasst Studienautorin Chi Hyun Kim von der Universität Bonn die Studie zusammen.

2000: T-Aktie auf Talfahrt erschüttert Vertrauen

Im Jahr 2000 betrug die Aktienquote in Deutschland knapp 40 Prozent. Vorausgegangen war dem ein beispielloser Hype um den Neuen Markt. Mit dabei: Die T-Aktie des ehemaligen Staatsunternehmens Deutsche Telekom. Eine massive Werbekampagne verstärkte den Auftrieb der T-Aktie. Mit Erfolg etabliert sich die ‚Volksaktie‘: Rund 1,9 Millionen Kleinanleger investieren in 285 Millionen T-Aktien im Wert von umgerechnet 4,2 Milliarden Euro. Selbst nach dem Platzen der Dotkom-Blase investieren Kleinanleger noch kräftig in die Wertpapiere. Das Vertrauen in den ehemaligen Staatskonzern ist riesig: 70 Prozent des Emissionsvolumens werden zeitweise von Kleinanlegern gehalten.

Erst als aufgedeckt wird, dass die Deutsche Telekom Immobilienbestände überbewertet und während des zweiten und dritten Börsengangs falsche Zahlen in die Öffentlichkeit getragen hat, lässt das Vertrauen deutlich nach.

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Bis heute habe sich das Vertrauen nicht erholt, schreibt das DIW und beruft sich dabei auf Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP). Nicht nur ist die Aktienquote gesunken und liegt bis heute lediglich bei 25 Prozent. Auch halten Haushalte, deren Vorstände damals mindestens 20 Jahre alt waren, jetzt signifikant seltener Aktien als jüngere Haushalte. Die Zahl der Börseneintritte und -austritte ist 20 Jahre nach dem ersten Telekom-Börsengang sogar um rund 90 Prozent geringer als bei jüngeren Haushalten. Der Börsencrash hat also langfristig Spuren hinterlassen.

Zähes Mammutverfahren um Schadenersatz

Dem Börsencrash folgte aber noch eine gut 20 Jahre dauernde juristische Auseinandersetzung. Im Kern geht es dabei um mögliche Schadenersatzansprüche von etwa 17.000 Kleinanlegern, die rund 80 Millionen Euro von der Telekom verlangen. Die Kläger begründen ihre Ansprüche u.a. mit Falschangaben im damaligen Verkaufsprospekt. Erst im Dezember 2020 verwies der Bundesgerichtshof den Fall wieder an das OLG Frankfurt zurück. Die Entscheidung wurde im Februar 2021 veröffentlicht. Das OLG wird nun ein Sachverständigen-Gutachten einholen müssen, um zu klären, inwieweit die Falschangaben im Prospekt auch zu einer Wertminderung des Börsenpreises beigetragen haben. Und, so der BGH, es müsse in jedem Einzelfall geklärt werden, ob der Anleger seine Kaufentscheidung anhand des Prospekts getroffen hat. Die Beweislast dafür, dass der Anleger genau das nicht getan hat, sah der BGH bei der Telekom.

Qualifizierte Anlage-Entscheidungen treffen

Zu Geldanlage-Motiven äußert sich auch das DIW. Denn steigende Aktienkurse und der leichtere Zugang zum Börsenhandel durch Smartphones und Apps würden vor allem jüngere Menschen zu Aktieninvestments verleiten. „Das steigende Interesse an Aktien ist ein zweischneidiges Schwert“, warnt DIW-Studienautor Alexander Kriwoluzky. „Viele gehen kurzfristig riskante Anlagen ein wie Masseninvestments bei Gamestop. Scheitern diese Investments, die häufig aus dem Bauch mit der Hoffnung auf schnellen Reichtum getroffen wurden, ist die Gefahr groß, dass diese Personen auch langfristig nicht mehr auf Aktien für den langfristigen Vermögensaufbau setzen“, ist Kriwoluzky überzeugt und fordert: „Die Gefahr von Crashs, wie jüngst bei Wirecard, kann nur durch eine bessere Regulierung und eine strengere Finanzmarktaufsicht reduziert werden. Außerdem brauchen wir eine breitere finanzielle Bildung schon in der Schule sowie transparente und allgemeinverständliche Informationen für KleinanlegerInnen. Nur dann können diese ihre Investmententscheidung möglichst rational fundiert treffen.“

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Allerdings müssen sich Kleinanleger, die Aktien zum langfristigen Vermögensaufbau nutzen wollen, Vorbilder jenseits deutscher Spitzenpolitiker suchen. Denn sowohl Finanz- als auch Wirtschaftsminister taugen eher Aktienmuffeln als Beispiel. So fiel Peter Altmaier (CDU, derzeit Wirtschaftsminister) im Wirecard-Untersuchungsausschuss u.a. dadurch auf, dass er eingestand, von Aktien ‚nichts zu halten‘ und nie solche Anlagen besessen zu haben. „Also ich hätte kein Problem, mein Vermögen zu schätzen, weil ich keine Aktien habe, ich habe ein Sparbuch, ein Bankkonto und eine bescheidene Immobilie“, so Altmaier über die vermeintlichen Vorzüge, keine Aktien zu besitzen. Finanzminister Olaf Scholz (SPD) erwies sich diesbezüglich 2019 in einem ‚Bild’-Interview als ‚Gesinnungsgenosse‘: „Ich mache das, was einem kein Anlageberater empfiehlt. Ich lege mein Geld nur auf einem Sparbuch, sogar auf dem Girokonto an – und da kriegt es, wie bei allen anderen, keine Zinsen.“

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