Unter Kannibalismus versteht man, wenn sich Artgenossen gegenseitig zerfleischen und auffressen. Eigentlich ist diese fürchterliche Praxis in unserer modernen Gesellschaft ausgestorben, sollte man meinen. Schaut man jedoch in die Branche der Versicherungsvermittler, zweifelt man daran. Manchmal bekommt man sogar das Gefühl, Kannibalismus sei hier an der Tagesordnung – kaum jemand ist in der Lage, am Anderen ein gutes Haar zu lassen. Stattdessen wird aufeinander eingeschlagen und sich gegenseitig mit Worten zerfleischt. Das gilt insbesondere für die verschiedenen Berufe innerhalb der Zunft – Makler, Vertreter oder Vermögensberater. Schlägt man so schon gern aufeinander ein, dann umso lieber, wenn der andere zu anderen gesetzlichen Bedingungen gewerblich vermittelt.

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Tim Wolff ist Vermögensberater bei der DVAGDies könnte auch ein wichtiger Grund sein, warum das Ranking von uns Versicherungsvermittlern in der Bevölkerung ganz unten angesiedelt ist – verschiedene Umfragen zu Vertrauen in Berufe zeigen unseren schlechten Ruf. Auf dem zweiten Blick aber erscheint dies ganz logisch, wenn man verfolgt, wie wir miteinander umgehen. Dabei wird häufig übersehen: Zielen wir auf die Mitkonkurrenten, zielen wir auch auf uns. Machen Kunden doch selten einen Unterschied zwischen den verschiedenen Vermittlerarten – für sie sind wir alle zunächst "Versicherungsverkäufer/ Finanzberater". Postet also jemand etwas Schlechtes über einen anderen Marktteilnehmer, schadet er letztlich sich selbst und der gesamten Branche. Und häufig wird der angerichtete Schaden nicht einmal bemerkt.

Hinzu kommt: Aktion löst Reaktion aus

Schimpft der Makler gegen den Vertreter: "Du musst das ja so sagen, weil Du nicht alles anbieten kannst und deswegen nicht so toll bist wie ich", dann ist die Gegenreaktion meist: "Du hast doch gar keine Ahnung, Du kannst die ganzen Produkte ja gar nicht kennen, die Du vermittelst! Du deckst eh nur alles um, um neue Provisionen zu verdienen". In den meisten Fällen schaukelt sich ein solcher Streit dann erst richtig hoch.

Schlimm ist: Kunden lesen oft mit!

Was denkt jetzt der Kunde? Geht der Kunde des Ausschließlichkeitsvertreters jetzt auf besagten Makler zu, um dort Kunde zu werden? Mitnichten. Und der Kunde des Maklers wird vielleicht verunsichert sein, da die Argumente des AOlers (gebundener Versicherungsvertreter nach § 34d Abs. 4 GewO) nicht gänzlich von der Hand zu weisen sind. Ich kann mich noch gut an einen Kommentar auf Facebook erinnern, in dem ein "unabhängiger" Markteilnehmer das Produkt eines großen Versicherers "auseinander genommen" hat. Einer der Betroffenen kam dann auf die Idee, im Zentralregister zu schauen und auf die beiden Insolvenzen des Kommentators hinzuweisen. Die Frage stellt sich: Wer hat da jetzt gewonnen? Richtig! Keiner!

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Und solche Beispiele findet man leider fast täglich. Nicht alle sind öffentlich, die meisten erfolgen in geschlossenen Facebook-Gruppen. Aber die Einstellung gegenüber den Mitwettbewerbern bleibt dennoch offenkundig. Und das spürt man auch jenseits der Branche.

Verlierer sind wir dann alle

Der Verursacher/ Schuldige ist schnell ausgemacht – je nachdem, wen man fragt. Für Versicherungsmakler sind es zum Beispiel "Strukki-Buden", bei denen man nach einem Wochenend-Seminar auf Kunden losgelassen wird und seine Freunde abgrasen muss. Oder AOler, die nicht wie man selbst auf der Seite des Kunden stehen, sondern auf der Seite des Versicherers und eh nur ein eingeschränktes, meist zu teures Produktangebot haben.

Für Vermögensberater/ AOler sind es hingegen Makler, die sowieso nur jene Produkte vermitteln, für die es die meiste Provision gibt – wofür sie ständig umdecken. Oder auch Makler, die zwar ein großes Angebot haben, aber die vermittelten Produkte überhaupt nicht kennen und nur "Billigprodukte" verkaufen.

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Der Verbraucherschützer lacht sich derweil ins Fäustchen – denn eigene Argumente muss er gar nicht mehr bringen. Wir liefern ihm alles. Manchmal habe ich das Gefühl, wir bauen denen freiwillig (unbewusst) eine dreispurige Autobahn. Ohne Tempolimit. Zu spüren bekommen wir das dann an einer Bürokratie, die das Maß des Erträglichen längst überschritten hat: Beratungsprotokolle, Datenschutzwahnsinn, Geeignetheitserklärungen, Taping, usw.

"Kunden-Gewinnungs-Coaches" schießen derweil wie die Pilze aus dem Boden – weil Kundengewinnung in einer Branche, in der Kunden eigentlich vergrault werden, für viele schwierig ist. Klar! Wenn alle verunsichert werden...

Wir würden uns aber alle einen Gefallen tun, wenn wir, anstatt den vermeintlich schuldigen Anderen zu suchen, guten Service bieten und gute Beratung bieten. Gemeinsam könnten wir viel mehr erreichen. Und ist denn ein Produkt oder eine Beratung schlecht – selbst, wenn es das gleiche Produkt beim Mitbewerber vier Euro günstiger im Monat gibt? NEIN!

Wenn sich zwei mit Schmutz bewerfen … ist auch der Gewinner dreckig!

Woher kommt jetzt aber die negative Wahrnehmung der Konkurrenz? Jeder Vermittler bekommt fast ausschließlich die jeweils schlecht beratenen Kunden der anderen Seite zu Gesicht! Ein zufriedener Kunde wechselt weder vom Vermögensberater zum Makler noch umgedreht. Daher ist hier eine nicht-selektive Wahrnehmung einfach nicht möglich. Hinzu kommt: Jeder findet, dass sein Kind das hübscheste ist. Und das ist auch gut so. Es ist selektiv und in Ordnung. Kritisch wird es erst dann, wenn man andere davon überzeugen möchte, dass deren Kind eigentlich hässlich ist und man sich doch mal das eigene Kind anschauen sollte...

Vor ein paar Jahren hatte ich das Vergnügen, mit meinem mittlerweile guten Freund – Tino Scraback – ein Interview hier im Versicherungsboten zu führen. Eigentlich sollte es "Vermögensberater vs. Versicherungsmakler – das Streitgespräch" sein. Ein Streitgespräch war es aber nicht. Besonders, weil Tino immer schon verstanden hat, dass Streit innerhalb unserer Branche uns allen nur schadet. Daraufhin wurde die gemeinsame Facebook-Gruppe VB+VM+Augenhöhe mit mittlerweile über 2000 Mitgliedern gegründet. Und dort geht es gesittet zu. Und ich möchte behaupten, dass alle in dieser Gruppe davon profitiert haben. Chapeau Tino.

Bitte versteht mich nicht falsch. Ich habe kein Problem mit "frotzeln" und auch nicht mit "vergleichender Werbung". Aber immer nur dann, wenn es mit Respekt passiert! "Augenhöhe" heißt das Zauberwort. Wer das nicht versteht, hat in dieser Branche nichts zu suchen. Denn der schadet uns.

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Ich bin seit über 20 Jahren DVAG-Vermögensberater. Ich bin das mit Leib und Seele. Ich bin stolz darauf, ein Teil unserer Berufsgemeinschaft zu sein. Und ich finde uns toll. Von mir wird aber niemand hören, dass andere schlecht sind. Diese Unverschämtheit würde ich mir gar nicht trauen. Konzentrieren wir uns darauf, dass wir alle jeden Tag unser Bestes geben und dass wir die Menschen, die uns ihr Vertrauen schenken, nicht enttäuschen – dass wir Kunden Lust auf Finanzen und Versicherungen machen. Denn klar ist auch: nur ein zufriedener Kunde empfiehlt seinen Berater weiter. Und die Zufriedenheit des eigenen Kunden ist nach wie vor die mit riesigem Abstand beste Art, für unseren Beruf zu werben!

Hinweis: Der Text erschien zuerst im Versicherungsbote Fachmagazin

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