Versicherungsbote: Um Ihre Studien-Ergebnisse vorzustellen, haben Sie drastische Worte gewählt. Warum eigentlich? Man hätte auch herausstellen können, dass keiner der Versicherer psychische Erkrankungen in Folge der Corona-Pandemie ausschließt.

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Claus-Dieter Gorr / Hendrik Scherer: Zunächst einmal vorweg: Wir hoffen, dass die Unternehmen, die im Dickicht der Ungereimtheiten und Unverbindlichkeiten bereit waren, Transparenz zu zeigen, auch in der Wahrnehmung der Vermittler eine besondere Bedeutung erlangen.
Schaut man sich die Kernaussagen in unserer Studie einmal genauer an, wird man feststellen, dass wir die BU-Versicherung nicht in Frage gestellt haben, sondern, dass durch COVID-19 das Risiko einer vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung für Versicherte und Vermittler teilweise erheblich gestiegen und das Risiko einer Leistungsablehnung deutlich erhöht ist. Dies ist weder neu noch überraschend. Bereits vor der Pandemie gab es pauschale, wenig spezifizierte und kaum im Detail ausreichend differenzierende Gesundheitsfragen.
Die Fülle unverbindlicher Formulierungen und unbestimmter Begriffe sind nicht erst seit Corona eines der Kernprobleme in der BU-Versicherung, und gerade, weil die BU-Versicherung auch aus unserer Sicht die eigentlich wichtigste Absicherung für die Arbeitskraft ist, sollte es doch im Interesse aller Beteiligten sein, verbindliche AVB und verständliche Antragsfragen für Versicherte und Vermittler zu schaffen.
Natürlich haben wir polarisiert. Ob man sich bei der Kritik an unserer Studie nur die Punkte raussucht, die man möglicherweise sehen will oder sich jenseits pauschaler „Alles ist Gut“-Aussagen mit den Kernproblemen in der BU-Versicherung auseinander setzt, muss jeder für sich selbst entscheiden.

In der Vergangenheit wurden solche ‚Weckrufe‘ auch nicht gehört. Wäre es nicht Zeit, die Strategie der Konfrontation zu überdenken?

Erstens stimmt das so nicht, und zweitens nein. Zum ersten Teil Ihrer Frage:
Als PremiumCircle 2012 die erste Studie zur PKV-GKV-Systemgrenze mit dem IFMDA herausbrachte, die im Kern erstmalig die SGB V-Leistungen mit den vertraglich garantierten Leistungsaussagen der PKV-Tarife verglich, war die Aufregung ähnlich groß. Die Vermittler waren auf den Barrikaden, etliche PKV-Versicherer waren empört. Die Politik griff damals unser Thema auf, Herr Spahn forderte vom PKV-Verband Mindestkriterien und einige PKV-Unternehmen haben direkt ihre Chance erkannt und ihr Bedingungswerk qualitativ erheblich verbessert. Zum Nutzen für die Versicherten, aber eben auch zum Nutzen der Vermittler. In der Berufsunfähigkeitsversicherung stehen wir am Anfang des gleichen Prozesses. Nur im Unterschied zur PKV, die die GKV zum Wettbewerb hat, gibt es für die Berufsunfähigkeitsversicherung quasi keinen Wettbewerb. Deshalb dauert es länger.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage ist festzuhalten, dass PremiumCircle bereits seit knapp 10 Jahren mit den meisten BU-Versicherern regelmäßig in Projekten und Reflexionen im Gespräch ist, um die AVB verständlicher und verbindlicher zu gestalten. Parallel zu zahlreichen Workshops, Interviews und Presseartikel veranstalten wir seit vielen Jahren unsere Rechtssymposien, in denen jeweils aktive Richter über die aktuelle Rechtsprechung zur BU referieren. Hinzu kommt, dass wir für die Berufsunfähigkeitsversicherung bereits 2019 in unserer PremiumSoftware erstmals Transparenzkriterien implementiert haben, die in Punkto Klarheit einen Soll-Zustand definieren.
Die Reaktionen und das Verhalten einiger Marktteilnehmer zeigen ja einmal mehr, dass wir wieder einmal den Nerv getroffen haben. Wenn PremiumCircle nicht den Finger in die Wunde legt, wird sich nichts ändern. Glücklicherweise gibt es ja auch genügend Vermittler und Politiker, die unseren Weg ausdrücklich wünschen und unterstützen.

Im Ergebnis prangern Sie einmal mehr die Varianz der Antworten von BU-Versicherern an. Kann man diese Varianz nicht auch als Ausdruck des Wettbewerbs verstehen?

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Gerade die Varianz im Leistungsverhalten und in der Auslegung der AVB ist doch das Problem. Wie kann es sein, dass manche Versicherer ca. 13 Prozent Ablehnungsquote haben, andere ca. 55 Prozent? Wie kann es sein, dass manche Versicherer die meisten erstinstanzlichen Prozesse gegen ihre Kunden verlieren, während andere die meisten gewinnen? Für alle gilt als Grundlage gleichermaßen der § 172 VVG. Hinzu kommen aktuell 130 unverbindliche Formulierungen und unbestimmte Begriffe. Und die legt jeder Versicherer anders aus.

Datenlage zu dünn?

Ihre Studie wurde teilweise auch heftig kritisiert. Sowohl Kapital-markt intern als auch die Zukunft für Finanzberatung bemängeln die ‚unzureichende Datengrundlage‘. Sind sieben Versicherer genug, um Aussagen über den Gesamtmarkt BU zu treffen?

Ja, denn keine Antwort ist eben auch eine Antwort und da die Antworten von den 7 teilnehmenden Versicherern bereits eine erhebliche Varianz aufweisen, kann eine höhere Anzahl von Teilnehmern auch nicht mehr zu einem einheitlichen Ergebnis führen.
Auf der Internetseite des Vereins ZfF heißt es auf der Startseite, man verstehe sich als Sprachrohr, Diskussionsforum und Förderer der Finanz-, Versicherungs- und Vorsorgeberatung. Und weiter heißt es, man wolle die Zukunftsfähigkeit und das Image der Branche verbessern und dazu beitragen, dass auch künftige Generationen eine persönliche, fachlich fundierte und neutrale Beratung aus erster Hand in Anspruch nehmen können.
Da fragt man sich schon, worum es dem Verein eigentlich geht? Weshalb bricht man – bevor überhaupt jemand aus dem Verein die Studie gelesen haben kann – dort eine Lanze für Versicherer, die sich bedeckt halten, anstatt sich uns anzuschließen und mehr Transparenz für Versicherte zu fordern?
Offenbar geht es dem Verein eben nicht um das, was man selbst großspurig proklamiert und kommuniziert. Würde man den eigenen Verlautbarungen folgen, hätte man sich unseren Forderungen angeschlossen. Es ist doch absurd, wenn auf der einen Seite Transparenz gefordert wird und auf der anderen Seite die außergerichtliche Leistungsfallbegleitung Grundlage von Geschäftsmodellen ist. Quasi ein Immer-Wieder-Geldprogramm, was natürlich durch die Qualitäts- und Transparenzinitiative zur Berufsunfähigkeitsversicherung von PremiumCircle ins Wanken gerät.
In unserer Umfrage ging es im Übrigen im Bereich der Leistungsprüfung im Wesentlichen nicht um Erfahrungswerte im Umgang mit der Pandemie, sondern um Szenarien, die durch bewusstes oder unbewusstes Fehlverhalten von Kunden und oder Vermittlern zu Dissensen bis hin zu Leistungsablehnungen führen könnten. Und diese Fragen hätte jeder Versicherer im Interesse von Versicherten und Vermittlern beantworten können und müssen. Insofern ist eine Nichtteilnahme oder das Weglassen von einzelnen Antworten eben auch eine Aussage, die es zu bewerten gilt. Sieben Versicherer haben sich erklärt, 52 nicht. Das muss dann jeder selbst bewerten, wie er damit umgeht. Aus Sicht von PremiumCircle ist eine Antwort über die Auslegung der AVB zu Lasten des Versicherten ausreichend, um zu belegen, wie Regelungen ausgelegt werden könnten.

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Der Volkswohl Bund hat sowohl an Ihrer Umfrage teilgenommen, als auch die Stellungnahme des Vereins unterschrieben. Laufen Versicherer, die an Ihrer Umfrage teilnehmen, Gefahr, von Ihnen hinterher ‚in die Pfanne gehauen zu werden‘ wie KMI schreibt?

Grundsätzlich haben wir mit unserer Studie niemanden „in die Pfanne gehauen“. Wenn der Artikel in der „Welt am Sonntag“ das hervorgerufen hat, dann müssen sich alle, die es so sehen, dort beschweren. Wir haben unsere Studie der „Welt am Sonntag“ zur Verfügung gestellt und alle Versicherer wussten von Beginn an, dass die Ergebnisse veröffentlicht werden. Im Anschreiben an die Versicherer, das auf Seite 4 der Studie abgedruckt ist, heißt es:
„Die Auswertung soll Verbrauchern, Vermittlern und Versicherungsunternehmen jenseits der verbandsseitigen Informationen des GDV einen Überblick über die differenzierenden Auswirkungen von COVID-19 auf die Antrags- und Leistungsprozesse der BU-Versicherer bereitstellen. Die Veröffentlichung der Auswertung des Gesamtergebnisses erfolgt unter Nennung aller teilnehmenden und nicht teilnehmenden Versicherungsunternehmen in einem bundesweit führendem Medium.“
Interessant ist, dass weder KMI noch alle anderen Kritiker die Studie gelesen hatten, sondern pauschal auf der Grundlage des Artikels in der „Welt am Sonntag“ geurteilt haben, der nur Teilaspekte der Studie aufgegriffen hat. Auch dieses Verhalten ist ein Spiegelbild einer weitgehend verschwiegenen und zu wenig faktenbasiert agierenden Branche.
Insgesamt enthält die Studie die Antworten der teilnehmenden Unternehmen auf 97 detaillierte Fragen zur Antrags- und Leistungsprüfung. Auf 78 Seiten werden die Ergebnisse anonymisiert dargestellt und bewertet. Das Gesamtfazit fasst die relevanten Ergebnisse aus 8 Teilfazits zusammen und kommentiert diese mit Hinblick auf mögliche Auswirkungen aus Kundensicht.

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  • Streit um BU-Studie: „Verbindliche AVB und verständliche Antragsfragen sind im Interesse aller Beteiligten“
  • Datenlage zu dünn?

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