Im verhandelten Rechtsstreit hatte ein Mann aus Bayern geklagt. Der Mann hatte sich im April 2016 bei einem Unfall einen Finger verletzt, sodass er eine Zeit lang seinem Beruf nicht nachgehen konnte. Am 16. Juni besuchte er letztmals einen Arzt, der ihm daraufhin noch zehnmal Krankengymnastik verschrieb, weil er immer noch in seinen Bewegungen eingeschränkt war. Der Arzt sagte dem Mann, dass er danach nicht mehr wiederkommen brauche, wenn sich sein Zustand bessere. Laut Allgemeiner Unfallbedingungen müsse ein Versicherungsnehmer „in der Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt und in ärztlicher Behandlung“ sein, damit der Versicherer leistet - längstens für ein Jahr.

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Der Versicherer aber wollte für die Zeit der Krankengymnastik nicht zahlen. Ein Gutachter des Versicherers, zu dem der Mann nach dem Ende der Gymnastik einbestellt worden war, notierte, dass die Behandlung zum 16.06. beendet gewesen sei. Die Begründung: Die versicherte „Ärztliche Behandlung“ meine laut der Allgemeinen Unfallbedingungen (AUB) tatsächlich die Behandlung durch einen Arzt - nicht aber solche etwa durch Heilpraktiker oder durch Masseure.

Krankengymnastik „regelmäßig Teil der ärztlichen Behandlung“

Vor dem Oberlandesgericht Nürnberg (OLG) erlitt der Mann noch eine Niederlage: Das fränkische Gericht urteilte, dass Krankengymnastik nicht Teil der ärztlichen Behandlung sei und der Versicherer nicht für diese Zeit zahlen müsse. Doch vor dem Bundesgerichtshof hatte dieses Urteil keinen Bestand. Es hob darauf ab, dass ein Versicherungsnehmer die Bedingungen typischerweise anders auslegen müsse.

“Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht“, heißt es hierzu im Urteilstext. Dabei sei auf Verständnismöglichkeiten ohne versicherungstechnische Spezialkenntnisse abzuheben. Ein Versicherter werde Therapie-Termine wie hier die Krankengymnastik „regelmäßig als Teil der ärztlichen Behandlung ansehen“.

“Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer wird die Dauer solcher von der ärztlichen Fürsorge und Verantwortung umfasster Behandlungsmaßnahmen regelmäßig als Teil der ärztlichen Behandlung ansehen, und zwar unabhängig davon, ob sie möglicherweise nach dem letzten Arztbesuch erfolgen, ob Dritte bei ihrer Durchführung tätig werden und inwieweit der Arzt Maßnahmen selbst spezifiziert oder ihre konkrete Ausgestaltung einem Dritten überlassen hat“, führt der Bundesgerichtshof aus. Ob der Mann mit dem Arzt noch einen Kontrolltermin vereinbart hatte, spiele hierfür keine Rolle. Die obersten Zivilrichter kommen deshalb zu dem Schluss, dass eine ärztliche Behandlung "regelmäßig die Dauer der vom Arzt angeordneten Behandlungsmaßnahmen" umfasse.

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Der Versicherer muss also zahlen - sofern der Mann die Krankengymnastik auch tatsächlich wahrgenommen hat. Das aber war im konkreten Fall noch zu klären (Urteil vom 04. November 2020, IV ZR 19/19).

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