Der Finanzwissenschaftler Hermann Weinmann, tätig an der Hochschule Ludwigshafen am Rhein, findet nicht nur mit seinen aufwendigen Bilanzanalysen zur Lebensversicherung Gehör. In den letzten Wochen und Monaten hat er sich auch mehrfach mit Thesenpapieren zu Wort gemeldet, mit denen er der Leben- und Altersvorsorge-Branche auf den Zahn fühlt. Durchaus mahnend und auf Fehlentwicklungen hinweisend, aber auch die Verdienste der Lebensversicherer wertschätzend. Das brachte ihm auch überregional viel Aufmerksamkeit.

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Die Politik will und muss das Rentensystem reformieren

Nun hat Weinmann erneut einen Artikel vorgelegt, veröffentlicht in der „Zeitschrift für Versicherungswesen“ (ZfV), Ausgabe 12/2021. Betitelt ist er mit „Status Lebensversicherung, die zukünftige Rentenpolitik und die Rolle der Politiker“. Nicht von ungefähr, steht doch eine Bundestagswahl an. Alle Parteien sind sich im Grunde einig, dass die gesetzliche Rente -wie auch die anderen Vorsorgeformen- reformiert werden müssen.

Parteiübergreifend droht den privaten Vorsorge-Anbietern hierbei mächtige Konkurrenz. Einige Beispiele: Die FDP will mit einer „Aktienrente“ punkten und ist einem Staatsfonds gegenüber nicht abgeneigt. Auch SPD und Grüne liebäugeln mit einem öffentlich aufgebauten Kapitalstock unter Obhut des Staates. Und soeben regt der CDU-Experte Kai Whittaker an, jedem Neugeborenen ein Startkapital von 4.000 Euro zu gewähren, das ebenfalls in einem Staatsfonds angelegt werden soll. Das Geld könnte sich bis zum Renteneintritt auf einen sechsstelligen Betrag summieren. Mit ihrem Wahlprogramm lassen die Unionsparteien aber weiter auf sich warten.

“Rentenpolitik“ als „größerer Zusammenhang“

In dieser Ausgangssituation stellt sich die Frage, ob und in welchem Umfang private und betriebliche Altersvorsorge-Anbieter künftig noch mitspielen werden. Denn bei der Bundestagswahl zur Debatte stehen alle drei Schichten der Altersvorsorge, weshalb Weinmann von einem „größeren Zusammenhang“ schreibt. Wird über Rentenpolitik gesprochen, dann längst nicht nur über die erste Schicht, bestehend aus der gesetzlichen Rente, den berufsständigen Versorgern sowie der Rürup-Rente. Sondern auch die zweite Schicht steht zur Debatte: die betriebliche Altersvorsorge sowie Riester. Und die dritte Schicht: mit Blick auf Lebensversicherer sind hier vor allem Sparpläne sowie Lebens- und Rentenversicherungen umfasst.

Um den Status Quo zu bestimmen, wiederholt Weinmann seine Kritik, die er vor einigen Wochen direkt an die Lebensversicherer und den Versicherer-Dachverband GDV gerichtet hat. In der Produktwelt zeige sich ein Wildwuchs, der den Vergleich von Leben-Produkten in vielen Fällen unmöglich mache. „Der Verbraucher kapituliert“, mahnt der Finanzwissenschaftler. Zugleich seien die Betriebskosten der Lebensversicherer in Einzelfällen erschreckend hoch. Gemeint sind hier nicht allein die Vermittler-Provisionen, sondern auch weiter anfallende Kosten für Verwaltung, Services etc. „Wenn Jahr für Jahr fünfzehn bis fünfundzwanzig Prozent der Versicherten-Beiträge für Betriebskosten anfallen, wie bei einigen Lebensversicherern, dann bedarf dies der Diskussion“, mahnt Weinmann in seinem aktuellen Beitrag.

Kein Kostendeckel und kein Standard-Produkt

Zwei Vorhaben seien aber in der laufenden Legislaturperiode gescheitert: für kapitalbildende Leben-Policen konnte kein Provisionsdeckel durchgesetzt werden, den Weinmann begrüßen würde. Lediglich für Restschuldverträge wurde ein solcher Deckel festgeschrieben. Gleichwohl betont der LV-Experte, dass gute Beratung auch gut vergütet werden müsse. Er ziele auf Versicherer mit besonders hohen Vertriebs- und Verwaltungskosten.

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Das zweite gescheiterte Projekt: Auch ein „attraktives standardisiertes Riester-Produkt“ wurde von der großen Koalition nicht umgesetzt, obwohl im Koalitionsvertrag vereinbart. Es sollte die Vergleichbarkeit von Produkten erleichtern und die Kosten begrenzen. Die private Altersvorsorge bleibe ein politisches Thema mit enormem Streitpotential.

10 Punkte für die Zukunft der Lebensversicherung

Ausgehend von dieser Ausgangsposition beschreibt nun Weinmann zehn Punkte, wie der Status Quo der Lebensversicherung sich auf die Zukunft der Branche auswirken könnte. Ein besonderes Augenmerk richtet er dabei auf die Rolle von Politik und Aufsichtsbehörden, die den Rahmen für die privaten Anbieter vorgeben. Und die Spielregeln künftig ändern könnten: zum Vor- und Nachteil der Branche. Einige wichtige Ideen seien hier zusammengefasst:

  • Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hält weiterhin daran fest, dass die Provisionen in der Lebensversicherungen gedeckelt werden müssen. Sie lieferte auch die Vorlage für den ursprünglichen Referentenentwurf: scheiterte aber daran, dass die Regierungsparteien Union und SPD sich in der Frage nicht einigen konnten.

  • Die BaFin hat das Thema Provisionsbegrenzung auch auf ihrer Jahrespressekonferenz im April 2021 thematisiert. Im Fachartikel der Aufsicht hierzu heißt es: “Appelle an die Unternehmen, die Provisionen niedrig zu halten, seien ungehört verhallt“. Die Behörde nenne einen weiteren Weg, das Kosten-Thema anzugehen: über Anreize bei den Versicherern bzw. das Preis-Leistungs-Verhältnis der Policen. Durch die jüngsten Skandale, etwa das Versagen bei Wirecard, sei die Behörde aber quasi mundtot gemacht worden. Es bleibt bei Appellen.

  • Wenn der BaFin die Hände gebunden sind, sieht Weinmann die Politik in der Verantwortung. Es sei für sie aber viel einfacher, neue Teilkonzepte etwa für Riester zu entwerfen, statt Vorschläge für die festgefahrene Situation zu unterbreiten. „Wir haben aber das Lebensversicherungs-Problem, das ein Kosten- und Vergleichsproblem ist, in allen drei Schichten: In der Basisversorgung (Rürup), in der Riester-Rente und in der dritten Schicht“, schreibt Weinmann.

    Hier verweist der Professor darauf, dass das Alterseinkünftegesetz von 2005 -und damit verbunden die Einführung des Drei-Schichten-Modells der Altersvorsorge- erst teilweise umgesetzt sei, speziell mit Blick auf die zu zahlenden Steuern. Laut Gesetz werden die Aufwendungen zur Alterssicherung in der Ansparphase schrittweise steuerfrei gestellt (als Sonderausgaben) und die Leistungen erst in der Auszahlungsphase steuerlich belastet. Aber der Vorsorgeaufwand sei erst 2025 zu 100 Prozent abzugsfähig, die Renten werden gar erst 2040 zu 100 Prozent versteuert. Juristisch zu klären sei zudem die Frage, ob Ruheständler doppelt besteuert werden. Die Gefahr: Der Gesetzgeber schafft immer neue Instrumente, die er als Korrektiv neben die bisher geltenden stellt. Dann "ertrinke" die Bevölkerung wie die Verwaltung. Mit eigenen Worten zugespitzt: Es entsteht ein Dickicht immer neuer, schwer zu durchschauender Gesetze, ein bürokratisches Monstrum.

  • Hermann Weinmann erneuert seine Warnung: Scheitere die Riester-Rente, dann leide die Akzeptanz der gesamten Leben-Branche in der Bevölkerung. Das liege neben der Kapitalmarkt-Entwicklung vor allem an der fehlenden Regulierung, wobei er der Wissenschaftler diesbezüglich sowohl die Politik als auch den Lobbyismus der Versicherer verantwortlich macht. Er plädiert dafür, dass die gesamte Branche strenger reguliert werde: Wie bereits oben erwähnt, verortet der Wissenschaftler das Kosten- und Transparenzproblem in allen drei Schichten der Altersvorsorge. Die Lebensversicherer würden mit einem Scheitern auch als wichtiger und bereits lang etablierter Investor ausfallen, etwa für den Klimawandel.

  • Die Lebensversicherungs-Branche sieht der Prof gemäß ihrer Interessen gespalten. Auf der einen Seite stünden einige starke Unternehmen, die von Kundinnen und Kunden aktiv nachgefragt werden: folglich auch von Maklern und freien Vertrieben angeboten werden müssten. Marktschwache Versicherer sehen sich aber gezwungen, über hohe Provisionen zu wachsen: Hier bestünde bereits eine Abhängigkeit von den Maklervertrieben und auch Vergleichsportalen. Gerade die Vergleichsportale hätten „maximale Provisionsinteressen“, was aber oft übersehen werde.

    Ein weiteres Problem: Den marktschwachen Anbietern drohe nachlassende Solvabilität, stark vereinfacht ein Missverhältnis von Eigenmitteln und Kapitalanforderungen. Diesbezüglich schreibt der Wissenschaftler sogar von einer "Bombe", sollte ein Versicherer in den 20er Jahren in Schieflage geraten. Was damit gemeint ist, zeigt ein Blick hin zur BaFin: Frank Grund, Chef der Versicherungsaufsicht, hat finanzschwachen Anbietern in diesem Jahr bereits mit Lizenzentzug fürs Neugeschäft gedroht, sodass die Bestände im schlimmsten Fall nur noch abgewickelt werden. Gerade diese eher schwächeren Anbieter sind aber zu hohen Provisionen gezwungen. Die Pleite eines oder mehrerer Versicherer -so klein sie auch sein mögen- könnte dem Image der gesamten Branche schaden.

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    Zugleich belastet der demographische Trend die gesetzliche Rentenversicherung. Auch deshalb sei es nicht wünschenswert, dass die privaten Vorsorge-Anbieter geschwächt werden. Alle Unternehmen -die schwachen wie die starken- würden von einer Provisions- und Kostenbegrenzung sowie einem strengeren Produktrahmen profitieren, argumentiert Weinmann.

  • Einen Staatsfonds hält Weinmann nicht für erstrebenswert: und die Idee der FDP, eine „Aktienrente“ einzuführen, für nicht durchsetzbar, da die Liberalen hierfür keine Mehrheit finden würden und die Mehrheit der Bevölkerung es wohl ablehne, Sozialversicherungs-Beiträge in den Aktienmarkt zu investieren. Entsprechend wird er in den kommenden Wochen erneut einen Artikel in der ZfV veröffentlichen, in der er die Idee einer „Aktien-Lebensversicherung“ entfaltet. Dass die Versicherer hiermit bereits Erfahrung hätten, zeige der wachsende Bestand an fondsgebundenen Policen im letzten Vierteljahrhundert: auch wenn sich der Anteil pro Anbieter schwer ermitteln ließe.

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