Das maschinelle Lernen nutzt Methoden, die aus Datenanalysen Modelle herleiten, um die Wirklichkeit zu beschreiben. Die KI wiederum hat in den vergangenen Jahrzehnten eine ganze Reihe von Methoden (“KI-Methoden”) entwickelt, die Maschinen immer intelligenter werden lassen und den Menschen bei seinen Zielen unterstützen können. Diese Methoden lassen sich zweifellos auch auf Daten im Versicherungsbereich anwenden. Aktuelle sowie potenzielle Einsatzbereiche stellen wir in diesem Text vor. Vorher lohnen sich aber ein Blick auf die rechtlichen Voraussetzungen und die technische Umsetzung einer KI-gestützten Lösung.

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Rechtlicher Rahmen: PSD2 macht Open Banking möglich

Mit der PSD2 ist 2018 eine Zahlungsdiensterichtline In Kraft getreten, die die eigenen Bankdaten in den Verantwortungsbereich des Verbrauchers legt. Das heißt, mit Zustimmung des Endverbrauchers dürfen so genannte Drittdienste auf das Konto zugreifen und Kontoinformationen einholen beziehungsweise Zahlungen auslösen. Die hier beschriebenen Einsatzfelder setzen jeweils voraus, dass ein derartiger elektronischer Kontoauszug (“Kontoinformation”) eines Verbrauchers vorliegt. Dieser muss nun im ersten Schritt kategorisiert werden. Das bedeutet, dass jeder Umsatz, jede Kontobewegung möglichst treffsicher in eine Umsatzkategorie eingeteilt wird, wie zum Beispiel Gehaltseingang, Kreditrate, Rücklastschrift oder Zahlung einer Haftpflichtversicherung.

Bei FinTecSystems verwenden wir dazu eine Kategorisierungslogik, die über die letzten Jahre ständig weiterentwickelt wurde und heute eine systematische Ontologie mit über mehrere hundert Kategorien darstellt, die täglich weiterentwickelt wird. Eine solche systematische Einteilung ist notwendig, um im nächsten Schritt sinnvolle Informationen aus den Kontoauszügen ableiten zu können. Wenn wir vom Einsatz von KI-Methoden in der Versicherungsbranche sprechen, dann ist damit gemeint, dass wir klassische Methoden des maschinellen Lernens nutzen, um im PSD2-Umfeld für die Versicherungsbranche nützliche analytische Datenprodukte zu generieren. Diese Datenprodukte können nicht nur im Vertrieb, sondern auch in anderen Prozessen gewinnbringend eingesetzt werden. Die nachfolgenden Abschnitte geben einen Überblick über die Anwendungen in der Versicherungswirtschaft. Diese entsprechen bereits heute dem Stand der Technik und entweder bereits eingesetzt werden oder kurz vor der Marktreife stehen.

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Begrenzte Möglichkeiten der Vertragsoptimierung durch Kontodaten

Der heutzutage am häufigsten diskutierte Einsatz in der Assekuranz ist die Auflistung der Bestandsverträge aus den Umsätzen des Zahlungskontos. Daraus resultierend erfolgt eine grobe Schätzung des Versicherungsbedarfs oder die Optimierung der bestehenden Verträge. Diese Anwendung im Vertragsmanagement ist naheliegend, bietet aber prinzipbedingt nur begrenzten Nutzen. Kurz gesagt: Ausgerechnet vom viel diskutierten Showcase im Vertrieb sind keine Wunder zu erwarten, denn der Fall, dass sich auf einem Kontoauszug sämtliche Bestandsverträge eindeutig identifizieren lassen, tritt in der Praxis zu selten ein, um in der Breite wirklich nützlich zu sein.

Weitaus mehr Potenzial für den Vertrieb im Bereich intelligente Datenprodukte

Vertriebsseitig und auch beim Versicherungsantrag entfalten Zahlungskontodaten großes Potenzial, beispielsweise dann, wenn sich Wege finden, den Vertrieb mit intelligenten Datenprodukten zu unterstützen. Dies ist zum Beispiel der Fall, bei

  • so genannten „Key Life Events“, die auf dem Konto identifiziert werden können. Wenn beispielsweise die Zahlung von Kindergeld einsetzt, kann man die Geburt eines Kindes vermuten. Wenn in Brautläden eingekauft wird, steht womöglich eine Hochzeit an. Ein Arbeitgeberwechsel bildet sich ebenfalls auf dem Konto ab, genau wie plötzliche Arbeitslosigkeit oder der Übergang in die Rente. Key Life Events können vertrieblich genutzt werden, um den Kunden auf seinen Versicherungsbedarf anzusprechen.
  • der (Vor-)Qualifizierung von Leads. In der Kreditwirtschaft ist es mittlerweile üblich, den Kunden über einen Kontologin zu bitten, einen elektronischen Gehaltscheck durchzuführen und/oder die Antragsstrecke vorzubefüllen. Steht ein Kontoauszug zur Verfügung, lässt sich dieser mit Zustimmung des Verbrauchers auch dafür nutzen, ihn oder sie vertrieblich besser einschätzen zu können. Wie konsumorientiert ist der Verbraucher? Lebt er in einer Familie oder alleine? Ist er markenbewusst oder preissensitiv? Ist er in finanziellen Angelegenheiten konservativ oder eher verschwenderisch? Verfügt er über ein stabiles oder ein stark schwankendes Einkommen? Einige der Informationen, die ein erfahrener Makler über seine Kunden sammelt, bilden sich selbstverständlich auch in einem Kontoauszug ab und lassen sich mit KI-Methoden erkennen und nutzen.
  • der Identifikation der Werthaltigkeit von Versicherungsnehmern. Aus dem Portfolio der erkannten Versicherungen lässt sich eine Tendenz ableiten, wie wechselwillig der Verbraucher ist. Ob er zum Beispiel bei den jeweiligen Versicherungsunternehmen statistisch überdurchschnittlich viel oder wenig Beiträge bezahlt und mit welchen Versicherungsgesellschaften er in Kontakt steht. Diese Art von Information kann mithelfen, den Aufwand zu bestimmen, den man vertrieblich in einen Kunden investiert. Entweder um ihn zu gewinnen oder zu halten (durch Maßnahmen der Churn-Prävention).
  • der Antragseffizienz. Analog zum Kreditantrag lassen sich auch im Versicherungsantrag bestimmte Tarifierungsmerkmale vorausfüllen. Damit wird der Antragsprozess einfacher und die Customer Journey verbessert. Fragen wie “haben Sie minderjährige Kinder?”, “sind Sie verheiratet?” oder “sind Sie im öffentlichen Dienst tätig?” lassen sich oftmals analytisch aus dem Kontoauszug ableiten.
  • der Identifikation von neuen Tarifierungsmerkmalen, die bislang nicht zur Verfügung standen. Beispielsweise weisen so genannte Risiko-Konten (Zahlungskonten, die viele Negativ-Ereignisse aufweisen, also z.B. Inkasso-Vorgänge und Rücklastschriften) überproportional häufig Regulierungen von Haftpflichtschäden auf. Diese Art von Information wäre künftig im Aktuariat ausgesprochen wertvoll, wenn man in den kommenden Jahren von einer hinreichenden Abdeckung dieses Datenpunkts aus Kontoinformationen ausgeht.

Fazit: Möglichkeiten sind groß – Churn-Prevention ist das nächste große Thema

Neben der Unterstützung von Vertriebs- und Antragsprozessen lassen sich Kontoinformationen also auch im Aktuariat und in gewissem Umfang in der Betrugsprävention nutzen. Banken nutzen bereits heute Kontoinformation im Inkassobereich und bei Versicherungen ist dies nur eine Frage der Zeit, denn Kontoinformationen stellen eine ideale Ausgangslage dar. Die einseitige Fokussierung auf eine Optimierung von Versicherungsverträgen schöpft das Potenzial des Einsatzes von Kontoinformationen bei weitem nicht aus. Vielmehr können über Kontoinformationen der potenzielle Kundenwert, der sich im Zahlungskonto des Kunden abbildet sowie Maßnahmen zur Churn-Prävention abgeleitet werden. Stehen beispielsweise aus einem weitgehend automatisierten Inkassoprozess Kontoinformationen zur Verfügung, können diese Informationen eingesetzt werden, um Inkassomaßnahmen zu steuern und zu entscheiden, wie man mit dem Vertragsverhältnis weiter verfährt.

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Weiterhin könnte die Kommunikation mit dem Kunden angepasst werden sowie sogar mögliche Vertragsstörungen (etwa durch Nicht-Zahlung oder Kündigung seitens des Kunden) im Vorfeld prognostiziert werden. Mit diesen Informationen können Versicherer dann proaktiv auf den Kunden zugehen. Einen Score zur Churn-Vorhersage auf Basis von Kontoinformationen gibt es heute zwar noch nicht, aber dieser ist nur die logische Weiterentwicklung der Verwendung analytischer Kennzahlen im Vertrieb. Im Inkassoverfahren kann der sinnvolle Aufwand (z.B. durch Telefoninkasso oder Kundenrückgewinnungsmaßnahmen) daran ausgerichtet werden, wie wertvoll sich die jeweilige Kundenbeziehung anhand des Kontoprofils darstellt. Dafür lassen sich durch die clevere Anwendung von KI-Methoden passgenaue Vorhersagemodelle erstellen.

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