Versicherungsbote: Frau Zelosko, Ihre Studie „Entgeltumwandlung und Matching“ aus dem Mai 2020 untersuchte – vielleicht als eine der ersten überhaupt – die Auswirkungen der Corona-Krise auf Entgeltumwandlung. Können Sie die Ergebnisse diesbezüglich zusammenfassen?

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Stephanie Zelosko: Obwohl zum Zeitpunkt unserer Umfrage die Covid-19-Pandemie bereits das gesellschaftliche Leben und die Wirtschaft bestimmt hat, konntedamals bei den Unternehmen kaum eine Veränderung am Entgeltumwandlungsverhalten ihrer Mitarbeiter festgestellt werden. Die Entgeltumwandlungen wurden größtenteils in gewohnter Höhe von den Arbeitnehmern getätigt. Dies könnte damit zusammenhängen, dass die meisten Unternehmen die Möglichkeiten zur Mitarbeiterbeteiligung unverändert gelassen haben. Nur 13 Prozent der Unternehmen hatten zum damaligen Zeitpunkt Maßnahmen (z.B. Kurzarbeit) eingeleitet. Diese werden wahrscheinlich zu Einschränkungen bei der Mitarbeiterbeteiligung führen, weil durch die Maßnahmen z.B. das umwandlungsfähige Entgelt sinkt oder ganz entfällt. Des Weiteren hatten fast alle Unternehmen mit Matching-Komponenten an der Höhe des Arbeitgeberzuschusses festgehalten.

Seit Mai 2020 ist die Zahl der Menschen in Kurzarbeit massiv gestiegen. Wie wirkt sich der Bezug von Kurzarbeitergeld auf die Betriebsrente aus?

Stephanie Zelosko: Ist die Betriebsrente vom Gehalt abhängig, so kann der Bezug von Kurzarbeitergeld die spätere Betriebsrente schmälern. Kurzarbeitergeld ist kein Gehalt im eigentlichen Sinne, sondern eine Entgeltersatzleistung, die von gehaltsabhängigen Zusagen der Arbeitgeber oft nicht erfasst ist. Es ist jedoch keine pauschale Aussage möglich, ob Kurzarbeit einen Einfluss auf die Höhe der Betriebsrente hat – und wenn ja, in welcher Höhe. Entscheidend ist die jeweilige Ausgestaltung des betrieblichen Versorgungsplans. Die Auswirkungen der Kurzarbeit auf die Betriebsrente werden für die meisten Mitarbeiter aber i.d.R. verhältnismäßig gering ausfallen, da sich die Betriebsrente auf einen relativ langen Zeitraum bezieht, bei dem sich eine vorübergehende Kurzarbeit kaum auswirkt. Scheiden Mitarbeiter allerdings unmittelbar nach der Kurzarbeit aus dem Unter- nehmen aus, so muss in Einzelfällen gegebenenfalls auch mit höheren Verlusten gerechnet werden.

Frau Brandl, die Corona-Pandemie bremste laut Versicherer-Dachverband GDV auch das Neugeschäft in der betrieblichen Altersversorgung aus: Es sank – nach vorläufigen Zahlen – um 17,9 Prozent. Wie können Vermittler nun Firmen und Beschäftigte ansprechen, um für die bAV zu werben – gerade in Zeiten, in denen viele Menschen existentielle Sorgen haben?

Angelika Brandl: Es ist ein immer wieder zu beobachtendes Phänomen, dass in Zeiten angespannter wirtschaftlicher Situationen zunächst diejenigen Ausgaben eingespart werden, deren Nutzen sich erst nach einem größeren Zeitablauf zeigen wird. Hier sehen wir es in der Verantwortung der Arbeitgeber – insbesondere auch mit Unterstützung von Beratern und Vermittlern – dem gegenzusteuern. In unserer Studie zu Entgeltumwandlung und Matching haben wir festgestellt, dass kommunikative Maßnahmen und Arbeitgeberzuschüsse die Beteiligung an der betrieblichen Altersversorgung erhöhen. Beides hat unmittelbar Einfluss auf das Vertrauen von Arbeitnehmern in die Altersversorgungssysteme und deren sinnvolle Wirksamkeit. Und dies ist gerade vor dem Hintergrund einer Krise entscheidend.

In Anbetracht einer wirtschaftlich geänderten Lage gilt es, die Maßnahmen seitens des Arbeitgebers auf den Prüfstand zu stellen und ggfs. anzupassen. Aktuell bietet der – schrittweise ab 2021 – entfallende Solidaritätszuschlag Arbeitnehmern eine hervorragende Gelegenheit, ohne zusätzliche Einkommensbelastungen einen wichtigen Beitrag für ihre Altersversorgung zu leisten. Arbeitgeber können den Wegfall des Solidaritätszuschlags nutzen, um ihren Mitarbeitern neue attraktive betriebliche Versorgungslösungen anzubieten, z.B. über einen Gruppenvertrag zur Direktversicherung mit günstigen Sonderkonditionen,oder um bereits bestehende Entgeltumwandlungsmodelle zu ergänzen und zu bewerben.

Das Betriebsrentenstärkungsgesetz (BRSG) verpflichtet Arbeitgeber, eingesparte Sozialversicherungsbeiträge als Zuschuss an die Mitarbeiter weiterzugeben. Wird das auch so umgesetzt?

Stephanie Zelosko: Grundsätzlich: ja. Die Mehrheit der Unternehmen gewährt einen Zuschuss und geht bei der Höhe des Zuschusses sogar über das gesetzlich Geforderte hinaus. Bei unserer Umfrage ist allerdings auch aufgefallen, dass 30 Prozent der Unternehmen, die die Entgeltumwandlung über eine Direktversicherung, eine Pensionskasse oder einen Pensionsfonds anbieten, keinen Arbeitgeberzuschuss zur Entgeltumwandlung leisten. Wir gehen davon aus, dass es sich hierbei um sog. Altverträge handelt, für die das BRSG die Verpflichtung zur Weitergabe der eingesparten Sozialversicherungsbeiträge als Zuschuss an die Mitarbeiter erst ab 2022 vorsieht. Die (noch) nicht erfolgte Umsetzung könnte also vor allem in zeitlichen und organisatorischen Aspekten begründet sein.

Pauschaldotierte Unterstützungskassen blicken – so deren Bundesverband – auf ein „überaus erfolgreiches Geschäftsjahr“ zurück. Welche Rolle spielt dieser Durchführungsweg im Neugeschäft und erklärt sich deren Erfolg aus Ihrer Sicht?

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Angelika Brandl: Pauschaldotierte Unterstützungskassen stellen nach unserer Erfahrung ein eher selten genutztes Vehikel dar, das allerdings im Hinblick auf die Gestaltung der gesamten Pensionslandschaft eines Unternehmens zusätzliche Optionen bzgl. Cashflow-Optimierungen bietet. Außerdem erlaubt diese Gestaltungsform Möglichkeiten, die Auswirkungen der Zinsschmelze in den deutschen Handelsbilanzen teilweise abzumildern. Die mit diesem Durchführungsweg verbundenen Nachteile, z.B. geringe steuerliche Abzugsmöglichkeiten beim Trägerunternehmen, spielen evtl. in manchen Fällen derzeit eine untergeordnete Rolle.

„Politik ist gefordert, die zweite Säule zu stärken“

Zugleich kämpfen einige Pensionskassen und -fonds mit massiven Problemen. Selbst die BaFin warnt, das Geschäftsmodell gerate in Zeiten niedriger Zinsen in Bedrängnis. Auch Lebensversicherer fordern bei geförderten Produkten das Ende der 100-Prozent-Beitragsgarantie. Was kann aus Ihrer Sicht getan werden, um das Vertrauen in die betriebliche Altersvorsorge nicht zu gefährden?

Angelika Brandl: Hier ist ganz klar die Politik gefordert, die für das Altersversorgungssystem in Deutschland zentrale zweite Säule zu stärken. Für Arbeitgeber wie auch für Arbeitnehmer ist Rechtssicherheit, aber auch Generationengerechtigkeit von entscheidender Bedeutung. Aus Arbeitnehmersicht wurde bereits dadurch zusätzlich Vertrauen aufgebaut, dass nunmehr auch Pensionskassen von der Insolvenzsicherung durch den Pensionssicherungsverein (PSVaG) erfasst sind. Für Pensionsfonds gilt dies schon immer.
Aus Arbeitgebersicht gibt es bereits seit langem Forderungen – wie zum Beispiel eine Anpassung des längst nicht mehr zeitgemäßen Rechnungszinses von sechs Prozent zur Berechnung von steuerlichen Pensionsrückstellungen für Direktzusagen, der letztlich zu einer Besteuerung von Scheingewinnen führt. Außerdem sollten hohe Garantieversprechen und Rentenanpassungsanforderungen insgesamt flexibler gestaltet werden können. Weniger Garantien und mehr Flexibilität werden die bAV insgesamt stärken und Unternehmen weiterhin motivieren, auch über die gesetzliche Mindestanforderung des Anspruchs auf Entgeltumwandlung hinaus betriebliche Altersversorgung anzubieten. Darüber hinaus bestehen unverändert entscheidende Vorteile bei einer betrieblichen Altersversorgung gegenüber privaten Spar- oder Versicherungslösungen aufgrund des größeren Kollektivs – so zum Beispiel im Rahmen von günstigen Gruppenversicherungsverträgen und besseren Konditionen bei Verwaltungskosten und zielorientierter Kapitalanlage.

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In diesem Jahr ist auch Bundestagswahl. Welche Punkte wären auf Ihrem „Wunschzettel“, um die Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung zu stärken?

Angelika Brandl: Neben den gerade bereits genannten Forderungen an die Politik sollte gerade auch die Geringverdienerförderung nicht außer Acht gelassen werden. Hier wurde mit dem bAV-Förderbetrag gemäß § 100 EStG bereits ein entscheidender Grundstein gelegt. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, noch bestehende Unklarheiten für die Arbeitgeber zu beseitigen. Das sind zum Beispiel die regelmäßige Überprüfung der maßgeblichen Einkommensgrenze bzw. deren Dynamisierung, eine Lösung für „Altfälle“, da eine Aufstockung von (gezillmerten) Altverträgen nicht immer möglich ist sowie die arbeitsrechtliche Sicherheit, dass eine arbeitgeberfinanzierte betriebliche Altersversorgung nur für Geringverdiener nicht gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz verstößt.

In welcher politischen Konstellation ist wohl damit zu rechnen, dass so etwas wie eine obligatorische Betriebsrente eingeführt wird?

Angelika Brandl: Die aktuelle Bundesregierung hat sich durch die Einführung des BRSG eine weitere Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung erhofft. Leider wurde die Möglichkeit, per Tarifvertrag ein rein beitragsbasiertes Zielrentensystem zu vereinbaren, von den Sozialpartnern bislang kaum genutzt. Im Jahr 2023 ist die Wirksamkeit des BRSG durch das BMAS zu prüfen. Sollte der bisherige Gesetzesrahmen bis dahin nicht zu deutlich mehr Betriebsrenten führen, wird die Diskussion über die Einführung eines Obligatoriums neu entfacht. Wenn diese Diskussion nicht bereits früher aufkommt – die hessische schwarz-grüne Koalition hat bekanntlich vor einiger Zeit die sogenannte Deutschland-Rente propagiert – ist es nicht ausgeschlossen, dass solche Überlegungen auch in etwaigen Koalitionsverhandlungen eine Rolle spielen. Zu hoffen bleibt aber, dass zunächst die zuvor genannten Baustellen angegangen werden.

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Hinweis: Der Text erschien zuerst in: Versicherungsbote Fachmagazin 01/2021.

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